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'Die Gemeinde' November 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...

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KULTUR • INLAND<br />

Der subjektive Zugang zu Erinnerungsarbeit<br />

Die einen arbeiten die eigene Famili en -<br />

geschichte auf, bleiben dann hängen, im<br />

Erinnern, Bewahren, Aufzeigen, Mah nen.<br />

Die anderen haben Kindheits-, Jugend er -<br />

in nerungen geprägt. Wieder andere treibt<br />

ein rein wissenschaftliches Interesse an<br />

der Vergangenheit, an dem Entstehen von<br />

Unrechtsstrukturen, an dem Verhindern<br />

neuerlicher Gräuel an. Sie alle kamen bei<br />

dem Symposium „Subjekt des Erin nerns?“<br />

zu Wort, abgehalten anlässlich des 25-<br />

jäh rigen Bestehens der Theodor Kramer-<br />

Gesellschaft im Literarischen Quartier<br />

Alte Schmiede in Wien.<br />

Bereits die Eröffnungsveranstaltung<br />

im Plenarsaal des nationalrats, zu der<br />

Parlamentspräsidentin Barbara Pram -<br />

mer (SPÖ) geladen hatte, endete be rüh -<br />

rend: der Wiener Schauspieler und Re -<br />

gisseur Otto Tausig, der die nS-Zeit <strong>als</strong><br />

Jugendlicher in Groß bri tan ni en <strong>als</strong><br />

Land- und Fabriksar bei ter über lebte,<br />

trug aus Texten von Theo dor Kra mer,<br />

Jura Soyfer, Stella Rotenberg, Berthold<br />

Viertel und Anna Krommer vor. Wie<br />

vorausschauend der eine und andere<br />

Dichter, Schriftsteller die na tio nal so zia -<br />

listische Zukunft vorher ge sehen, er -<br />

ahnt hatte, ließ den Zuhörer betroffen<br />

zu rück. Wie war das mit: wir haben<br />

nichts mitbekommen? Wir tragen kei -<br />

ne Schuld?<br />

Literaturnobelpreisträgerin Elfriede<br />

Jelinek hatte ihre Gefühle zum Thema<br />

erinnern zuvor in einer Grußbot schaft<br />

an die Kramer-Gesellschaft zum Aus -<br />

druck gebracht: „Das Vergangene kann<br />

ja auch keine Auszeit nehmen, denn die<br />

Zeit ist nie aus, sie hält nie an, und sie<br />

kann nichts mehr von dem zurücknehmen,<br />

was geschehen ist. Für die Vergangenheit<br />

gibt es kein Umtauschrecht. Woran sollen<br />

wir uns erinnern, was dürfen und was<br />

müs sen wir vergessen? Können wir et was<br />

vergessen, weil es nachträglich ja doch<br />

nicht zu ändern ist, im Sinne des ‚Glück-<br />

lich ist, wer vergisst?‘ Gibt es eine Be loh -<br />

nung und wäre sie nur ein glückliches<br />

Le ben, was heißt ‚nur‘, das ist eh das Beste,<br />

das man kriegen kann! fürs Ver ges sen?<br />

Und wird bestraft, wer sich erinnert?“<br />

Eva Kollisch hat sich erst sehr spät er -<br />

innert. „Erinnerung lebte in mir, versteckt<br />

wie eine kleine Maus. So konnte<br />

ich, wenn jemand mich in meiner Jugend<br />

und meinen mittleren Jahren fragte, gar<br />

nichts finden, was der Mühe wert war, zu<br />

erzählen. Kindertransport, Wiederver ei ni -<br />

gung mit den Eltern, dann wurde ich<br />

Trotz kistin. Erst <strong>als</strong> ich schon über sechzig<br />

war, empfand ich das starke Be dürf -<br />

nis, an meine Kindheit zurückzudenken.“<br />

Sie schrieb die Bücher „mädchen in<br />

Bewegung“ (2003) und „Der Boden<br />

unter meinen Füßen“ (2007). Vor al lem<br />

letzteres spricht „über vieles, das ich<br />

ver gessen hatte, vergessen wollte, unterdrückte<br />

oder zur Karikatur Österreichs vor<br />

und nach dem ‚Anschluss‘ vereinfacht<br />

hatte, wahrscheinlich damit ich unbeschwert<br />

ein neues Leben beginnen konnte“,<br />

erzählte die heute über 80-Jährige, die<br />

zu dem Symposium aus den USA<br />

nach Wien gereist war. Kollisch war<br />

1939 <strong>als</strong> 13-Jährige mit einem Kinder -<br />

transport über England in die USA<br />

ge langt, wo sie wieder auf ihre Eltern<br />

traf. im Austausch mit anderen Überlebenden<br />

in der Kindertransport-As -<br />

so ciation (KTA) erfuhr sie Jahrzehnte<br />

später, das nur wenigen ein Wie der -<br />

sehen mit ihrer Familie vergönnt war.<br />

mit ein Grund, warum sie selbst sich<br />

lange nicht <strong>als</strong> Opfer sah. Sie hatte<br />

überlebt, sie hatte ihre Familie.<br />

Warum sie mit dem sich erinnern so<br />

lan ge zugewartet habe? „Ich wollte<br />

