ICHbinICH und DUbistDU
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Kinderrechte: Der Klaps ist kein Erziehungsmittel<br />
Am 5. April 1992 trat die UN-Kinderrechtskonvention in Kraft. Seitdem sind Kinder<br />
auch in Deutschland Träger eigener Schutz-, Entwicklungs-, Förder- <strong>und</strong> Beteiligungsrechte.<br />
Doch vielen passt das nicht. Sie wenden dagegen ein: „Kinderrechte?<br />
Aber wer Rechte hat, der hat auch Pflichten! Wo bleiben die?!“ Falsch gebrüllt, Löwe:<br />
Denn das Gegenstück zu Kinderrechten sind nicht Kinderpflichten, sondern es ist<br />
Unrecht gegen Kinder!<br />
Auch die BARMER GEK möchte die<br />
Kinderrechte bekannter machen <strong>und</strong><br />
greift hier aus den Kinderrechten<br />
beispielhaft das so wichtige Recht<br />
des Kindes auf gewaltfreie Erziehung<br />
heraus (Art. 19).<br />
Erlebnisse in der Familie beeindrucken<br />
Kinder stark – im Guten wie im<br />
Bösen. Heute weiß man auch, dass<br />
Strafen immer Nebenwirkungen<br />
haben <strong>und</strong> der „kleine Klaps“ oder<br />
gar die Ohrfeige kein angemessenes<br />
Erziehungsverhalten sind! Das steht<br />
unmissverständlich auch im Bürgerlichen<br />
Gesetzbuch. Dort heißt es<br />
in § 1631 Abs. 2: „Kinder haben ein<br />
Recht auf gewaltfreie Erziehung.<br />
Körperliche Bestrafungen, seelische<br />
Verletzungen <strong>und</strong> andere entwürdigende<br />
Maßnahmen sind unzulässig.“<br />
Dieses Gesetz basiert auf der<br />
Erkenntnis, dass Kinder durch erzieherische<br />
Kommunikation lernen <strong>und</strong><br />
nicht durch Schläge, Anschreien,<br />
Beschämungen, Erniedrigungen oder<br />
andere Bestrafungen.<br />
Aber dann erzählt Ingrid (33 Jahre):<br />
„Jetzt hab ich Fini schon fünfmal<br />
gesagt, dass sie nicht an den Herd<br />
gehen soll. Geh bitte nicht an den<br />
Herd, hab ich ihr gesagt. Aber sie<br />
versucht es immer wieder. Da hilft<br />
halt nur noch ein Klaps.“<br />
Ingrid meint es gewiss gut mit ihrer<br />
zweijährigen Tochter, sie möchte sie<br />
vor Schmerz <strong>und</strong> Verletzung bewahren.<br />
Mit diesem Argument rechtfertigen<br />
übrigens die meisten Eltern<br />
einen ausgeteilten Klaps. Dabei verkennen<br />
sie jedoch, dass er zu immer<br />
heftigeren Schlägen führen kann:<br />
Erst bekommt Fini nur einen kleinen<br />
Klaps, wenn sie an den Herd geht.<br />
Beim zweiten Mal fällt er schon fester<br />
aus. Und wenn sie es dann immer<br />
noch nicht lässt, haut die Mutter<br />
noch stärker zu. Würde man Ingrid<br />
aber fragen, ob sie ihr Kind schlägt,<br />
so riefe sie empört „Niemals!“ aus.<br />
Denn alle Eltern sehen ihre persönlichen<br />
„kleinen“ Bestrafungs- oder<br />
Verhinderungspraktiken zum Schutz<br />
der Kinder als „normal“ an, haben<br />
Psychologen herausgef<strong>und</strong>en. Dagegen<br />
bewerten sie heftigere Methoden<br />
als die eigenen als „unnormal“<br />
<strong>und</strong> „grausam“. Wenig später praktizieren<br />
dann dieselben Eltern genau<br />
jene Art von Bestrafung selbst,<br />
die sie vorher als grausam abgelehnt<br />
haben. Nun betrachten sie diese<br />
Praktik wiederum als „normal“ – <strong>und</strong><br />
schlimmere als unnormal. An dieser<br />
Spirale wird sichtbar: Die angeblich<br />
gar nicht vorhandene Gewalt in der<br />
Erziehung kann un gewollt eskalieren.<br />
Elternbefragungen haben auch gezeigt,<br />
dass Mütter <strong>und</strong> Väter in Wirklichkeit<br />
gar nicht aus erzieherischen<br />
Gründen handgreiflich werden oder<br />
ihr Kind beschimpfen oder anschreien,<br />
sondern weil sie selbst unter<br />
starker Spannung oder Stress stehen.<br />
Das hat auch der renommierte Kinder-<br />
<strong>und</strong> Jugendpsychiater Reinhard<br />
Lempp stets unterstrichen: „Die Ohrfeige<br />
oder der Klaps aus Zorn, Ärger<br />
oder Angst tut nur demjenigen gut,<br />
der sie austeilt. Eine solche Reaktion<br />
entlastet <strong>und</strong> entspannt Eltern. Sie<br />
dürfen nur nicht glauben, das hätte<br />
was mit Erziehung zu tun.“ 1<br />
Wenn Eltern bemerken, dass sie<br />
häufiger an ihre Grenzen oder darüber<br />
hinaus geraten, sollten sie sich<br />
Hilfe gönnen. Wer sich oft ratlos,<br />
