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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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1 7 .Jahrhundert anschaulich<br />

machen: gewissermaßen das<br />

was wir heute den .. alltäglich~n<br />

Faschismus" nennen. Berichte<br />

und Aufzeichnungen über Hinnchtungen<br />

während der Spanischen<br />

Inquisition gibt es zur Genüge<br />

(und sie werden in Madrid<br />

auch gezeigt). Dagegen erweist<br />

sich, was nicht verwunderlich<br />

ist, daß über die Praktiken der<br />

Inquisition, über Denunziationen,<br />

Festnahmen, Verhöre und<br />

Folter die Quellenlage nicht so<br />

reich ist. Denn auch die Inquisition<br />

hat die Akten über ihre eigene<br />

Arbeit weitgehend vernichtet,<br />

ganz so wie es die Geheimpolizei-Apparate<br />

der verschiedenen<br />

Couleur bis auf den<br />

heutigen Tag handhaben.<br />

Eine Ausstellung wie diese, die<br />

ernsthaft und ohne Beschönigung<br />

im Land selbst ein so heikles<br />

Theme wie die spanischk~~holische<br />

Inquisition aufgreift,<br />

ware vor wenigen Jahren noch<br />

unde':kbar gewesen in Spanien.<br />

Daß s1e heute stattfinden kann<br />

auch gegen eine eher hinhalte~de<br />

Taktik kirchlicher Stellen<br />

macht doch deutlich, daß d~r<br />

Fortschritt in Spanien eine<br />

Chance hat. Es spricht <strong>für</strong> das<br />

Selbstbewußtsein der demokratischen<br />

Kräfte in Spanien, daß<br />

man sich nicht scheute, auch<br />

den Besuch von Papst Johannes<br />

~aul II. während der Inquisitions-Ausstellung<br />

stattfinden zu<br />

lassen.<br />

Ich sah viele junge Leute in<br />

Jeans und Parkas in dieser Ausstellung;<br />

neugierig und lerneifrig<br />

folgten sie dieser anschaulichen<br />

Lektion in Geschichte. Ich<br />

sah aber auch nicht wenige jener<br />

unauffällig-elegant gekleideten<br />

Herren, welche direkt von<br />

den Granden der Inquisitionszelt<br />

abzustammen schienen.<br />

Täusche ich mich oder drückten<br />

die spöttische heruntergezogenen<br />

Mundwinkel dieser Caballeros<br />

eher Stolz als Abscheu angesichts<br />

der ausgestellten lnquisitionsgreuel<br />

aus?<br />

Bilder einer Ausstellung, die<br />

s1ch emprägen. Und auch dies<br />

gehört zu meinem Madrid-Trip:<br />

Ich gmg vom Palacio Velasquez<br />

durch den Park direkt zur Cason<br />

de Buen Retiro, einem Gebäude<br />

des Prado-Museums, wo seit<br />

dem 25. Oktober des vergangenen<br />

Jahres Picassos Schrekkensvision<br />

.. Guernica" zu sehen<br />

ist.<br />

Alfred Paffenholz, Hannover<br />

Nicht mehr ergriffen I Be~lin, 11. Dezember,<br />

zw1schen Schreibtisch<br />

und Telefo!l. ~lso: die "Spuren" sollen neu gestartet<br />

we~den. M1t e1nem aktuellen Magazin, einem viel<br />

bre1teren Programm- war wirklich "breit" das Wort?<br />

- und gan~ ak!_uell. ~enn ic~ ein~ kleine Besprechung<br />

daf':-'r hatte, b1tte schon. Erne Reflexion dürfte<br />

es auch sem.<br />

Was heißt hier "aktuell"? Was steht denn auf dem<br />

Kalender?<br />

Heute vor 40 Jahren haben sich<br />

Jochen Klepper, seine Frau Johanna<br />

und deren Tochter Renate<br />

in ihrer Küche vergast. Die<br />

Frauen wurden als Jüdinnen<br />

verfolgt, sollten deportiert werden;<br />

er konnte sie nicht mehr<br />

schützen. Er hatte sein ganzes<br />

Renommee als braver Deutscher<br />

und Soldat, als angesehener<br />

Autor, als Verherrlicher des<br />

.. autonomen" Preußentums, des<br />

tief religiösen, tief konservativen<br />

Vaters des .,großen" Friedrich,<br />

in die Waagschale geworfen.<br />

Es blieb ihnen kein Ausweg, als<br />

s1ch das selbst anzutun, was andernfalls<br />

den Frauen auf dem<br />

Transport oder in Auschwitz zugefügt<br />

worden wäre. Wenigstens<br />

.,gingen sie gemeinsam in<br />

den Tod". So steht es auf dem<br />

Gedenkstein. So hatte er es in<br />

sein Tagebuch geschrieben.<br />

Gingen? Wenigstens gemeinsam?<br />

Die Worte sollen das letzte,<br />

verzweifelte Aufbäumen des<br />

eigenen Willens unterstreichen.<br />

Sie können es aber nicht festhalten:<br />

Die gleichen Worte<br />

wurden pald danach die stereotype<br />

Trauerformel über Millionen<br />

von Juden, wenn die deutschen<br />

Henker sie abgeholt und<br />

umgebracht hatten.<br />

Di~ kurz_e G~denkfeier mittags<br />

ze1gt: D1e K1rchen haben dieses<br />

.,Opfer des Rassenwahns" voll<br />

