25.01.2014 Aufrufe

'Die Gemeinde' November 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...

'Die Gemeinde' November 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...

'Die Gemeinde' November 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

KULTUR • INLAND<br />

Wie ein See die<br />

Vergangenheit<br />

zum Schweigen<br />

brachte<br />

Die Künstlerin Tatiana Lecomte wird in<br />

den nächsten Monaten rund 20.000mal<br />

„Ich bin gesund, es geht mir gut“ auf<br />

Postkarten schreiben und diese an Ein -<br />

woh ner von St. Pölten verschicken.<br />

Erinnerungsarbeit und Kunstprojekt:<br />

mehr <strong>als</strong> 60 Jahre nach Ende des NS-Re -<br />

gimes wird der Mantel des Schweigens<br />

von einem kleinen Flecken Erde gezogen,<br />

der eine schaurige Geschichte zu<br />

erzählen hat.<br />

VON ALEXIA WEISS<br />

im Frühjahr 2005 wollte der Krimi-<br />

Au tor manfred Wieninger wie jedes<br />

Jahr im Frühjahr im Auwäldchen am<br />

Trai senufer gegenüber von Wind pas -<br />

sing, einem Ortsteil von St. Pölten,<br />

Schnee glöckchen pflücken gehen.<br />

Doch der Traisenfluss hatte die kleine<br />

Feldwegbrücke bei Windpassing weg -<br />

gespült und so suchte er in einem ihm<br />

bis dahin gänzlich unbekannten Au -<br />

abschnitt in St.Pölten-Viehofen nach<br />

den Frühlingsblumen.<br />

„Ich bin dort auf jede Menge verrosteten<br />

Stacheldraht gestoßen, auf viele Zaun -<br />

pfei ler aus altem Beton, auf die Reste ei -<br />

nes hölzernen, ebenfalls mit Stacheldraht<br />

gesicherten Tores, auf von der Au fast ganz<br />

überwucherte Betonfundamente und auf<br />

einen halb verschütteten Bunker.“ Ei -<br />

nem anderen Spaziergänger stellte er<br />

die Frage nach dem Ursprung dieser<br />

Überreste. Das sei, meinte der mann,<br />

im Krieg ein Kriegsgefangenenlager<br />

mit lauter Franzosen gewesen, er ha be<br />

hier schon vor Jahren jede menge leerer<br />

Schneckenhäuser und Überreste von<br />

französischen Spielkarten gefunden.<br />

Wieninger ging der Sache auf den<br />

Grund. Die Archive der Stadt brachten<br />

zunächst wenig material zutage.<br />

mehr informationen konnte er sammeln,<br />

nachdem er in der Lokalpresse<br />

Zeitzeugenaufrufe veröffentlichen<br />

hat te lassen. Eine St. Pöltnerin, die zu<br />

Kriegszeit noch ein Kind gewesen war,<br />

erinnerte sich an ein Zwangsarbei ter -<br />

lager der Firma Glanzstoff. „Da sind<br />

nur die hingekommen, die Schrebergär ten<br />

gehabt haben. Sonst hat sich gar keiner<br />

hingetraut, denn da sind Soldaten mit<br />

Gewehr gestanden.“<br />

Und dann war da auch noch dieser<br />

Brief. Die Absenderin: eine alte Frau<br />

aus Szeged in Ungarn namens Rószo<br />

Halmos, zu diesem Zeitpunkt 77<br />

Jahre alt. 1997 hatte sie an die „Jüdi-<br />

sche Gemeinde St. Pölten Österreich“<br />

geschrieben: „Ich bitte Sie, wollen Sie<br />

mich informieren im nachstehde. Mein<br />

Vater Armin Wolf ist im Fierhofen, am 1.<br />

April 1945 War gesterbt, in dem Fried -<br />

hof-St.Pölten hat man begrabt. Ich möchte<br />

wissen, ob kann ich seines Grab – mit Ih rer<br />

Hilfe, auffinden, wenn ich reise in diesem<br />

Sommer zu St. Pölten, das konnte ich dort<br />

ein Nachtlicht zünden bei dem Grab. Ich<br />

bitte Sie wollen mich in der Obgenannte<br />

helfen.“ Der Brief landete nach postalischen<br />

irrwegen schließlich am „in-<br />

sti tut für Geschichte der Juden in<br />

Österreich“.<br />

Wieniniger stieß 2005 im Zug seiner<br />

Re cherchen auf dieses Schreiben, das<br />

in St. Pölten bis dahin Ratlosigkeit hervorgerufen<br />

hatte. Ein Grab eines Ar -<br />

min Wolf war nicht zu finden, vor<br />

allem nicht am Jüdischen Friedhof.<br />

Doch ebenfalls 2005 machte die His -<br />

torikerin Eleonore Lappin vom „insti-<br />

tut für Geschichte der Juden in Österreich“<br />

in den „Central Archives for the<br />

History of the Jewish People“ in Jeru -<br />

salem zufällig einen interessanten<br />

Fund: sie stieß auf einen handschriftlichen<br />

Brief der „Traisenregulierung<br />

St. Pölten, Lager Viehofen-Au“ an die<br />

„Jüdische Versorgungsstelle Wien“<br />

vom 9. September 1944, in dem stand:<br />

„Die Traisenregulierung St. Pölten – Her -<br />

zogenburg beschäftigt seit 11/VII. 1944 –<br />

126 Personen intern. Ungar. Juden, die<br />

im eigenen Lager Viehofen-Au untergebracht<br />

sind.“<br />

nach und nach kam – 60 Jahre nach<br />

Kriegsende! – die Wahrheit ans Licht.<br />

nahe des Zwangsarbeiter-Lagers für<br />

die Firma Glanzstoff hatte es ein zwei -<br />

tes Lager gegeben, betrieben vom in St.<br />

Pölten ansässigen Traisen-Wasser ver -<br />

band. Hier waren ungarische Ju den in -<br />

terniert. nachdem die Traisen im Be -<br />

reich von Viehofen 1940 und 1941 über<br />

die Ufer getreten war, versuchte man<br />

nun den Fluß zu regulieren. Zu nächst<br />

wurde dazu der Reichsar beits dienst<br />

eingesetzt, später waren es Kriegs- und<br />

Strafgefangene, bis Juli 1944 ukrainische<br />

Zwangsarbeiter und schließlich<br />

ungarische Juden, unter ih nen Kinder,<br />

Frauen, alte menschen. Viele von ih -<br />

nen starben an Erschöp fung.<br />

in den ersten Apriltagen 1945 war be -<br />

reits das Artilleriefeuer der Sowjet ar -<br />

mee zu hören und am 6. April verließ<br />

der Lagerführer mit seinen Getreuen<br />

den Ort. Einige wenige, darunter der<br />

jüdische Lagerarzt Ernst Balog und<br />

32 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!