'Die Gemeinde' November 2009 als pdf herunterladen - Israelitische ...
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IN EIGENER SACHE<br />
Sprechen Sie hier ausschließlich religiöse<br />
Menschen an?<br />
nein, überhaupt nicht. Bei uns sind<br />
alle willkommen und wir haben die<br />
un terschiedlichsten Gäste, von sehr<br />
re ligiös bis säkular. Es kommen auch<br />
immer wieder junge menschen aus<br />
dem Ausland, die in Wien studieren,<br />
und die Kontakt zur Gemeinde su chen.<br />
Gerade sie sind auch ein Zukunfts po -<br />
tenzial, denn viele von ihnen wollen<br />
in Wien bleiben. Und meine Frau und<br />
ich versuchen natürlich auch jene Ju -<br />
den in der Stadt zu erreichen, die kei -<br />
ne Gemeindemitglieder sind und so<br />
wieder einen Kontakt zur Gemein de<br />
herzustellen.<br />
Wie gehen Sie damit um, wenn Gäste zu<br />
einer Schabbes-Einladung kommen, ohne<br />
die religiöse Tradition für diesen Abend<br />
zu kennen?<br />
Wir machen es auch dann ganz normal,<br />
so wie immer. Jeder kann jederzeit<br />
alles fragen, und bisher haben<br />
sich ganz offensichtlich auch noch alle<br />
wohlgefühlt. Was die Atmosphäre und<br />
die allgemeine Planung unserer Ein la -<br />
dungen betrifft – dies ist das besondere<br />
Anliegen meiner Frau, die jede<br />
Woche bereits ab mittwoch hingebungsvoll<br />
alles alleine vorbereitet, or -<br />
ganisiert, kocht und backt. Und am<br />
Sonntag heißt es dann: Aufräumen.<br />
Ihre Frau will sich aber auch noch<br />
anders engagieren – mit dem Aufbau<br />
einer Wohngemeinschaft für junge<br />
jüdische Frauen und der Einrichtung<br />
einer Mutter-Kind-Gruppe.<br />
Ja, sie ist dabei, hier etwas zu organisieren.<br />
Bei jenem Teil meiner Arbeit,<br />
die sich auf den Stadttempel bezieht,<br />
konzentrieren wir uns beide auf die<br />
Vi sion und die Hoffnung, die Seiten -<br />
stettengasse auch an Wochentagen <strong>als</strong><br />
aktives, lebendiges und zugleich offenes<br />
und tolerantes Gemeindezentrum<br />
der Wiener Juden wiederzubeleben.<br />
Und meine Frau möchte da beson -<br />
ders mithelfen.<br />
Die Wohngemeinschaft ist – analog<br />
dem moishe-Haus, das es für junge<br />
män ner in vielen Städten und auch im<br />
zweiten Bezirk in Wien gibt – für<br />
junge jüdische Frauen gedacht, die es<br />
sich nicht leisten können, zentral und<br />
damit in der nähe des Stadttempels<br />
zu leben. Die jungen Frauen und Stu -<br />
dentinnen können bei sehr geringer<br />
miete dort wohnen, im Gegenzug ver -<br />
pflichten sie sich jedoch, ein offenes<br />
Haus zu führen und sich aktiv in der<br />
Gemeindearbeit einzubringen, um<br />
so mit auch zur Lebendigkeit des<br />
Stadttempels beizutragen.<br />
Und die mutter-Kind-Gruppe soll sich,<br />
wie der name schon sagt, an mütter<br />
mit kleinen Kindern richten, die einander<br />
einmal wöchentlich treffen. Wir<br />
hoffen dadurch gerade auch verstärkt<br />
jungen Familien ein Gemeindegefühl<br />
im und um den Stadttempel geben zu<br />
können. Der Stadttempel, die Haupt -<br />
sy na goge unserer Gemeinde, ist ja ein<br />
offenes Haus für alle – was es natürlich<br />
nicht immer leicht macht, die Hetero -<br />
ge nität seiner Besucher unter einen<br />
Hut zu bekommen. Aber wir versuchen<br />
auch hier das Angebot derart zu<br />
