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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Bild über die Jahrhunderte in<br />

der Theatergeschichte fixiert<br />

hat: blaß, gedankenreich, mit<br />

plötzlichen Aufwallungen verlorenen<br />

Lebens und aberzogener<br />

Leidenschaft rätselhaft und<br />

doch uns anziehend -wir wissen<br />

nicht warum und wie.<br />

Grüber hat "den Hamlet" auf die<br />

Bühne gestellt; nichts von den<br />

Hilfen benutzt die Sozialgeschichte<br />

und Psychoanalyse<br />

erarbeitet haben, um die dunkle<br />

Fazsiniation aufzuhellen. Ist das<br />

nun Klassizismsus, wie die begeisterten<br />

Gesichter des Ehepaars<br />

signalisieren, das sich in<br />

der Pause ans Thearllr der Dreißiger<br />

erinnert? Ist das die ratlose<br />

Rückkehr des Regierungstheaters<br />

zu Gandersheimer<br />

Schloßfestspielen auf höchstem<br />

Niveau? Ist es Historismus? Museum?<br />

Ist das die Plünderung<br />

der alteuropäischen Ikonographie<br />

(von den Tafelbildern des<br />

Mittelalters über die Niederländer<br />

bis zum Surrealismus)<br />

zwecks Herstellung immer<br />

neuer schön&r Bilder?<br />

Ich bin da etwas ratlos : man<br />

zieht diese Bilder ein - und man<br />

hat genug Zeit in den sechs<br />

Stunden, genug Zeit um sich zu<br />

fragen, was sie ausdrücken sollen,<br />

ob sie überhaupt bezogen<br />

sind auf Absichten des Stücks<br />

und der Regie. Ich war zunächst<br />

befremdet von diesem distanzierten<br />

Spiel; die Sehnsucht<br />

nach Belehrung und Teilhabe an<br />

großen Gefühlen blieb ungestillt<br />

-aber Schillers Zeiten sind vorbei,<br />

und bei Grüberist man da<br />

ohnehin an der falschen Adresse.<br />

Seine Bilder sind Denkbilder;<br />

ihre Sinnlichkeit trügt; auch<br />

wenn ihr Sinn sich schwer erschließt<br />

jedenfalls auf keine<br />

"zentrale Regieidee" schließen<br />

läßt<br />

Am zweiten Tag und mit dem<br />

Text ordneten sie sich, die sinnlichen<br />

Eindrücke : auch wenn<br />

die Inszenierung die Brücken<br />

nicht auf der Stelle herstellt :<br />

Hamlet der aus der Grobheit<br />

des Totengräbers die Lehre<br />

zieht daß die Handarbeiter<br />

kaum Zeit <strong>für</strong> feinere Gefühle<br />

haben - beiläufig rezitiert, diese<br />

Erkenntnis, wie der Text insgesamt.<br />

Und Hamlet der (auf der<br />

Flucht) angezogen und abgestoßen<br />

ist von seinem Nachfolger<br />

Fortinbras, dem strahlenden<br />

neuen Absolutismus, der mit<br />

großen Gefühlen die Völker Europas<br />

verheizen wird: eine Etage<br />

unter ihm ziehen die Muschkoten<br />

durchs kalte Dänemark,<br />

wie auf dem Fließband, einer<br />

nach dem andern - ohne die<br />

Gelegenheit zu überlegen, ob<br />

sie ihre Qualen durch Widerstand<br />

enden sollen. Hinten am<br />

Horizont geht die Sonne unter:<br />

die Vernunft von Wittenberg<br />

hat nur einen kurzen Tag in Europa.<br />

Sie ist zu schwach, wie alle,<br />

die nur auf sie setzen und auf<br />

die Liebe. Es sind Hamlets Prinzipien;<br />

er will es genau wissen,<br />

bevor er handelt, aber das<br />

dauert zu lange; und als ersterbend<br />

später die Bühne verläßt<br />

kommt Fortinbras herein, Louis<br />

Quatorze und Klaus Kinski in einem<br />

