Wirtschaftswoche Ausgabe vom 21.12.13 (Vorschau)
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Unternehmen&Märkte<br />
JAPAN | Kashiwazaki<br />
Neuanlauf ins Atomzeitalter<br />
Tepco steht für The Tokyo<br />
Kashiwasaki<br />
Electric Power Company. Es<br />
könnte aber auch die Abkürzung<br />
für total entgleist, peinlich, chaotisch<br />
und obsolet sein. Denn seit dem<br />
Atomdesaster in Fukushima 2011 repräsentiert<br />
der japanische AKW-Betreiber den<br />
größten anzunehmenden Unternehmenshorror:<br />
hohe Milliardenverluste, Rettung<br />
durch den Staat per Übernahme der Aktienmehrheit,<br />
Abschaltung wichtiger Produktionsstätten,<br />
sprich: aller AKW.<br />
Im Juli wird sich zeigen, welches Leben<br />
es für Tepco nach dem Nahtod gibt. Dann<br />
will der Konzern die Atomanlage Kashiwazaki-Kariwa<br />
an Japans Westküste wieder in<br />
Betrieb nehmen, mit sieben Reaktoren die<br />
größte Atommeiler-Ansammlung der Welt.<br />
Führe das Monstrum die Stromerzeugung<br />
wieder hoch, brächte es Tepco auf einen<br />
Schlag fünf Milliarden Euro Betriebsgewinn<br />
und sparte teure fossile Brennstoffe<br />
für Ersatzkraftwerke. Der Gesamtkonzern<br />
schriebe erstmals ohne Staatshilfe wieder<br />
schwarze Zahlen und könnte sich über Anleihen<br />
finanzieren.<br />
Dazu benötigt Tepco jedoch die Genehmigung<br />
zum Neustart der zwei modernsten<br />
Atommeiler von Kashiwazaki. Diese<br />
Siedewasserreaktoren der dritten Generation<br />
verfügen über je knapp 1400 Megawatt<br />
Bruttoleistung und erfüllen die neuen<br />
Sicherheitsauflagen am schnellsten.<br />
Doch ein Freibrief ist das nicht. Denn die<br />
japanische Atombehörde NRA will die Sicherheitsprüfung<br />
der beiden Meiler sofort<br />
stoppen, falls es neue Probleme im havarierten<br />
AKW Fukushima gibt. Die Atomaufseher<br />
wollen mit dieser Drohung verhindern,<br />
dass Tepco sich eher auf den Neustart<br />
in Kashiwazaki als auf die radioaktiven<br />
Lecks in Fukushima konzentriert.<br />
Die Behörde will zudem den geologischen<br />
Untergrund untersuchen. Bei einem<br />
Erdbeben 2007 wurden Kraftwerksanlagen<br />
beschädigt, obwohl der Standort sicher<br />
sein sollte. Drei der sieben Reaktoren blieben<br />
seitdem abgeschaltet, nach Fukushima<br />
mussten auch die anderen vier <strong>vom</strong><br />
Netz. Tepco bestreitet Aktivitäten der Erdspalten,<br />
aber den Aufsehern reichen die<br />
vorgelegten Daten nicht. Zudem müssen<br />
die Anwohner dem Ablassen von radioaktivem<br />
Gas im Katastrophenfall zustimmen,<br />
sonst wird der Neustart nicht genehmigt.<br />
Hirohiko Izumida, der zuständige Gouverneur<br />
der Präfektur Niigata, in der die gigantische<br />
Anlage liegt, hält die Pläne für<br />
ein Luftschloss. Er misstraut der Lernfähigkeit<br />
des Konzerns und fordert seine Zerschlagung.<br />
Pech für Tepco: Izumida besitzt<br />
ein Vetorecht für das AKW Kashiwazaki.<br />
Darum legt Tepco ihm einen Köder aus:<br />
Der Strompreis sinkt, sobald vier Kashiwazaki-Reaktoren<br />
wieder ans Netz gehen.<br />
martin.fritz@wiwo.de | Tokio<br />
Köder niedriger Strompreis<br />
Atomkraftwerk Kashiwazaki<br />
BELGIEN | Europäische Union<br />
Daumenschrauben<br />
für Deutschland<br />
Brüssel wechselt 2014 in<br />
großem Stil sein Personal:<br />
Brüssel<br />
Ende Mai wird ein neues<br />
Europaparlament gewählt,<br />
im November tritt eine<br />
neue EU-Kommission an. Das dürfte den<br />
Politbetrieb zeitweise verlangsamen. Auf<br />
wichtige Weichenstellungen muss sich die<br />
deutsche Industrie aber einstellen.<br />
Vor allem dem Erneuerbare-Energien-<br />
Gesetz (EEG) und damit der Energiewende<br />
droht die Totalrevision durch Brüssel. EU-<br />
Energiekommissar Günther Oettinger ist<br />
überzeugt, dass die Änderungen, die von<br />
den Unterhändlern der großen Koalition<br />
an dem Paragrafenwerk und Großprojekt<br />
beschlossen wurden, dem Gemeinschaftsrecht<br />
nicht genügen.<br />
Oettingers wichtigster Kombattant ist<br />
Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia,<br />
der im Dezember ein Beihilfeverfahren<br />
zum EEG eingeleitet hat. In Brüssel<br />
herrscht große Skepsis, ob die massiven<br />
Ausnahmen für stromintensive Unternehmen<br />
mit europäischen Gesetzen vereinbar<br />
sind. Im Extremfall könnte Brüssel die Befreiung<br />
der 1716 Unternehmen rückgängig<br />
machen und die Unternehmen zwingen,<br />
die ersparte Umlage der vergangenen zehn<br />
Jahren zurückzubezahlen. Hinzukommt,<br />
dass Almunia noch im Sommer weitreichende<br />
energiepolitische Leitlinien durchsetzen<br />
will. Dann könnten die Vorschriften<br />
fallen, die den Erzeugern langfristig die<br />
Einspeisung von Ökostrom garantieren.<br />
Almunia wird seinen Posten zwar Ende<br />
Oktober aufgeben, das Verfahren gegen<br />
Deutschland und die neuen Leitlinien sind<br />
davon jedoch unberührt.<br />
Ähnliche grundlegende Eingriffe stehen<br />
den deutschen Autobauern bevor. Anfang<br />
2014 wird die Beschränkung auf durchschnittlich<br />
95 Gramm CO 2 -Ausstoß pro<br />
Kilometer auf EU-Ebene endgültig entschieden<br />
– ab dem Jahr 2021. Bei Verstößen<br />
drohen empfindliche Strafen.<br />
Die Deutsche Bahn hofft auf Hilfe von<br />
ganz oben, um das „vierte Eisenbahnpaket“<br />
zu ihren Gunsten aufzuweichen. EU-<br />
Verkehrskommissar Siim Kallas plant mit<br />
dem Gesetz eine stärkere Trennung von<br />
Netz und Betrieb. Ursprünglich verlangte<br />
er die komplette Zerschlagung von inte-<br />
FOTOS: IMAGES.DE/LINEAIR/TOM KÖNE, BLOOMBERG NEWS/ANDREY RUDAKOV<br />
66 Nr. 52 21.12.2013 WirtschaftsWoche<br />
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