ICHbinICH und DUbistDU
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Was für ein Kuddelmuddel!<br />
Mütter <strong>und</strong> Väter stecken ständig in der Zwickmühle zwischen Anspruch <strong>und</strong> Wirklichkeit.<br />
Meist wissen sie genau, was für ihr Kind gut ist – aber manchmal kommt trotzdem<br />
alles ganz anders. Auch Frauke Hoppe (34 Jahre) kennt solche Tage. Hier erzählt<br />
die alleinerziehende Mutter von einem ganz normalen Mittwoch.<br />
Der Wetterbericht hatte Sonne<br />
versprochen, heute Morgen prasseln<br />
dicke Regentropfen gegen mein<br />
Fenster. So hatte ich mir das nicht<br />
vorgestellt! Nele (4 Jahre) übrigens<br />
auch nicht. Meine Tochter will trotz<br />
Miesewetter partout ihr geblümtes<br />
Sommerkleid anziehen. Ich weiß –<br />
Kinder soll man stets der Witterung<br />
entsprechend kleiden. Aber sagen<br />
Sie das mal meinem kleinen Dickkopf!<br />
Nach ewigem Hin <strong>und</strong> Her <strong>und</strong><br />
sieben klammheimlichen Blicken auf<br />
die Uhr einigen wir uns auf Sommerkleid<br />
mit Strick jacke <strong>und</strong> Gummistiefeln.<br />
Das fängt ja heute „gut“ an …<br />
Sonst ist Nele immer stolz darauf,<br />
dass sie sich schon (fast) allein anziehen<br />
kann. Aber heute geht da rein<br />
gar nichts! Also muss die Mama heute<br />
ziehen, zuppeln, ordnen <strong>und</strong><br />
knöpfen. Endlich fertig <strong>und</strong> höchste<br />
Eisenbahn fürs Frühstück! „Das Frühstück<br />
ist eine wichtige Gr<strong>und</strong>lage für<br />
den Tag“, heißt es ja. Bei uns bedeutet<br />
das eine ordentliche Portion Kindermüsli<br />
(zuckerfrei, versteht sich).<br />
Doch Nele rührt heute nur unlustig<br />
in der Schale herum. „Komm, Mäuschen<br />
… du weißt doch … “, lege ich<br />
mich ins Zeug, während mein Kind<br />
unwirsch den Löffel auf den Tisch<br />
knallt. Da zerschellt das ganze ges<strong>und</strong>e<br />
Frühstück samt Schale auf<br />
dem Küchenboden. „Gar nicht<br />
schlimm!“, bringe ich rasch hervor,<br />
als schon ein Tränchen über die<br />
Kinderbacke rollt. Meine innere<br />
Stimme mahnt mich zur Geduld <strong>und</strong><br />
einem kleinen Tröstekuss. Dann fix<br />
aufgewischt <strong>und</strong> Brote für den<br />
Kindergarten geschmiert. Nach dem<br />
elften klammheimlichen Blick auf<br />
die Uhr eilen Nele <strong>und</strong> ich zur Haltestelle.<br />
Hoffentlich hat mein Chef<br />
heute gute Laune …<br />
In der Straßenbahn teilt mir Nele hoheitsvoll<br />
mit, dass sie heute keineswegs<br />
in die Kita gehen wird: „Da ist<br />
Leonie, <strong>und</strong> die ist doof!“ Basta!<br />
Diese Entschlossenheit hat sie doch<br />
nicht etwa von mir?! „Aber da sind<br />
doch noch so viele andere!“, wende<br />
ich ein. Doch Nele macht große<br />
Augen <strong>und</strong> fleht: „Mami, ich will<br />
bei dir bleiben!“ Zack, getroffen!<br />
Wann wird mich das schlechte<br />
Gewissen einer berufstätigen Mutter<br />
