'Die Gemeinde' November 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...
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KULTUR • INLAND<br />
Paradigmenwechsel im<br />
Umgang mit Täterorten<br />
Linz hat sich <strong>als</strong> Europas Kultur haupt stadt<br />
<strong>2009</strong> auch der eigenen Stadtge schichte<br />
gestellt: rund ein Drittel der heu tigen<br />
Wohn bauten wurden in der NS-Zeit<br />
geschaffen. Monumentale Bau ten wie<br />
die Brückenkopfgebäude, die Nibelun -<br />
gen brücke, viele Straßen, die spätere<br />
Verstaatlichte Industrie erinnern an die<br />
„Führerstadt“. Gemeinsam mit dem<br />
Maut hausen Memorial (Innenminis te ri -<br />
um) und der Österreichischen Aka de mie<br />
der Wissenschaften (ÖAW) lud die Stadt<br />
im September zum Sympo si um „DIS-<br />
TURBING REMAINS. Der Umgang mit<br />
den materiellen Überresten des Natio nal -<br />
sozialismus“ ins Alte Rathaus. Tenor un -<br />
ter den Experten: aus heutiger Sicht sind<br />
auch Täterorte unter Denk mal schutz zu<br />
stellen.<br />
Von Alexia Weiss<br />
Tafeln, um der Opfer des nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />
Unrechtsregimes zu ge -<br />
denken. Denkmäler, um das Unfass -<br />
bare nicht aus der Erinnerung zu entlassen,<br />
wie etwa die Skulptur des auf<br />
allen Vieren Straße waschenden Ju den<br />
von Alfred Hrdlicka vor der Alber ti na<br />
in Wien. Ehemalige Kon zentrations -<br />
la ger <strong>als</strong> memori<strong>als</strong>, Zeu gen einer bis<br />
heute unfassbaren Er niedrigungs- und<br />
Vernichtungs ma schinerie. Wo Jahr -<br />
zehn te lang der mantel des Schwei -<br />
gens drübergebreitet wurde, hat sich<br />
inzwischen verstärkt das Bemühen<br />
um die Erinnerung breit gemacht.<br />
Bis hin zu einer „commemoration<br />
industry“, wie die israelin Dana Ari eli-<br />
Horowitz von der Academy of Art and<br />
Design in Jerusalem bei der Tagung<br />
in Linz anmerkte. Die Verwendung<br />
des Begriffs „industrie“ in diesem<br />
Zu sammenhang will Horowitz übrigens<br />
nicht negativ verstanden wissen,<br />
wie sie auf nachfrage der „Ge mein -<br />
de“ versicherte. Es sei nur eben in -<br />
zwischen so, dass mit dem Erin nern<br />
auch Geld gemacht werde, eine Kom -<br />
merzialisierung stattgefunden habe.<br />
Beispiel Berlin: wenn Touristen hier<br />
den Folder aufmachen, der über an -<br />
gebotene Besichtigungstouren informiert,<br />
stünde da <strong>als</strong> erste Tour: „Fol-<br />
lowing the nazi Reich“. Tatsächlich<br />
haben die Berliner Sightseeing-An -<br />
bieter viel Einschlägiges im Pro gramm.<br />
So bietet www.berlinandmore.com die<br />
Tour „Berlin im Dritten Reich – Auf<br />
den Spuren des na tio nal so zialismus“<br />
an, www.berlin-starting-point.de die<br />
Stadtrundfahrt „national sozialismus<br />
– Drittes Reich“. Hier scheint allerdings<br />
auch bereits der zur Zeit statt -<br />
fin dende Paradigmenwech sel durch:<br />
nicht nur Opferorte werden besucht.<br />
Auch Täterorte gelangen zunehmend<br />
ins interesse des Be trach ters, Besu -<br />
chers, Wissenschafters, Denk mal -<br />
schüt zers.<br />
ist es aber zulässig, einen nS-Täterort<br />
unter Schutz zu stellen? Verleiht man<br />
ihm damit nicht eine Würde und Be -<br />
deutung, die ihm gesellschaftlich niem<strong>als</strong><br />
zukommen darf? Tatsächlich<br />
war der Umgang mit nS-Täterorten<br />
nach Ende des nS-Regimes zunächst<br />
durch Zerstören, Anonymisieren (Ab-<br />
montieren von Hakenkreuzen, Ad lern<br />
und anderen eindeutigen Symbolen),<br />
Unkenntlichmachen (begrünen, überwuchern<br />
lassen) gekennzeichnet.<br />
Die Bauten, die dam<strong>als</strong> in der un mit -<br />
telbaren Gegenwart standen, sind<br />
heute aber „in den Rang der Histori -<br />
zi tät gekommen“, betonte Eva-Maria<br />
Höhle, Generalkonservatorin im Bun -<br />
des denkmalamt. „Wir befinden uns nun<br />
an der Schwelle von der Phase der Erin ne -<br />
rung zur Übernahme der Hinterlassen -<br />
schaf ten durch ein kollektives Gedächt nis.“<br />
Dieses kollektive Gedächtnis aber be -<br />
darf immer wieder einer Verifizie rung.<br />
Und dazu wiederum bedürfe es des<br />
ursprünglichen materi<strong>als</strong>.<br />
„60 Jahre und länger stand das Symbol<br />
im Vordergrund“, sagte Höhne. „Jetzt<br />
ist das Material in den Vordergrund ge -<br />
treten. Den Alltag des Grauens haben die<br />
Opfer im Kopf gehabt.“ Die nachfolgenden<br />
Generationen verfügen allerdings<br />
nicht über diese persönlichen Erin ne -<br />
rungen. nun gehe es um die wissenschaftliche<br />
Aufarbeitung, die zeitgeschichtliche<br />
Aufarbeitung. Und dabei<br />
ist die Arbeit am konkreten Objekt un -<br />
er läss lich. Täterorte müsse man heute<br />
<strong>als</strong>o <strong>als</strong> „Zeugen der Zeit sehen“, so<br />
Höh le, „sie haben einen Dokumenta ti -<br />
ons wert. Alle Facetten, alle Objekte, die<br />
Aus sa gen über eine Zeit treffen, gehören<br />
be han delt und bedürfen daher einer<br />
Unterschutzstellung“.<br />
Wie schwer sich die Gesellschaft im -<br />
mer noch mit diesem Wandel tut, zeigen<br />
die Erfahrungen der Generalkon -<br />
servatorin. „Wenn man NS-Hinter las -<br />
senschaften unter Denkm<strong>als</strong>chutz stellen<br />
will, dann darf man nicht konfliktscheu<br />
sein. Das, was einem da entgegenschlägt,<br />
ist alles andere <strong>als</strong> harmlos.“ Sie betont<br />
allerdings, es sei eben nicht Aufgabe<br />
des Denkm<strong>als</strong>chutzes, interpretatio -<br />
nen vorzunehmen – sondern lediglich<br />
Objekte für die Zukunft und die Ar -<br />
beit mit ihnen in der Zukunft zu si -<br />
chern. „In 50 Jahren gibt es wahrscheinlich<br />
nochm<strong>als</strong> andere Fragestellungen <strong>als</strong><br />
heute.“<br />
„Wir erhalten daher solche Orte, auch<br />
wenn es manchmal schmerzhaft ist“, sag -<br />
te Höhle – Beispiel Bordellbaracke auf<br />
dem Gelände des ehemaligen Kon -<br />
zen trationslagers mauthausen. Die<br />
Erhaltung dieses Baus sei eben „keine<br />
l’art pour l’art“ – auch dieser Vorwurf<br />
34 november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770