: er hat mit dem Geist keine<br />

Probleme, er verleibt ihn der<br />

Herrschaft ein, zu ihrem höheren<br />

Ruhm. Und der dürre Leichnam<br />

wird von einer beängstigenden<br />

Bühnemaschinerei emporgehoben<br />

: noch zerbrechlicher<br />

wirkt er jetzt, und harmlos<br />

erscheinen die Intrigen früherer<br />

Zeiten gegen die monströse Hydraulik.<br />

Inmitten des kalten Betons und<br />

der gigantomanen Technik entfaltet<br />

sich das Spiel; die Sternchen<br />

am Bühnenhimmel trösten<br />

wenig darüber hinweg; und das,<br />

natürlich, ist dann doch ein<br />

Spiegel; aber wir stecken eher<br />

in ihm als vor ihm, sind Schauspieler<br />

und Publikum (so wie sie<br />

auf der Bühne nicht mehr voneinander<br />

getrennt sitzen), sind<br />

Teile und ohnmächtige Zu ­<br />

schauer des letzten Aktes, in<br />

dem sich das Verhängnis vollzieht<br />

Kurz wird das Saal -Licht<br />

angedreht nach den Worten :<br />

.,in Bereitschaft sein ist alles."<br />

Fahles Licht, wie auf der Bühne<br />

durchweg, wenn es nicht schon<br />

ganz dunkel ist fahles Licht in<br />

dem wir uns ansehen und, vielleicht,<br />

einen Augenblick die<br />

wahnwitzige Hoffnung hegen,<br />

es möge sich noch wenden.<br />

Dann senkt sich über den fortgeräumten<br />

Leichen der eiserne<br />

Vorhang; und vor ihm bleibt nur<br />

das Grab Ophelias. Es ist noch<br />

offen, dieses Grab des einzigen<br />

unschuldigen Opfers, der einzigen,<br />

die nicht schon von Beg inn<br />

an wahnsinnig ist in diesem Bilderbogen<br />

von Macht und Marionetten.<br />

Sie und Gertrud, die<br />

Königin, durchbrechen die Seelenlosigkeit<br />

der Bilder und die<br />

machtlose Menschlichkeit des<br />

Schriftgelehrten Hamlet. Aber<br />

man hängt Ophelia eine Laute<br />

um, benutzt sie w ie einen lnstrumentständer<br />

schon am Anfang;<br />

später wäre sie eine Gertrud<br />

geworden, kalt durch die<br />

Pracht, mit der die Macht sie<br />

einkauft und doch nicht unerreichbar<br />

von der Verzweiflung<br />

ihres Sohnes; inmitten von<br />

Macht und Männern, die auf die<br />

Wunderwaffe setzen und Weinen<br />

weibisch nennen. Und so<br />

hat Ophelia nur noch die Lautel,<br />

deren Bauch sie sich anvertraut;<br />

bevor sie die acht Meter<br />

über den Graben geht der das<br />

monumental-entrückte Geschehen<br />

von der ersten Reihe<br />

trennt und (im Dunken) ins Pu ­<br />

blikum spricht :.,Ich hoffe, alles<br />

wird gut gehen. Wir müssen<br />

geduldig sein." Von derselben<br />

Stelle wie Ophelia aus dem<br />

verrückten Geschehen tretend,<br />

wird Gertrud ihren Tod- unsberichten.<br />

Aber Anmut, Geduld,<br />

Hoffnung und eine Laute<br />

wenden hier nichts mehr. Und<br />

als der eiserne Vorhang fällt ist<br />

auch das Licht erloschen, das<br />

aus dem Grab des Opfers kam.<br />

Vielleicht war es so gemeint;<br />

aber dann ist es auch konsequent,<br />

die Hoffnung nicht als<br />

wollüstige Träne ins Publikum<br />

zu tragen, sondern sie sterben<br />

zu lassen inmitten dieses kalten<br />

Halbrunds aus Sicht-Beton,<br />

über dem die Möven krächzen.<br />

Und doch nicht ganz : unser<br />

Grab ist noch offen.<br />

Matthias Greffrath, Berlin<br />

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