endlich verlassen?! Schweren Herzens<br />
verfrachte ich meine protestierende<br />
Tochter trotzdem in die Kita<br />
<strong>und</strong> haste zurück zur Haltestelle.<br />
Es ist 8.30 Uhr, gefühlt 18.30 Uhr.<br />
In der U-Bahn fällt mein Blick auf<br />
die Tageszeitung meines Gegenübers.<br />
„Experten fordern mehr Zeit<br />
für Kinder“, lautet die Schlagzeile.<br />
„Eine aktuelle Studie hat herausgef<strong>und</strong>en,<br />
dass …“ – ich will es gar<br />
nicht wissen! Natürlich wäre ich mit<br />
meiner Tochter jetzt auch lieber im<br />
Zoo (mal unterstellt, die Sonne würde<br />
scheinen). Aber irgendwer muss<br />
schließlich die Brötchen verdienen.<br />
Als ich Nele um Punkt 14.17 Uhr aus<br />
der Kita abhole, ernte ich erst mal<br />
schiefe Blicke. „Ja, ja, Abholzeit ist<br />
nur bis 14 Uhr, ich weiß, aber mein<br />
Chef …“ Dann berichtet mir die<br />
Erzieherin, dass meine Tochter nichts<br />
zu Mittag heruntergebracht habe.<br />
Oje, auch das noch! Und wir müssen<br />
noch einkaufen gehen! „Tätigen Sie<br />
Ihre Einkäufe nie mit einem hungrigen<br />
Kind“, sagen Experten. „Wie soll<br />
ich das heute bloß bewerkstelligen?“<br />
Beim Obstladen an der nächsten<br />
Ecke kann ich ihr wenigstens eine<br />
Banane schmackhaft machen, Bananen<br />
sollen ja sehr ges<strong>und</strong>.<br />
Dass meine Tochter heute nichts<br />
essen mag, hat sie genau vor dem<br />
Süßigkeitenregal im Supermarkt<br />
schon vergessen. Und kommen Sie<br />
mir jetzt bitte nicht mit Konsequenz<br />
– das weiß ich selbst! „Nimm noch<br />
ein Haps Banane“, lasse ich also<br />
meine beste Werbestimme erklingen.<br />
„Aber Mama, Mama …!“ Meine<br />
Konsequenz reicht gerade noch bis<br />
zur Kasse, an der uns reihenweise<br />
Überraschungseier in Kinderaugenhöhe<br />
überraschen. Hier endet meine<br />
Kraft. Nachdem ich meinen schokoladenverschmierten<br />
Nachwuchs <strong>und</strong><br />
die Einkäufe nach Hause geschleppt<br />
habe, kriecht die Sonne heraus.<br />
Statt Haushalt setzen wir kurzerhand<br />
einen Spielplatzbesuch aufs Programm.<br />
Wir Eltern sollen schließlich<br />
flexibel sein!<br />
Neben mir auf der Bank sitzt eine<br />
wie aus dem Ei gepellte Mutter. Sie<br />
ist bestimmt noch viel flexibler als<br />
ich. Aber egal, jedenfalls erfahre ich<br />
sehr bald, was für ein W<strong>und</strong>erkind<br />
ihr Niklas ist. Windeln braucht er<br />
natürlich schon laaange nicht mehr,<br />
<strong>und</strong> begabt ist er auch ohne Ende.<br />
„Welche Talente hat denn Ihre Tochter?“<br />
Darüber muss ich erst nachdenken,<br />
aber schon flötet es neben mir:<br />
„Ach, machen Sie sich keine Sorgen.<br />
Irgendwie kommt doch jedes Kind<br />
durchs Leben.“ Sehr tröstlich! Aber<br />
ich sorge mich doch gar nicht. Oder<br />
doch? „Was für Kurse besucht denn<br />
Ihre Kleine? Man kann ja nicht früh<br />
genug damit anfangen!“, sagt meine<br />
Banknachbarin nun. Da platzt es<br />
aus mir heraus: „Cheerleading, Frühchinesisch,<br />