mein Equilibrum nicht zerstören.“ Auf die<br />

Trotzkisten folgte in den sechziger und<br />

siebziger Jahren die Friedens be we -<br />

gung, sie stieß zu den Femi nis tin nen,<br />

schließlich zur Lesben-Bewe gung. Da -<br />

zwischen gescheiterte Ehen. „Und im -<br />

mer kam ich drauf, dass ich anders war<br />

<strong>als</strong> die anderen.“ Als sie bei einer De -<br />

monstration verhaftet wird, „sah ich in<br />

den Polizisten immer die SA, die SS, uniformierte<br />

Juden-Mordende. In der Zelle<br />

fürchtete ich mich, dass ich jeden Mo ment<br />

von meinen Kolleginnen getrennt und in<br />

einen anderen Raum gesteckt würde. Auch<br />

wenn ich nie den gelben Stern tragen<br />

musste, brannte er auf mir.“ Erst im Aus -<br />

tausch mit Gleichgesinnten im Rah -<br />

men der KTA entstand das Gefühl,<br />

„dass wir doch das Recht hatten, unsere<br />

Geschichte zu erzählen. Das war eine Be -<br />

freiung, das zu fühlen.“<br />

Der Schauspieler Miguel Herz-Kes tra nek<br />

hat die nS-Zeit selbst nicht erlebt,<br />

wurde 1948 in St. Gallen in der Schweiz<br />

<strong>als</strong> Sohn jüdischer Remi gran ten geboren.<br />

Schon <strong>als</strong> Kind habe aber auch er<br />

ein „nicht zuordenbares Ge fühl der Nicht -<br />

zugehörigkeit und des Heimwehs“ er lebt,<br />

erzählte der Künst ler. Das mündete<br />

schließlich in einen „fast sehnsüchtig<br />

prak tizierten persönli chen Umgang mit<br />

ös terreichischen 1938-Emigranten und<br />

ih ren Erzählungen, Befindlichkeiten“.<br />

Zunächst las er Exil-Biografien, später<br />

schrieb er zur Exil the matik und gab<br />

Texte dazu heraus. Heute ist Herz-Kes -<br />

tranek auch Vize prä sident der Ge sell -<br />

schaft für Exilfor schung. 2007 fungierte<br />

er <strong>als</strong> mithe raus geber der großen ös ter -<br />

reichischen Lyrikan thologie des Exils.<br />

Hannah Lessing hat nicht der Umgang<br />

mit Texten, sondern mit Überlebenden<br />

geprägt. Seit 14 Jahren leitet sie den<br />

nationalfonds der Republik Ös ter -<br />

reich, dabei wurde sie mit den Erin -<br />

nerungen von tausenden nS-Op fern<br />

konfrontiert, die es geschafft hatten,<br />

das Terrorregime zu überleben. Für sie<br />

persönlich habe das aber auch bedeutet:<br />

„Konfrontation mit der Vergangen heit<br />

meiner eigenen Familie, mit den eigenen<br />

Erinnerungen, das Bewusstsein, dass mir<br />

manche Erinnerungen für immer fehlen.<br />

Ich habe keine Erinnerungen an meine<br />

Großmutter, die Mutter meines Vaters –<br />

sie wurde in Auschwitz ermordet.“<br />

Wie auch Kollisch berichtet Lessing<br />

über das lange Schweigen. „Ich wuchs<br />

auf in einer Familie, die beherrscht war<br />

vom Schweigen über die Vergangenheit.<br />

Die ses Schweigen herrscht in vielen Fa mi -<br />

lien – in den Familien der Überlebenden,<br />

aber auch in den Familien von Täterin nen<br />

und Tätern. Diese gläserne Wand des<br />

Schweigens ist es, die heute noch den Men -<br />

schen unserer Gesellschaft gemeinsam ist<br />

und sie gleichzeitig voneinander trennt.“<br />

Der Schriftsteller Ludwig Laher ist vor<br />

16 Jahren in die 3.000-Einwohner-<br />

Gemeinde St. Pantaleon im innviertel<br />

gezogen, „der archaischen Schönheit<br />

des ibmer moores“ wegen. Die men -<br />

schen in dieser schönen Landschaft<br />

verhielten sich allerdings alles andere<br />

<strong>als</strong> schön – und was Jahrzehnte lang<br />

verschwiegen worden war, kam in<br />

den 1990-er Jahren durch drei alte Da -<br />

men wieder an die Oberfläche. Laher<br />

unterhielt sich mit ihnen, privat, und<br />

dabei erzählten sie von den grauenvollen<br />

Geschehnissen in den beiden<br />

„Reichsgaulagern“ der nS-Zeit im Ort.<br />

Laher begann zu recherchieren. Da -<br />

von zeugt heute eine Erinne rungs stät -<br />

te im Ort – und sein Roman „Herz-<br />

fleischentartung“.<br />

Als er aus diesem Buch in Ottawa las,<br />

saß im Publikum ein Herr in seinen<br />

Achtzigern, der vor den nazis aus<br />

Wien geflüchtet war und eben seine<br />

Autobiographie veröffentlichte. man<br />

36 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770

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