utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Zürcher Sprayer<br />
Jenseits der Räume<br />
Über die Kunst, den Fiingem zu entgehen<br />
"Das war so : es war eine Ausstellung<br />
der Züricher Künstler, eine dieser jährlichen<br />
Ausstellungen, an der auch ich teilgenommen<br />
habe. Ich habe Collagen, aufgestellt<br />
- einige haben recht viel gekostet, so<br />
3000 Schweizer Franken - , und auf einen<br />
Zettel habe ich geschrieben: Wenn Sie kein<br />
Geld haben, dann können Sie bei mir anrufen<br />
und ein Kunstwerk einfach umsonst haben.<br />
Da haben sich sieben Leute gemeldet.<br />
Der eine glaubte, er würde eine Gelegenheit<br />
haben, zu außerordentlich billigen<br />
Preisen etwas kaufen zu können. Ich sagte<br />
ihm: Nein, Sie können die Sachen nur umsonst<br />
haben, gegen Geld kann ich nichts<br />
geben. Da sagte er: Das kann ich nicht annehmen.<br />
Und dann gab es andere, die zwar<br />
etwas genommen haben, jedoch kein einziger<br />
wirklich zu diesen Bedingungen, die ich<br />
gestellt hatte, daß es vollkommen umsonst<br />
sein soll. Das wenigste war, daß einer eine<br />
Tafel Schokolade gebracht hat. Und eine<br />
Frau hat mir gesagt: Sie können bei mir in<br />
einem Ferienhäuschen im Tessin wohnen,<br />
ein ganzes Jahr lang. Da dachte ich mir : das<br />
ist irgendwie auch gut, und bin dort hingegangen.<br />
Authentisches Draußen<br />
Und in dieser Zeit ist auch die Idee des<br />
Sprayens schon sehr lebendjg bei mir gewesen.<br />
Und da habe ich eine ungeheure<br />
Eulenspiegelei getrieben. Ich ging nämlich<br />
tagsüber als sehr anständig angezogener<br />
Bürger herum, die Krawatte hätte noch gefehlt,<br />
und habe harmlose Aquarellehen gemalt,<br />
wunderschöne Landschäftlein, ganz<br />
bieder und vor aller Leute Augen. Und ich<br />
habe auch den Menschen immer nach dem<br />
Mund geredet, und die haben gesagt: Ach,<br />
ist das schön! Und ich habe gehöfelt und<br />
Zungen geschleckt, und die Leute haben<br />
gesagt: Das ist aber ein anständiger, liebenswürdiger<br />
Herr. Und eines Tages bin<br />
ich sozusagen als kleiner Kunstreisender in<br />
ein naheliegendes Dörflein hineingewandert<br />
und wollte den Rokoko-Saal sehen, der<br />
hat dem Oberpfarrer gehört. Und der hat<br />
mich ganz schroff abgewiesen, der war<br />
ganz mürrisch und hat meine Rachlust herausgefordert.<br />
Und ich sagte mir: Na warte,<br />
ich will dir mal .. . Das war so ein dickbäuchiger<br />
Kaplan, irgend so ein höherer Würdenträger.<br />
Dann bin ich nachts um zwei<br />
Uhr bei Mondschein losmarschiert und bin<br />
bei seiner Residenz angekommen. Es war<br />
14<br />
ein sehr schönes Gebäude, und sein Haus<br />
war genau neben der Kirche. Und da habe<br />
ich ihm einen unerhört häßlichen, dickbäuchigen<br />
Teufel als Türwächter hingepflanzt<br />
- nein, das waren zwei sogar. Die waren so<br />
gruselig, sahen so furchtbar aus und saßen<br />
da und haben den Pfarrer erwartet. Und<br />
dann muß man sich vorstellen, daß am<br />
Sonntag morgenalldie Leute in die Kirche<br />
gehen und das gesehen haben. So hat das<br />
begonnen. Und daher konnte ich im Kunstbetrieb<br />
gar nicht auffallen. Ich aktioniere<br />
nicht innerhalb des Kunstbetriebs, sondern<br />
außerhalb. Deshalb kann es nur so sein, daß<br />
der Kunstbetrieb etwas annektiert, was außerhalb<br />
von ihm selber geschieht. Und ich<br />
habe immer das Gefiihl, die können nur den<br />
Abklatsch der eigentlichen Produkte in rue<br />
Räume einsperren, die Fotografie ist eine<br />
ganz andere Dimension als das Produkt<br />
selbst. Insofern habe ich auch nicht den<br />
Eindruck, daß eine Vereinnahmung geschehen<br />
kann. Das Authentische ist eben<br />
ständig außerhalb. Es entzieht sich immer<br />
wieder dem Zugriff des Museumsbetriebs.<br />
Das Authentische können nur die Originale<br />
