stereoplay Klang aus Licht (Vorschau)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Musik Klassik<br />
SINFONIK Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonien Nr. 36 und 39 Danish National Chamber Orchestra, Adam Fischer (2013)<br />
KLANGTIPP<br />
Musik: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■<br />
<strong>Klang</strong>: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■<br />
Dacapo 6.220546 (57:19, SACD)<br />
VOKAL<br />
Aufbruchsstimmung<br />
René Jacobs läutet gern die Novitätenschelle,<br />
auch und gerade wenn er<br />
Bekanntes einspielt. Im Fall der Matthäus-Passion<br />
gilt die Verheißung neuen<br />
<strong>Licht</strong>s allerdings nur der Treue zu<br />
dem, was klipp und klar in Bachs Partitur<br />
steht, aber nur selten konsequent<br />
beherzigt wird: zur Doppelchörigkeit<br />
inklusive doppeltem Solisten-Ensemble<br />
und zum Raumklangeffekt, für<br />
den eine pl<strong>aus</strong>ible Begründung vor<br />
Ort – in der Leipziger Thomaskirche<br />
KLANGTIPP – gefunden wurde. Demgemäß konfrontieren<br />
hier die virtuellen „Empo-<br />
Musik: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■<br />
<strong>Klang</strong>: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ren“ der Studio-Elektronik einen Ak-<br />
harmonia mundi 802156.58 (2 SACDs)<br />
tionschor des biblischen Geschehens<br />
und einen reflektierenden Fernchor:<br />
stärker besetzt und fulminant klingend<br />
der erste, auratisch und trotzdem<br />
prägnant, in den Vokalparts freilich<br />
mit reichlich Elektrohall versetzt<br />
der zweite.<br />
Doch nicht die Raumklang-Konzeptkunst<br />
macht den Rang dieser Einspielung<br />
<strong>aus</strong>, erst recht nicht der Tick des<br />
Dirigenten mit chorischen Besetzungsvarianten.<br />
Überragend ist vielmehr,<br />
wie René Jacobs die Passion als<br />
menschliches Drama realisiert: mit<br />
Klängen von geradezu existenzieller<br />
Adam Fischer, der Ältere der beiden dirigierenden<br />
Brüder <strong>aus</strong> Budapest, liebt<br />
die Wiener Klassik, und er hat einen langen<br />
Atem: Bereits im alten Jahrt<strong>aus</strong>end<br />
arbeitete er in Eisenstadt 14 Jahre lang<br />
an seiner Gesamteinspielung der Sinfonien<br />
Haydns. Jetzt feilt er bereits im siebten<br />
Jahr in Kopenhagen mit dem exzellenten,<br />
forsch attackierenden Dänischen<br />
Kammerorchester an seinem Mozart-<br />
Zyklus und ist mittlerweile bei der „Linzer“<br />
KV 425 und der späten Es-Dur KV<br />
543 angekommen.<br />
Das künstlerische Ergebnis rechtfertigt den jahrelangen<br />
Einsatz, denn es gelingt ihm, auch in diesen beiden<br />
populären Werken neue Akzente der Frische und<br />
einer „historisch orientierten“ Schlagkraft und Transparenz<br />
zu setzen, die sehr resolut und mit stets prägnantem<br />
Paukeneinsatz den Mozart der Wiener Jahre<br />
von aller romantischen Schönfärberei befreit: Diesen<br />
energischen, der Realität des Lebens zugewandten, zutiefst<br />
theatralischen Grundzug des reifen Mozart spürt<br />
man schon im Kopfsatz der „Linzer“, der sich zwar an<br />
Haydn orientiert, doch den sinfonischen Kontext mit<br />
Mozartischer Lebensenergie durchflutet und als menschliche<br />
Interaktion, als Bühnengeschehen kenntlich<br />
macht.<br />
Noch deutlicher werden Fischers historisierende Schärfe<br />
und seine Fähigkeit, Mozarts Strukturen dramatisch<br />
aufzuladen, in der späten Es-Dur-Sinfonie, die er konsequent<br />
von Freimaurer-Dünkel und falscher Feierlichkeit<br />
befreit, um ihre wirklichen Lebenskräfte, ihr inneres<br />
