utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Deutschland nix guH - sonst Geld zurück 1 Da<br />
- soll<br />
es neuerdings in Berlin auch alternative Stadtrundfahrten<br />
zum Kotti und zum Chamissoplatz geben,<br />
durch Abriß- und Sanierungswüsten, Besetzers und<br />
Türken gucken.<br />
Abends werden die Freunde aus dem Westen dann<br />
alternativ ausgeführt, wenn nicht in die Schaubühne,<br />
dann zum Mehringhoftheater, wo das .,CaDeWe"<br />
(Cabarett des Westens) ein neues Programm zeigt.<br />
Nicht umsonst kriegt man da nur schwer Karten, es<br />
ist immer knackvoll : ein gelungener Abend garantiert.<br />
Was das sechsköpfige Ensemble da abzieht, ist Politikkabarett<br />
mit ausgefeilten Dialogen, schauspsielerisch<br />
profilike und manchmal geradezu akrobatisch,<br />
die Musik dazu fetzig bis avantgardistisch. Kaum<br />
noch etwas ist zu spüren vom blutigen Dilettantismus<br />
der Anfänge, als das .,CaDeWe" noch die garantiert<br />
richtige politische Linie im Kopf, aber noch wenig auf<br />
den Stimmbändern und in den Beinen hatte. Damals<br />
jubelten die Genossen im Zuschauerraum den Genossen<br />
auf der improvisierten Kneipenbühne auch<br />
bei mißratenen Pointen zu, weil halt die Moral<br />
stimmte. Damals war noch die politische und individuelle<br />
Identität der Linken intakt. Heute ist sie abhanden<br />
gekommen, und die Resignation und Entfremdung<br />
der vereinzelten Einzelnen, die jetzt die Nestwärme<br />
im Besitzstand suchen und alles Elend der<br />
Welt ganz allein mit sich selbst abmachen müssen,<br />
ist drum zentrales Thema des .,CaDeWe" .<br />
.,Deutsch - nix gutt, oder Geld zurück" heißt das<br />
neue Programm und zeichnet die Fluchtbewegungen<br />
einer linken Szene nach, die aus ihrer deutschen Haut<br />
nicht kann: das Pärchen, welches seinem Beziehungskistenkrampf<br />
auf der Psychewelle zu entrinnen<br />
sucht und schließlich feststellt, daß beide den gleichen<br />
Therapeuten haben; der Dia-Abend der IKEAmöblierten<br />
alternativen Neckermänner, die vom natürlichen<br />
Leben in der B.ambushütte und der animalischen<br />
Körperlichkeit der Eingeborenen schwärmen -<br />
daß dabei der unentwegte Politcrack in schwarzer<br />
Lederjacke, der stattdessen die Eingeborenen den<br />
Guerillakrieg lehren will, ebenfalls sein Fett wegkriegt,<br />
versteht sich.<br />
Das alles ist liebe- und verständnisvolle Publikumsbeschimpfung,<br />
und das Publikum dankt es mit Lachsalven,<br />
fühlt sich erwischt- aber es geht eben doch<br />
nicht unter die Haut. Man wird weiterhin gruppentherapeutische<br />
Sitzungen aufsuchen, auch die nächste<br />
Reise nach Lima oder auf die Malediven bleibt gebucht;<br />
schließlich: was wäre sonst zu tun, und immerhin<br />
tut man es ja mit selbstkritischem Bewußtsein<br />
und ist darum nicht ganz so schlimm wie jene<br />
dort.<br />
Andere Nummern zeigen, warum das Leben in Deutschland<br />
.,nix gutt": Polizei- und Justizterror, Arbeitslosigkeit,<br />
Ausländerhetze, Neofaschismus. Da geht es<br />
nicht immer nur mit harmlos-amüsantem Wortwitzfeuerwerk<br />
ab, da wird es dann auch mal makaber bis<br />
zynisch: wenn ein Patient operiert wird, der seinen<br />
türkischen Kollegen aus Angst um den Arbeitsplatz<br />
im wahrsten Wortsinn .,gefressen" hat- oder wenn<br />
ein rasender Reporter vor Ort von der Eröffnung der<br />
.,lnterschieß '82" berichtet und seine Schilderung der<br />
Straßenschlacht zwischen faschistoiden, schießwütigen<br />
Messebesuchern und linken .. Störern" überschnappt<br />
zu einer hysterisch begeisterten Fußballreportage.<br />
Ins Schwarze trifft das Couplet eines närrisch gewordenen<br />
Polizeibeamten, der seine angeknackste Identität<br />
dadurch rettet, daß er die Beschimpfung .,Bulle,<br />
du guckst wie'n Auto" <strong>für</strong> echt nimmt: sich selbst als<br />
Wanne, als Mannschaftswagen und damit als verdinglichtes<br />
Werkzeug wohlfühlt Da bleibt dem<br />
42<br />
hochwohllöblichen Publikum doch ab und an das<br />
Lachen im Halse stecken. Es ist froh, wenn's vorbei<br />
und wieder was Lustiges dran ist. Wenn es dann<br />
nach der letzten Zugabe satt und zufrieden -wie<br />
nach einem guten Bogart-Film -nach Haus und wieder<br />
zur Tagesordnung übergehen kann, dann stimmt<br />
etwas nicht mit dem Cabarett.<br />
Vielleicht ist es ja altmodisch, politisches Kabarett<br />
als .,moralische Anstalt" und nicht als bloßen Amüsierbetrieb<br />
