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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Strukturen vergleichen lassen muß, dann kommt man zu dem Ergebnis,<br />

das Cassirer nahelegt: Wir können nur auf einem ganzengen<br />

Gebiet das Spezifische der neuzeitlichen Rationalität in Anwendung<br />

bringen. Nämlich im engen Gebiet der Mathematik, der<br />

theoretischen Physik und vielleicht noch der Experimentalphysik;<br />

darüber hinaus sieht Cassirer keine Möglichkeit exakter Anwendung.<br />

Man wird auf eine Fast-Wendung von Wittgenstein gestoßen,<br />

nach der wir alle Fragen, die uns wirklich angehen, noch immer<br />

bewältigen mit einer mythischen Denkstruktur, weil wir in der<br />

Praxis nicht freikommen von dem qualitativen Reichtum der Dinge<br />

unseres ständigen Welt-Umgangs. Unsere Absichten, und hier<br />

gehe ich jetzt weit über Cassirer hinaus, unsere Absichten, unter<br />

denen wir uns mit den Dingen praktisch-handelnd auseinandersetzen,<br />

hängen irgend wo an den Reichtümern der Qualitäten, die<br />

sich nicht reduzieren lassen auf die dne Eigenschaft des Quantums,<br />

ob ich es nun energetisch oder rein räumlich nach der Ausdehnung<br />

charakterisiere. Daran ändert auch der von Marx entdeckte<br />

Warenfetischismus, also die Rea/abstraktheit des Tauschwerts als<br />

Organisationsperspektive ·der ·bürgerlichen Gesellschaft nichts.<br />

Denn letzten Endes hängt die Realisation des Tauschwerts mindestens<br />

am Schein von qualitativen Gebrauchswerten. Schwände<br />

auch er, bräche der Tauschwert zusammen, k.o. Das bedeutet gerade:<br />

wenn die neuzeitliche Rationalität legitimiert werden soll<br />

durch ihre Effektivität in der Naturbeherrschung, wird man einsehen,<br />

daß sie Mittel ist fur Ziele, die selber in einem qualitativ umfanglichen<br />

Feld auf'icheinen, fur dessen Bewäligung wir wiederum<br />

völlig auf die mythischen Denkstrukturen angewiesen sind, wofur<br />

noch der Warenfetischismus zeugt. Die Wittgensteinsche Formulierung<br />

der scheinheiligen Bescheidenheit heißt ja eben, daß ein<br />

strenger Rationalitätsbegriff uns auf alle Fragen, die uns wirklich<br />

angehen, keine Auskunft gibt. Das wäre darin bestätigt. Rein ein<br />

gewisses Instrumentarium oder Mittelarsenal ist das einzige, das<br />

wirpersogenannter neuzeitlicher Rationalität gewinnen können,<br />

und dann stecken wir wieder tief im mythischen Bewußtsein. Das<br />

ist gerade die Konsequenz jener Überlegungen, welche den Rationalitätsbegriffin<br />