sein, nicht die Nachbildungen. Denn die<br />
Nachbildungen sind schon wieder eine<br />
neue Welt.<br />
Die Kraft, das Produkt<br />
Ich glaube, daß es in erster Linie so ist:<br />
bei mir ist das entscheidende das Produzieren<br />
als solches. Schon das Produkt, wenn es<br />
geschehen ist, kann mich nicht mehr so<br />
sehr interessieren. Der Zeugungsakt ist der<br />
entscheidende, und ich gehe da von einem<br />
philosophischen Satz aus: "Von den Produkten<br />
absehen, zu den bewegenden Kräften<br />
vorstoßen!" Mich interessieren also nur<br />
dje zeugenden Energien, rue mich durchfluten<br />
und die dann eben ein Produkt erzeugen.<br />
Aber das Produkt selbst und was<br />
mit ihm geschieht ist etwas, das mich nicht<br />
sehr interessiert. Das Produkt ist da, aber<br />
das, was zum Produkt gefiihrt hat, entzieht<br />
sich ständig. Vielleicht sind das Kräfte oder<br />
Energien, dje mit Gestaltungslust, Zeugungslust,<br />
mit Zerstörungslust, mit archaischen<br />
Themen einen Zusammenhang haben.<br />
Ich war wahrscheinlich in meinem<br />
Vorleben ein Höhlenzeichner. Nun bin ich<br />
also anachronistisch in eine Zeit hineingeraten,<br />
in der ein kapitalistisches Denken<br />
vorherrscht, in der die Produkte verkauft<br />
werden müssen, und so entsteht etwas sehr<br />
Anachronistisches oder vielleicht auch<br />
wieder ganz Aktuelles. Man kann sagen,<br />
daß die Landschaft ganz amorph ist: das ist<br />
eine an sich schon kaputte städtische Welt<br />
oder eine kaputte Gesellschaft, in der man<br />
eben so, wenn man sich diese Lust erlaubt,<br />
einfach zuschlagen kann. Und da muß man<br />
eine Kraft aufWenden, und ich bin immer<br />
wieder frei und beseligt, wenn ich die Energie<br />
aufbringe, es zu tun. Sicher sind meine<br />
Arbeiten abhängig von dem Kontext, in<br />
dem sie gesprüht sind, ich nutze, Ecken,<br />
Winkel, Treppen oder Geländer. Es gibt ja<br />
keine Äußerung, die nicht irgendwie auch<br />
abhängig ist. Und meine Sachen sind außerordentlich<br />
von ihren Trägem abhängig.<br />
Das heißt, diese Träger und ihr ideologischer<br />
Hintergrund spielen natürlich stark<br />
mit. Das produziert noch eine Wirkung mit.<br />
Während eine Galerie oder ein Museum so<br />
ein luftiger Raum ist. Alles ist erlaubt, und<br />
gerade durch diesen Freiraum wird jede<br />
Wirkung vernichtet. Indessen: im tabuisierten<br />
Raum der Städte und der Gesellschaft<br />
wirkt natürlich alles gerade deshalb,<br />
weil das Tabu wirklich gebrochen wird. Die<br />
Aufgabe des Künstlers ist fiir mich tatsächlich,<br />
Tabus und Zensuren infrage zu stellen.<br />
Und wenn der Kunstbetrieb es ist, der die<br />
Künstler sozusagen aufsaugt, der sie davon<br />
abhält, die wahren Tabus zu brechen, dann<br />
müßte zunächst der Kunstbetrieb von diesen<br />
Künstlern als Tabu aufgebrochen werden.<br />
Aber das tun sie nicht, weil sie jede Äußerung<br />
in einem Kunstbetrieb machen, der<br />
ihnen kaum Widerstände bietet. Die rennen<br />
doch offene Türen ein. Sie versuchen<br />
das mit einer Kunstlösung, indem sie immer<br />
wieder sagen : Bitte schaut das, was ich mache,<br />
als gar keine Kunst an. Sie versuchen es<br />
mit einem Notbehelf Aber das bleibt wirkungslos<br />
- aber das ist deren Problem.<br />
Den Fängern entgehen<br />
Man hat mich ein paarmal erwischt,<br />
nicht nur in Zürich. Das läßt sich gar nicht<br />
vermeiden, wenn man sehr aktiv ist. Man<br />
muß das so sehen: die Gegenseite ist nicht<br />
machtlos. Daher geht es immer darum, mit<br />
äußerster Geschicklichkeit ruese feindlichen<br />
Mächte zu überlisten. Da man aber<br />
auch schließlich nur ein Mensch ist, passieren<br />
Fehler. Und außerdem sind die Gegner<br />
außerordenilich in der Überzahl. Aber andererseits<br />
gibt es da ungeheure Löcher in<br />
dem Netzwerk. Meine Kunst ist vor allem