zu begreifen. Vielleicht sind die Zeiten<br />
vorbei, wo politisches Kabarett nicht nur den Finger<br />
auf die Wunden legen, sondern betroffen, wütend<br />
und mutig machen konnte. Sicherlich verdankten<br />
z.B . das .,Reichskabarett" oder die .,Drei Tornados"<br />
annodazumal ihren herzhaften Biß auch ihrer damaligen<br />
.,Basis", die sich handlungs- und selbstbewußt<br />
fühlte. Aber wenn auch ehrlicher Satire eine kernige<br />
Aufforderung zu .,more future" schlechterdings nicht<br />
mehr möglich ist, dann wäre dennoch ein Kabarett<br />
zu wünschen, welches nicht abgeklärt und abbgefunden<br />
hoch über dem Zeitgeschehen steht, sondern<br />
mittendrin und eine Nasenlänge voraus ist. Gerade<br />
in bösen Zeiten hieße das <strong>für</strong>'s .,CaDeWe": weder<br />
harmlos sein noch zynisch. Aber ein bißchen bösartiger<br />
dürfte es schon sein.<br />
Elisabeth Eleonore Bauer<br />
Grübers "Hamlet'' in der Schaubühne<br />
Die Schaubühne zeigt uns die .,Lasterhaften und die<br />
Toren, mit denen wir leben müssen. Wir müssen ih <br />
nen ausweichen oder begegnen, sie untergraben<br />
oder ihnen unterliegen." Die Schaubühne zeigt sie<br />
uns, und .,jetzt . .. überraschen sie uns nicht mehr.<br />
Wir sind auf ihre Anschläge vorbereitet." Und mit der<br />
Larve der Feiglinge, der brutal nach Macht strebenden,<br />
.,sehen wir auch unsere eigene aus dem Spiegel<br />
fallen, den die Schaubühne uns vorhält."<br />
Aber die Schaubühne belohnt<br />
uns unsere Teilhabe an dem Lei <br />
den auf der Bühne nicht mehr<br />
mit .. wollüstigen Tränen", die<br />
auf der Stelle die Erleichterung<br />
bringen, denn die Schaubühne<br />
ist nicht mehr die, von der<br />
Schiller sprach, sondern die am<br />
Lehniner Platz; und die zwei<br />
Jahrhunderte, die uns von<br />
Schiller und seinen Hoffnungen<br />
trennen, wiegen unendlich viel<br />
schwerer als die zwei, die ihn<br />
von Shakespear trennten.<br />
Die Worte sind noch da. Harnlet<br />
sagt sie noch einmal seinen<br />
Schauspielern : .,Der Spiegel<br />
seien sie und die abgekürzte<br />
Chronik des Ze italters." Aber<br />
der Spiegel hängt- das einzige<br />
funktionslose Requisit - links<br />
unten in der Betonapsis des<br />
Theaterraums, die- drei Stockwerke<br />
hoch und unendlich kalt<br />
- die Stätte abgibt <strong>für</strong> dieses<br />
Drama zwischen Geist und<br />
Macht, zwischen Liebe und Verrat.<br />
Große Worte sind das; aber<br />
sie treffen uns nicht mehr. Der<br />
Spiegel ist auf die Bühne gewandert,<br />
er wird uns nicht mehr<br />
vorgehalten; und auch die auf<br />
der Bühne benutzen ihn nicht;<br />
und deshalb rollt das Drama ab,<br />
bis der Held, nein nicht durch<br />
.. Widerstand seine Qualen en <br />
dend", sondern vergrübelt bis<br />
zum Schluß, vor den Türen der<br />
Macht verendend. Schöne Bilder<br />
sehen wir da, von Anfang<br />
bis zu Ende, aber tragen sie<br />
noch Gedanken, gefühle gar.<br />
die uns erreichen? Sind uns<br />
nicht andere näher, auch andere<br />
Hamlets, die mit ganz anderen<br />
Mitteln ganz andere .. Sauställe"<br />
ausräumen, ein paar Ecken weiter<br />
am Kudamm, im Cinema Pa <br />
ris?<br />
Die Inszenierung scheint damit<br />
zu rechnen, sofern sie überhaupt<br />
mit den Zuschauern rech <br />
net. die nicht vor einem halben<br />
Jahrtausend in London tageund<br />
wochenl(\pg mit dieser Geschichte<br />
von Odipus, der unter<br />
die Politiker gefallen ist, leben<br />
und weben. Die Inszenierung<br />
inszeniert sich selbst, sie richtet<br />
sich an niemand. Zwischen das<br />
riesige kalte Halbrund und die<br />
erste Reihe hat man noch einmal<br />
wohl acht Meter Bretter gelegt.<br />
Die Menschen sind weit<br />
und klein, und viele von ihnen<br />
sind wie aufgezogene Puppen in<br />
den Welttheatern auf den Türmen<br />
reicher Rathäuser. Nicht<br />
nur König Claudius, der sechs<br />
Stunden lang mit Apfel und<br />
Szepter im starren Ornat in starrem<br />
Machttrieb und kalter Verzweiflung<br />
agiert; nicht nur die<br />
Höflingsroboter Rosenkrantz<br />
und Güldenstern; nicht nur Polonius,<br />
der verschwatzt-verkalkte<br />
Spezialist <strong>für</strong> Lauschangriffe;<br />
und Laertes, sein Sohn, der aufstrebende<br />
Karrierist, der Herz<br />
und Tränen hatte und sie doch<br />
verkauft, um zum nächsten<br />
Kanzler zu werden. Seelenmasken<br />
in eine Puppenwelt. in der<br />
auch Harnlet steht, wie sich sein<br />
I