heimgeholt, ja sich einverleibt.<br />

(Eigentlich waren es ja drei Opfer,<br />

aber d1e Stunde gilt dem einen:<br />

dem Mann, dem interessanten<br />

und frommen). Jochen<br />

Klepper geschieht damit kein<br />

Unrecht. Er war gern in seiner<br />

protestantischen Kirche ein<br />

.. Glied" seiner Gemeind~ . An<br />

seinem Schreibtisch hatte er die<br />

Bibel immer .,griffbereit". Er wäre<br />

froh zu sehen, daß jetzt mehrere<br />

seiner Lieder im Gesangbuch<br />

stehen: leise, ein bißchen<br />

unerlöst wirkende Verse nicht<br />

tröstlich, aber sich bescheidend<br />

in zeitgenössischen Vertonun- '<br />

gen von einer ähnlichen demonstrativen<br />

Fraglichkeit. Zwei werden<br />

hier gesungen. Eins steht<br />

auch im_ katholischen Gesangbuch.<br />

D1e be1den Kirchen haben<br />

sich zu dieser Feier zusammengetan.<br />

Eine fromme Jüdin legt, als alles<br />

vorbei ist, drei Steine auf<br />

den Gedenkstein, weil es eben<br />

doch drei Menschen waren<br />

nicht bloß der eine .. und di~<br />

Se_inen". Alles hat seine Richtigkelt.<br />

Auf dem Gedenkstein<br />

1961 errichtet, am Anfang des<br />

.. Jochen-Klepper-Weges" durch<br />

eme Parkanlage in Nikolassee<br />

stehen nur Bibelworte, nichts'<br />

von Klepper selbst. Die Kirche<br />

fand es damals noch nötig, den<br />

Selbstmördern ein .. Vergib uns<br />

unsere Schuld" mitzugeben.<br />

Das kann heute in den Ansprachen<br />

wegbleiben. Etwa 70<br />

Menschen, meist ältere und al ­<br />

te, sind dazu gekommen - bei<br />

der Beerdigung vor 40 Jahren<br />

waren es ebenso viele, damals<br />

stand die Gestapo hinter und<br />

zwischen ihnen. Die heutigen<br />

Trauergäste sehen hochachtungsvoll<br />

und freundlich drein.<br />

Nach 40 Jahren ist man nicht<br />

mehr ergriffen. Die kirchliche<br />

Regie, nicht besonders gekonnt,<br />

nur selbstverständlich,<br />

verbreitet Frieden über alles<br />

Gewesene.<br />

Zu diesem Begütigungsmonopol<br />

bei Trauerfeiern gibt es in<br />

unserer Gesellschaft keine Alternative.<br />

Mein Gott, dem Jochen<br />

Klepper fehlte es sein<br />

Lebtag bis zu seinem stillen<br />

Hinscheiden (mit 39 Jahren)<br />

nicht an Frieden. Er hatte viel<br />

zu viel davon. Den herbeigebeteten;<br />

den selbstgedichteten·<br />

den Frieden Gottes, welcher '<br />

höher ist als alle Vernunft und<br />

der ihm viel von den Scheußlichkeiten<br />

in seiner nächsten<br />

Nähe zudeckte.<br />

Seine Freiwilligkeit. durch generatlonenlangen<br />

Protestantismus<br />

anerzogen, lähmte und<br />

verkleinerte ihn. Weil er so entsetzlieh<br />

gutgläubig war (und<br />

weil er z.B . selbst das Verbrec~en<br />

gefälschter Ausweispa­<br />

PI':lre scheute), blieb er unfähig,<br />

seme so unendlich geliebten<br />

Angehörigen zu retten, die sich<br />

.. natürlich" auf ihn verließen.<br />

Weil .. Gutes von ihnen reden<br />

und alles zum Besten kehren"<br />

in Luthers Katechismus steht<br />

nämlich über Eitern und sonstige<br />

Obrigkeiten, schrieb er noch<br />

1938 zu den Nachrichten über<br />

Niemöllers Prozeß und Wiecherts<br />

offenen Protest in sein<br />

. Tagebuch (er meinte es nicht<br />

ironisch): .. Sie sind nicht dankbar<br />

da<strong>für</strong>, wieviel der Staat uns<br />

noch läßt". Der Irrsinn dieser<br />

Selbstlähmung durch Stillhalten<br />

und Hinnehmen darf nicht<br />

abgesegnet, nicht <strong>für</strong> notwendig<br />

erklärt werden.<br />

Jochen Klepper sprach auch<br />

mit großer Scham vom eigenen<br />

Versagen und dem seiner Generation.<br />

Er sah selber die Auslöschung<br />

seiner Person, seines<br />

Gesichts, seines Werkes, die<br />

schrittweise Annäherung an<br />

das Verhaßte - Soldatengedichte<br />

ja, Polizeigedichte nein !<br />

Seine Tagebücher verfolgen<br />

n1cht nur die zähe Herstellung<br />

des Inneren Friedens. Sie lassen<br />

auch die entsetzlichen Kosten<br />

dieses Geschäfts erken ­<br />

nen. Rita Thaimann hat in ihrer<br />

vorzüglichen Biographie .,Jochen<br />

Klepper- Ein Leben zwischen<br />

Idyllen und Katastrophen"<br />

( 1978) die Bildung dieser<br />

stillen, ins Innere versenkten<br />

Identität und die Einrichtung<br />

in einer vom Faschismus<br />

beherrschten Realität Schritt<br />

<strong>für</strong> Schritt nachgezeichnet : mit<br />

beklemmenden Einsichten bis<br />

heute.<br />

Gerhard Bauer, Berlin<br />

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