Entgegensetzung zum mythischen Denken präzisieren<br />

wollen. Gelingt die Präzision, dann wird der Rationalitätsbegriff<br />

so arm, daß er nur noch eine dressierte scientific community<br />

zu speisen vermag. jenseits dessen überwuchert neuer Mythos<br />

die verfallenden Rudimente entmythologisierender Aufklärung.<br />

Kritik hat keine Chance gegen den Zustand, wenn sie ihn einfach<br />

leugnet oder mit großer Propagandageste Irrationalismen verteufelt.<br />

Was dabei irrational geschimpft wird, ist, wie hier aufgewiesen<br />

werden sollte, gar nicht so irrational. Und man muß mit seiner Faktizität<br />

rechnen in weiter AusgebreitetheiL<br />

Nun finden wir zwei aktuelle Bedeutungen des Mythischen:<br />

die eine steht fi.ir das Wirken der Mythen aus der Vergangenheit.<br />

Diese haben, indem sie geschichtliche Wirkungsfaktoren waren,<br />

auch heute noch über Traditionsgänge weiterhin Bedeutung. Das<br />

ist durchaus eine aktuelle Seite des Mythischen. Die andere aktuelle<br />

Seite des Mythischen findet man, wenn man hoch abstrahierend<br />

aus den Mythen eine mythische Bewußtseinsstruktur herauslöst.<br />

Dann entdeckt man, welch weites Feld unseres Weltbewußtseins,<br />

unseres praktischen Handeins von mythischen Strukturen<br />

bestimmt ist, auch wenn sie überhaupt nicht mehr die Inhalte<br />

der tradierten Mythen repräsentieren. Das abstrahierende Verfahren<br />

orientiert sich überhaupt nicht mehr an einer Entgegengesetztheit<br />

von Mythos und neuzeitlicher Rationalität, um beide<br />

Strukturen gegeneinander zu schärfen, sondern geht aus auf eine<br />

davon ganz unabhängig formulierbare mythische Struktur. In der<br />

Linie von Cassirer macht Roland Barthes, der französische Stmkturalist,<br />

klar, daß die mythische Stmktur unsere Bewußtseinshaltung<br />

heute weithin bestimmen kann, wo wir es am wenigsten bemerken,<br />

indem er die mythische Struktur angeht als Problem einer<br />

bestimmten Zeichenart der Dinge oder ihres möglichen Bedeutungsfeldes.<br />

Er nennt das seinen semiologischen Ansatz zum<br />

Mythos. Den Ansatz sollte man vielleicht so formulieren: Die Dinge,<br />

denen wir begegnen, haben eine exakt beschreibbare Beschaffenheit,<br />

die man aufdecken kann dadurch, daß man egal aufzeigt,<br />

wie man sowohl seine eigenen Maße an Sehbarem, Anschaubarem<br />

oder sinnlich Wahrnehmbaren zu verifizieren vermag wie<br />

auch deren Bezüge auf das Objekt. Zum Beispiel: Wenn ich mich<br />

einmal darüber verständigt habe, was Geradheit heißt, dann kann<br />

ich sagen, hier laufen gerade Balken unter der Decke entlang. Das<br />

kann ich durch einfache Zeigefunktion aufWeisen. Das meint also<br />

die positive Beschreibbarkeit der Dinge, deren Nachweis auf das<br />

Ding hin selber erfolgt- man hätte dann sozusagen eine Verdopplung<br />

zwischen Beschreibungsangabe und Dingbeschaffenheit<br />

Da gibt es das Ding, das wir wahrnehmen, und da gibt es dann die<br />

Beschreibung. Die Beschreibung als Verdopplung hat nur einen<br />

Vorteil, daß sie auch bei Abwesenheit der Dinge diese Dinge präsentieren<br />

oder vergegenwärtigen kann durch Schilderung. Aber<br />

nun kommt das Vertrackte dazu, ein so positiv und positivistisch<br />

beschreibbares Ding durch Zeichen zu vermitteln. Diese haben<br />

nämlich das Vertrackte an sich, daß sie gewöhnlich auch noch Bedeutungen<br />

mit sich tragen, die nicht in ihrer exakten Beschreibungsfunktion<br />

liegen. Sie haben- sagen wir einmal ganz einfach,<br />

und das ist es auch, was Roland Barthes zunächst aufgreift- einen<br />

Ausdruckswert. Den Ausdruckswert mag ich individuell begreifen<br />

als psychische Angelegenheit. Ich mag etwa sagen, gerade Linien<br />

beruhigen mich. Aber da wir im Zeichensystem lebende Wesen<br />

sind und die Zeichensysteme zwar subjekte Produktionen von<br />

subjektiven Kollektiven oder kollektiven Subjekten, und äas sowohl<br />

hier jetzt in der Gegenwart wie durch Tradition von Zeichensystemen,<br />

geraten wir auf Ausdruckswerte, die in uns hervorgemfen<br />

werden nicht durch ein persönliches, individuell-spontanes<br />

Empfinden wie "Gerade Linien beruhigen mich", sondern sie<br />

sind vielmehr aus Erziehung, Bildung und Tradierung eingegeben.<br />

Etwa daß Violett eine Farbe wäre, die räumlich schwer festlegbar<br />

aufUnendliches verweist, ist sicher kein spontanes, unmittelbares<br />

Empfinden, sondern hängt in einer tradierten Auswahl<br />

der Farbe Violett fur ganz bestimmte Symbolwerte etwa innerhalb<br />

der katholischen Kirche. Daraus kommt noch die Blochsehe Formulierung<br />

eines "Ultraviolett" als Symbol fur fernste Ziele menschlichen<br />

Hoffens. Die Ausdruckswerte hat also Roland Barthes<br />

im Auge, wenn er sagt, daß auf dem Feld jenseits positivistischer<br />

Beschreibung eine semiologische Struktur bewußt sich aufdrängt,<br />

in der Bedeutendes und Bedeutetes, das Ding also, das vorhanden<br />

ist, und das, was als Ausdruckswert in Subjekten hervorgerufen<br />

wird, in Trennungsbezug aufeinander vorliegen. Die Bezugsseite<br />

in der Trennung wird erst auf verschiedenen Wegen zustande gebracht;<br />

besonders wichtig ist fur das Mythos-Thema die Konvention.<br />

Freilich, die semiologische Struktur des Momentgefuges Signifikant<br />

-Signifikat teilt Barthes mit dem Grundansatz des Strukturalismus<br />

bis in dessen linguistische Wurzeln bei Saussure. Doch<br />

Strukturalismus wie Semiologie benutzen den polaren Spannungscharakter<br />

des Zeichenwesens, um den einen Pol, den der<br />

Bedeutungen, einzuklammern, ihn aus dem Aufmerksamkeitsinteresse<br />

auszuschließen, wenigstens was bewußte Konventionalität<br />

angeht. Denn was konnte anderes als solche Einklammerung<br />

gemeint sein, wenn der Vermittler eines an der Linguistik orientierten<br />

"reinen" Strukturalismus, Franccis Wahl, die Repräsentationsfunktion<br />

der Sprache überflüssige Verdopplung schimpft zugunsten<br />

der baren Präsentation interner Funktionalität eines<br />

Sprachstruktur-Systems, die alle mimetischen Operationen aus<br />

dem Blick rückt. Roland Barthes dagegen konzentrierte sein<br />

Hauptinteresse auf den gesamten Spannungsbezug, also auch auf<br />

das Wirken der Bedeutung in ihm. Das zeigt sich schon besonders<br />

wichtig an seiner Auseinandersetzung mit Romanjakobsan über<br />

den Idiolekt. Der Idiolekt bezeichnet den über die Repräsentationsfunktion<br />

zustande kommenden Anteil sprechender Subjekte<br />

an realisierten Sprachstrukturen; der Idiolekt hält also die realisierenden<br />

Umformungen einer transsubjektiven Sprachstruktur im<br />

Sprechen fest. Romanjakobsan erklärt sie, soweit er ihr Vorkommen<br />

nicht leugnen kann, fur unwesentliche Abweich-Zufalle.<br />

Barthes sieht hier anders gerade die Quelle möglicher Sprachveränderung.<br />

Ebenso ist ihm gewiß, daß die verschiedenen Typen<br />

semiologischer Systeme nur über die Ebene der Repräsentation<br />

Spuren-AufSatz I/ 83

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