Feuer zu entfachen. Fischer sieht in Mozart also<br />
nicht unbedingt einen frühen Romantiker, sondern verortet<br />
ihn in der Nähe Haydns – als einen ähnlich experimentierfreudigen,<br />
ähnlich innovativen Klassiker. So<br />
treibt er seine hoch motivierte 40-köpfige Truppe zu<br />
einer nervig pulsierenden, impulsiv kontrastreichen<br />
Spielweise an, die mit sehr flüssigen Tempi und gehörigem<br />
Druck das „instrumentale Drama“ in den Vordergrund<br />
rückt und auch hier die unmittelbare Nähe<br />
von Mozarts großen Opern spüren lässt. Da herrschen<br />
allenthalben Aufbruchsstimmung und energische Zuversicht.<br />
Eine spannende Frischzellenkur.<br />
Attila Csampai<br />
Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion RIAS Kammerchor, Akademie für Alte Musik Berlin, Jacobs (2012)<br />
VOKAL<br />
Als Zeichen der Versöhnung sollten<br />
die Solisten der Uraufführung von<br />
Brittens „War Requiem“ die im Zweiten<br />
Weltkrieg verfeindeten Nationen<br />
wieder zusammenführen. Doch der<br />
Russin Galina Vishnevskaja, die mit<br />
dem Briten Peter Pears und dem<br />
Deutschen Dietrich Fischer-Dieskau<br />
in der neu erbauten Kathedrale von<br />
Coventry singen sollte, wurde im Mai<br />
1962 die Ausreise <strong>aus</strong> der UdSSR verweigert;<br />
an ihrer Stelle sang die britische<br />
Sopranistin Heather Harper.<br />
KLANGTIPP<br />
Musik: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Immerhin konnte Britten für die Plattenaufnahme<br />
des Werkes wenig spä-<br />
<strong>Klang</strong>: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■<br />
Warner 50999 6 15448 2 6 (80:05)<br />
ter seine Wunschbesetzung dokumentieren.<br />
Die kürzlich wieder aufgelegte<br />
Decca-Produktion gilt seither als<br />
Referenz-Einspielung.<br />
An der im Britten-Jahr entstandenen<br />
Aufnahme unter Antonio Pappano<br />
mag man bemängeln, dass die Besetzung<br />
mit einem amerikanischen Bariton<br />
die (Versöhnungs-)Dramaturgie<br />
verwischt; doch überzeugt der<br />
Wahl-Wiener Thomas Hampson mit<br />
differenzierter Gestaltung durch<strong>aus</strong><br />
als Nachfolger Fischer-Diesk<strong>aus</strong>. Wie<br />
sein Vorgänger Pears entwirft Ian Bostridge<br />
ein berührendes Bild fragiler<br />
Das Mutterschiff des Dänischen Kammerorchesters:<br />
das Konzerth<strong>aus</strong> in Kopenhagen<br />
Intensität, mit Drastik und Charakterisierungsvermögen,<br />
mit atemberaubendem<br />
Timing in den erregenden<br />
Arien und im Evangelistenbericht<br />
des her<strong>aus</strong>ragenden Werner Güra.<br />
Exzellent musizieren der RIAS-Kammerchor<br />
und die Akademie für Alte<br />
Musik. Und auch wenn keineswegs<br />
alle Solisten Güras Niveau erreichen:<br />
Selbst das Unzulängliche wird hier<br />
zum Ereignis. So nahe ging einem die<br />
Matthäus-Passion schon lange nicht<br />
mehr.<br />
Martin Mezger<br />
Benjamin Britten: War Requiem Netrebko, Bostridge, Hampson, Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Pappano (2013)<br />
Innerlichkeit. Und Anna Netrebko<br />
glänzt in einer vor Intensität brennenden<br />
Deutung ihrer Partie.<br />
Pappanos Lesart klingt weniger expressiv<br />
und durchlitten als Brittens<br />
Interpretation. Dafür leuchtet er die<br />
Partitur mit starken Kontrasten und<br />
monumentalem Einsatz von Perkussion,<br />
Chorstimmen und Blech <strong>aus</strong>.<br />
Mit ihrem plastischen <strong>Klang</strong>bild ist<br />
diese Einspielung eine echte Alternative<br />
zu Brittens Aufnahme.<br />
Miquel Cabruja<br />
148 1/14 <strong>stereoplay</strong>.de