Internet für Anfänger <strong>und</strong><br />
Karate!“ Prompt fragt mich der Vater<br />
auf der anderen Bankseite, wo man<br />
denn einen „PC-Kurs 3plus“ buchen<br />
könne. Ich glaub das nicht! Zum<br />
Glück lenkt uns in diesem Moment<br />
lautes Geschrei aus der Sandkiste ab:<br />
Nele hat W<strong>und</strong>er-Niklas ganz emanzipiert<br />
den Plastikeimer geklaut. Da<br />
gibt die flexible Niklas-Mama sehr<br />
unflexible Äußerungen von sich –<br />
<strong>und</strong> wir verkrümeln uns schnell<br />
auf den Heimweg. Gefühlte Zeit:<br />
mindestens Mitternacht.<br />
Zu Hause erwartet uns nicht nur die<br />
Hausarbeit, sondern auch Oma!<br />
Ehrlich, ich liebe meine Mutter <strong>und</strong><br />
bin ihr unendlich dankbar für ihren<br />
unermüdlichen Einsatz in puncto<br />
Kinderbetreuung. Aber an so einem<br />
Tag wie heute, <strong>und</strong> dazu noch unangemeldet<br />
… Nele fliegt ihr in die<br />
Arme. „Das Kind fühlt sich aber heiß<br />
an!“, stellt Mutter skeptisch fest.<br />
Das Fieberthermometer bestätigt erhöhte<br />
Temperatur. Auch das noch!<br />
Eine innere Stimme belehrt mich sofort:<br />
„Kränkelnde Kinder brauchen<br />
viel Zuwendung!“ Wo ist heute<br />
bloß mein Umschaltknopf für den<br />
Kuschelkurs? Wie gut, das die Oma<br />
Nele nun ein Märchen vorlesen will,<br />
meine Mutter ist wirklich ein Schatz,<br />
denke ich. Zumindest denke ich das<br />
bis zu ihrer Frage, wann ich eigentlich<br />
das letzte Mal Fenster geputzt<br />
hätte …<br />
Als Oma weg ist, will Nele fernsehen.<br />
Auf keinen Fall! Und schon<br />
gar nicht allein! Und ich muss noch<br />
kochen <strong>und</strong> bügeln <strong>und</strong> staubsaugen<br />
… In Wirklichkeit bin ich fix <strong>und</strong><br />
fertig. Also engagiere ich ganz unpädagogisch<br />
heute doch die Glotze<br />
für eine Sonderschicht <strong>und</strong> koche<br />
rasch Nudeln mit Ketchup. Ketchup<br />
enthält Zucker, ich weiß, aber auch<br />
jede Menge wichtige Karotinoide …<br />
Kurz darauf würde ich am liebsten<br />
gleichzeitig mit meiner Tochter in<br />
Morpheus Armen liegen, am besten<br />
noch vor ihr. Trotzdem schaffe ich<br />
unter Mobilisierung letzter Energiereserven<br />
sogar noch die obligatorische<br />
Gutenachtgeschichte. Rituale<br />
geben Kindern nämlich Gewissheit,<br />
dass alles in Ordnung ist. Und ich bin<br />
schließlich eine gute Mutter! Nele<br />
schläft, ich verschiebe den Haushalt<br />
auf morgen <strong>und</strong> zappe durch alle<br />
TV-Kanäle. Da, die „Super-Nanny“!<br />
Kann es noch schlimmer kommen<br />
als am heutigen Tag? Es kann. Endgültig<br />
den Rest gibt mir der nächste<br />
Kanal. Dort diskutieren Experten<br />
über das Thema „Können Eltern<br />
Grenzen setzen?“. Und wie ich kann:<br />
genug für heute <strong>und</strong> ab ins Bett!<br />
Alltag mit Kind<br />
„… Ja, ja, Abholzeit im Kindergarten ist nur bis 14 Uhr,<br />
ich weiß, aber mein Chef …“<br />
Alltag mit Kind