gestalten, dass für jeden etwas dabei<br />
sein kann.<br />
Ihre Frau wird sich <strong>als</strong>o der Kleinsten<br />
und ihrer Mütter annehmen – Sie stehen<br />
seit Beginn des Schuljahrs zwei Mal in<br />
der Woche Schülern <strong>als</strong> Ansprech -<br />
partner zur Verfügung. Wie wird dieses<br />
Angebot angenommen?<br />
Sehr gut. ich habe montags und mittwochs<br />
jeweils zwei Sprechstunden an<br />
der Zwi Perez Chajes-Schule. Die erste<br />
Stunde ist für Schüleranliegen reserviert,<br />
in der zweiten können sich Lehrer,<br />
aber auch Eltern an mich wenden.<br />
ich bin offen für alle. Gleichermaßen<br />
stehe ich natürlich auch für die persönlichen<br />
Anliegen der jüdischen Schü -<br />
ler anderer Schulen zur Verfü gung.<br />
Mit welchen Sorgen wenden sich<br />
Volksschüler an Sie?<br />
Oft mit dem Problem, dass sie glauben<br />
keine Freunde zu haben, dass sie ausgelacht<br />
werden. Es sind meistens Pro -<br />
bleme im Klassenverband, auch –<br />
aber normalerweise weniger - Schwie -<br />
rigkeiten mit Lehrern oder aber schulische<br />
Leistungsprobleme.<br />
Und wie können Sie hier helfen?<br />
manchmal reicht ein Gespräch. man -<br />
che Schüler kommen auch regelmäßig<br />
zu mir. Es freut mich, dass hier ein<br />
Vertrauen seitens der Kinder da ist.<br />
Sie wissen auch, dass ich nicht zu den<br />
Eltern gehe und alles erzähle. Das<br />
schei nen sie zu spüren und intuitiv<br />
zu wissen, dass ich, auch wenn ich<br />
die Sprechstunden an der Schule ab -<br />
halte, eine neutrale Person bin. Und<br />
wenn ich sehe, dass es hilfreich wäre,<br />
hier auch einen Psychologen um Rat<br />
zu fragen, verweise ich an die entsprechenden<br />
Stellen.<br />
Und mit welchen Problemen kommen<br />
Schüler der Sekundarstufe zu Ihnen?<br />
Hier sind es einerseits ebenfalls Kon -<br />
flik te zwischen Schülern, aber auch<br />
Schwierigkeiten mit Lehrern. Sehr<br />
häu fig sind es auch die allgemeinen<br />
Pro bleme, Sorgen und Ängste, denen<br />
sich viele junge menschen in der nicht<br />
immer ganz einfachen Übergangsphase<br />
zwischen Kindheit und Erwach sen -<br />
sein konfrontiert sehen. Und manche<br />
kommen auch zu mir, wenn sie Pro -<br />
bleme mit ihren Eltern haben. Es sind<br />
beispielsweise letzten monat zwei<br />
Jugendliche zu mir gekommen, die aus<br />
traditionellen Familien stammen und<br />
selbst nicht religiös sein wollen. Und<br />
dann gibt es drei andere Schüler aus<br />
säkularen Häusern, die gerne ein religiöses<br />
Leben führen würden, jedoch<br />
bei ihren Eltern auf Unverständnis<br />
stoßen.<br />
Wie gehen Sie mit diesem Problem<br />
des weniger- oder mehr-religiös-sein-<br />
Wollens um?<br />
mir geht es hier vor allem darum,<br />
zwi schen den legitimen Bedürfnissen<br />
der Kinder und dem Alltag der Eltern<br />
zu vermitteln. ich versuche in beiden<br />
Fällen einerseits auf der Seite der El -<br />
tern Verständnis für die Wünsche der<br />
Kinder zu schaffen und andererseits<br />
von Seiten der Kinder den Respekt für<br />
die Eltern zu erhalten beziehungsweise<br />
wieder zu schaffen. Vorausge -<br />
setzt, die Jugendlichen bitten mich<br />
darum, nehme ich hier auch direkt<br />
Kontakt mit den Eltern auf. meine<br />
oberste Priorität ist es, eine gemeinsa-<br />
november <strong>2009</strong> - Cheschwan/Kislew 5770 9