01.03.2014 Aufrufe

utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Das Phantom in der Operl Manche von Ihnen<br />

werden jenen<br />

altehrwürdigen Schauerroman aus dem 19.Jahrhundert<br />

kennen, in dem ein verkannter Komponist sein<br />

Leben in den Katakomben der Pariser Oper verbringt,<br />

maskiert und ein Schrecken den Menschen.<br />

Am Niklastag wurde ein solches Phantom in der<br />

Hannoverschen Oper als Uraufführung präsentiert:<br />

eine Symphonie des großen Franz Schubertaus dem<br />

Jahre 1825. Nun haben es Phantome so an sich, daß<br />

es sie gar nicht gibt, und wenn doch, dann sind sie<br />

meist sehr irdisch aus Fleisch und Blut. Jedenfalls<br />

wird in Gaston Leroux' berühmtem Roman dem<br />

Phantom zum Schluß die Maske vom Gesicht gerissen,<br />

und siehe, ein schreckliches Antlitz kommt zum<br />

Vorschein.<br />

Da findet in den 70er Jahren ein junger Musiker und<br />

Werbegraphiker ein Bündel Noten bei einer alten<br />

Tante: Stimmenmaterial einer Symphonie von Schubertin<br />

E-Dur aus dem Jahre 1825. Mit vor Freude<br />

zitternden Händen verfertigt der glückliche Finder<br />

nun eine Orchesterpartitur und schickt diese mit vielfältigem<br />

Beweismaterial ihrer Echtheit an einen bekannten<br />

Verlag. Doch leider haben böse, neidische<br />

Musikwissenschaftler schnell festgestellt, daß die Beweise<br />

(darunter ein Schubert-Brief, in dem von der<br />

Symphonie die Rede war) unecht war- und sofort<br />

zog der Finder seine sogenannten Dokumente zurück.<br />

Inzwischen allerdings gibt es neue Dokumente<br />

aus jenem Familienarchiv, in dem sich auch das Noten<br />

material gefunden hatte, zwei Briefe, in denen ein<br />

mysteriöser Josef Kalkbrenner berichtet, Brahms und<br />

Tschaikowsky besucht und mit ihnen über die Symphonie<br />

gesprochen zu haben. Von diesem Josef K.<br />

gibt es sonst im ganzen 19.Jahrhundert buchstäblich<br />

nichts. ln Tausenden von Briefen, in der großen<br />

Brahms-Biographie- nirgends taucht Josef K. auf.<br />

Wirklich, eine Geschichte wie von Franz Kafka.<br />

Man kann sich in dieses Phantom regelrecht verlieben,<br />

wie der jetzige Verleger bei einem Symposion<br />

erzählte, an dem Freunde und Feinde des Phantoms<br />

am Tisch saßen. Freilich wäre alles viel schwieriger,<br />

stammte das sagenhafte Notenmaterial aus der<br />

Schubertzeit. Aber Noten und Dokumente wurden<br />

frühestens vor rund 100 Jahren verfertigt, zumindest<br />

konnten die Papieruntersuchungen bestätigen, daß<br />

das Papier nicht älter als hundert Jahre ist. Bei Schubert<br />

selbst aber keine Spur; weder in Skizzen, Entwürfen<br />

oder Briefen, auch nicht in den Dokumenten<br />

seiner Freunde. Dabei gibt es zahflreiche Fragmente<br />

und erhaltene Entwürfe, darunter die .,Unvollendete".<br />

Kalt pfiff der Wind am 6.12.82 durch Hannover, als<br />

es in der Musikhochschule um echt oder falsch ging.<br />

Die Herausgeber der Neuen Schubert-Gesamtausgabe,<br />

die die ersten Dokumente als Fälschung nachgewiesen<br />

hatten, mußten sich behaupten gegen die<br />

wirklich geschulte und geschliffene Argumentation<br />

des Verlegers, die vor allem darin bestand, immer zu<br />

wiederholen, daß wir da Noten von etwa 1880 hätten<br />

und zwei Briefe und alles sei geprüft.<br />

Dann traten die ungläubigen Schriftgelehrten auf<br />

und legten dar, daß nach allen Techniken der Philologie<br />

klar zu erkennen sei, daß die angeblich alten Orchesterstimmen<br />

von der Partitur des Finders abgeschrieben<br />

seien, daß also .,ein Werk, das erst vor kurzem<br />

komponiert sein kann, nicht <strong>für</strong> ein Werk von<br />

Schubert gehalten werden kann, klingt es auch noch<br />

so schubertisch". Genau darauf aber baut der sonst<br />

bedeutende und wichtige G.~tachter der Gegenseite:<br />

mag der Urspruns und die Uberlieferung noch so<br />

sehr im Dunkeln hegen, das Stück klinge wie Schubert,<br />

es zitiert und variiert berüfhmte Schubert-Musiken,<br />

und also geht alles mit rechten Dingen zu, die<br />

.. E-Dur-Symphonie" sei höchst wahrscheinlich ein<br />

46<br />

Entwurf zur großen C-Our-Symphonie. Im Laufe der<br />

Zeit habe ein ungeschickter Bearbeiter diesen Entwurf<br />

in die Hände bekommen - aber an der Substanz<br />

gäbe es nichts zu deuteln.<br />

Das Symphonische ging aus wie das le~endäre<br />

Hornber9er Schießen: Der Generalmusikdirektor bot<br />

sogar seme Frau als Wetteinsatz an, <strong>für</strong> den Fall, daß<br />

es sich nicht um ein echtes Stück von Schubert handele.<br />

Als das Phantom dann zu Gehör gelangte,<br />

klanQ es wie .. Schubert-AIIerlei" oder die .. Verballhornung<br />

und Frisierung von Kompositionen des<br />

Herrn Schubert, mehr schlecht als recht dargeboten<br />

vom Niedersächsischen Staatsorchester unter<br />

der zupfend-zappelnden Leitung des hochwohllöblichen<br />

Kapellmeisters Albrecht".<br />

Der Effekt: ein Intendant spricht von einem neuen<br />

schönen Stück Musik, das der Welt in Hannover geschenkt<br />

worden sei; der Verleger erzählt stolz von<br />

BBC und Schallplattenangeboten; die Ungläubigen<br />

sind erst recht ungläubig geworden, der Dirigend hat<br />

sich nachdrücklich ins Gespräch - oder mehr ins Gerede<br />

- gebracht.<br />

Harald Eggebrecht Hannover

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!