wütend oder überfordert fühlt <strong>und</strong><br />
seinem Kind wie Ingrid nur durch<br />
gewaltsame Erziehung Einhalt<br />
ge bieten kann, findet in Erziehungsberatungsstellen,<br />
Elterngruppen<br />
oder Elternkursen wie zum Beispiel<br />
„Starke Eltern – Starke Kinder“ des<br />
Deutschen Kindesschutzb<strong>und</strong>es gute<br />
Unterstützung. Es ist auch keine<br />
Schande, sich ermutigen <strong>und</strong> helfen<br />
zu lassen. Im Gegenteil: Gemeinsam<br />
mit anderen ein wirksames positives<br />
Erziehungsverhalten zu entwickeln,<br />
das Kindern wie Eltern guttut,<br />
ist eine sehr kluge Entscheidung.<br />
Sie stärkt die Mütter <strong>und</strong> Väter <strong>und</strong><br />
schützt das Kind am besten.<br />
1<br />
nach: Reiner Engelmann/Urs M. Fiechtner (Hrsg):<br />
„Kinder ohne Kindheit”. Ein Lesebuch über Kinderrechte,<br />
Sauerländer Verlag 2006.<br />
Neulich war das so<br />
Eltern sind auch nur Menschen <strong>und</strong> Erziehung nicht immer einfach. Deshalb werden<br />
die folgenden Gedanken auch vielen Müttern <strong>und</strong> Vätern so oder ähnlich bekannt<br />
vorkommen.<br />
„Da war ich so wütend:<br />
Gestern Morgen habe ich<br />
mich im Kindergarten<br />
von meinem Sohn Leon<br />
(4 Jahre) „im Bösen“ verabschiedet.<br />
Er hatte schon<br />
den ganzen Morgen getrödelt,<br />
obwohl er wusste,<br />
dass ich nicht zu spät zur<br />
Arbeit kommen darf.<br />
Irgendwann war ich dann<br />
so aufgebracht, dass ich<br />
mit ihm heftig geschimpft<br />
habe. Auch bei unserem<br />
Abschied im Kindergarten<br />
waren wir noch nicht wieder<br />
„gut“ miteinander.<br />
Aber hinterher plagte mich<br />
dann das schlechte Gewissen.<br />
Wie konnte ich bloß<br />
so böse zu Leon sein?!“<br />
Caroline, 31 Jahre<br />
Der Auslöser von Carolines Ärger ist<br />
eine typische Situation in Familien.<br />
Denn auch Eltern stecken in Zwängen,<br />
weshalb zu bestimmten Zeiten<br />
alles wie am Schnürchen „funktionieren“<br />
muss – auch die Kinder.<br />
Dann kollidieren die Bedürfnisse:<br />
Das Kind will spielen <strong>und</strong> lässt sich<br />
nicht drängen, dem Erwachsenen<br />
läuft die Zeit davon. Deshalb sollte<br />
gerade morgens von vornherein ein<br />
halbes Stündchen mehr eingeplant<br />
werden, das nimmt viel Druck aus<br />
der Familie. Trotzdem kann Reibung<br />
entstehen <strong>und</strong> auch mütterlicher<br />
oder väter licher Ärger. Das ist kein<br />
Beinbruch <strong>und</strong> wird auch vom Kind<br />
nicht krummgenommen – vorausgesetzt,<br />
der Ärger verraucht wieder,<br />
die Schuld dafür wird nicht dem<br />
Kind in die Schuhe geschoben <strong>und</strong><br />
die Situation wird zeitnah geklärt.<br />
Wenn Caroline mit Leon in Ruhe<br />
bespricht, was am Morgen passiert<br />
ist <strong>und</strong> was jeder von ihnen zur<br />
Veränderung beitragen kann, wird<br />
es sicher bald besser klappen. Und<br />
wenn sie sich für ihre Heftigkeit<br />
bei ihm entschuldigt, dann sollte<br />
sie es auch ernst damit meinen.<br />
„Da war mir Greta peinlich:<br />
Kürzlich wurde meine<br />
Mutter 60, da sollte unsere<br />
Greta (5 Jahre) für sie vor<br />
den Gästen ein kleines Gedicht<br />
aufsagen. Das konnte<br />
sie nämlich w<strong>und</strong>erbar<br />
auswendig. Aber dann<br />
stand sie nur stocksteif da<br />
<strong>und</strong> bekam kein Wort raus.<br />
Das war peinlich.“<br />
Bernhard, 48 Jahre<br />
Der klassische Vorführeffekt! Aber<br />
schon in diesem Begriff steckt das<br />
Problem. Denn kein Kind sollte „vorgeführt“<br />
werden. Eltern dürfen auf<br />
besondere Fähigkeiten ihres Kindes<br />
durchaus stolz sein. Sie sollten das<br />
Kind aber nicht dazu überreden<br />
oder gar überrumpeln, sein Können<br />
anderen zu präsentieren. Besonders<br />
unverhoffte Aufforderungen können<br />
Kinder in Bedrängnis bringen. Sie<br />
möchten niemanden enttäuschen,<br />
aber auch nicht in beschämende<br />
Situationen geraten. Bernhard fand<br />
diesen Moment peinlich. Und Greta?<br />
Viele Kinder zeigen anderen gern,<br />
was sie können – aber der Vorschlag<br />
sollte von ihnen selbst kommen.<br />
Gewaltfreie Erziehung<br />
Erfahrungen