utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg
utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg
utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
schauungsmaterials: auf den etwa 20 000<br />
Seiten seiner gebundenen ,Journale" die<br />
Skizzen, die er aus seinem Alltag nach Hause<br />
bringt, die Reflexionen über Kunst, die er<br />
immer wieder neu überprüft und Ausschnitte<br />
mit Berichten von den aktuellen<br />
Ereignissen in Polen.<br />
Was er auf die Leinwand überträgt, ist<br />
der Versuch, den ersten starken Eindruck<br />
wieder zu finden, jene "Sensation", die sich<br />
manchmal als Geschenk eines Augenblicks,<br />
manchmal erst nach Stunden oder<br />
Tagen unendlich geduldiger Beobachtung<br />
und Bemühung um einen Gegenstand einstellt.<br />
Die Expressivität seiner Bilder verdankt<br />
sich keinem leichten, sondern einem<br />
beharrlichen Pinselstrich, der zu b~stätigen<br />
hat, was Czapski "die Treue zu seinem inneren<br />
Ereignis" nennt. Diese Treue hat<br />
Czapski auch den künstlerischen Leitsternen<br />
seiner Jugend gegenüber bewahrt, und<br />
die eigene, von anderen Erlebnissen beschwerte<br />
Kunst- und Lebenserfahrung immer<br />
wieder mit ihrem Vorbild konfrontiert.<br />
Es wäre zu wünschen, daß sich fiir seine<br />
Aufsätze über "Das Für und Wider der Abstraktion",<br />
über "Cezanne und das malerische<br />
Gewissen", über das Verhältnis von<br />
Schnelligkeit und Qualität künstlerischer<br />
Arbeit ein deutscher Verleger fände.<br />
Ich möchte Czapski selbst am Ende mit<br />
Aussagen zu einem künstlerischen Werk<br />
zu Wort kommen lassen. Sein letzter Aufsatz<br />
über Pierre Bonnard, aus Anlaß von<br />
dessen Tod geschrieben, ist zugleich eine<br />
Auseinandersetzung mit den Bedingungen<br />
des eigenen wiejedes künstlerischen Werdegangs<br />
und der Umriß eines Selbstportraits,<br />
das alle anderen Bilder von ihm enthält:<br />
"Bonnards ewiges Sujet waren die Liebe<br />
und die Lebensfreude. In seinen Adern<br />
floß das Blut eines Menschen aus dem<br />
19.Jahrhundert, der sichtrotz aller Schicksalsschläge<br />
in die Liebe zur Kunst einzuschließen<br />
vermochte und sich inmitten elementarer<br />
Katastrophen mit den kleinen<br />
Freuden eines relativ normalen Lebens<br />
umgab.<br />
Wir haben zur Zeit des freien Polens<br />
(zwischen 1920 und 1939; Anm. d. Übers.)<br />
fiir eine unabhängige Malerei gekämpft;<br />
wir glaubten uns nicht am Beginn neuer<br />
Niederlagen und Zerstörungen, Vertreibungen<br />
und Deportationen; ferne Probleme<br />
- wie Totalitarismus, Diktatur, berührten<br />
unser Universum kaum. Wir haben diese<br />
Losgelöstheit mit einem brutalen Erwachen<br />
bezahlt. Heute können selbst die detachiertesten<br />
und opportunistischsten<br />
Künstler vor sich nicht leugnen, daß sie in<br />
einem besetzten Land leben - falls sie nicht<br />
überhaupt in fremde Länder verstreut sind.<br />
Eines der schwierigsten Probleme ist<br />
das 'schrecklich subtile' Band, das die Malerei<br />
mit ihrer Epoche verbindet. Ich lasse<br />
nicht fiir eine Sekunde den Gedanken einer<br />
'dirigierten Kunst' gelten, die die Malerei im<br />
hitlerischen Deutschland oder im so~etischen<br />
Rußland zerstört hat. Die Kunst kann<br />
30<br />
nicht dirigiert werden, nicht einmal mit Hilfe<br />
einer autoritären Kritik. Das ist einzig eine<br />
Sache des Instinkts ihrer Schöpfer, ihrer<br />
persönlichen Freiheit des Ausdrucks.<br />
Vielleicht hängt das Heil des Menschen<br />
von seiner Treue zu einer bestimmten Vision<br />
ab, so daß er, verwundet oder gemeuchelt,<br />
eine Heimat hat, in die er zurückkehren<br />
kann, - eine Heimat der 'reinen Freuden'<br />
in Wissenschaft und Kunst?- Ich bin in<br />
diesen Dingen selbst voller Zweifel. Bin ich<br />
nicht selbst verirrt und krank? Jahre hindurch<br />
haben wir damals im unabhängigen<br />
Polen das Recht der Künstler proklamiert,<br />
einzig ihrer Kunst zu leben. Wir beriefen<br />
uns auf das Prinzip, daß man keine große<br />
Kunst schaffen könne, wenn man diese zur<br />
Dienerirr 'gravierenderer' Dinge machte.<br />
Aber was tun, wenn diese 'gravierenderen<br />
Tatsachen' die ganze Welt überschatten<br />
und uns ersticken, so daß eine bewunderungswürdige<br />
'Nature morte' von Bonnard<br />
uns nur noch als Widerschein eines verlorenen<br />
Paradieses anmutet?<br />
Als ich nach dem langen Marsch durch<br />
Rußland und den vorderen Orient zum ersten<br />
Mal nach London kam, bat man mich<br />
um einen Vortrag vor emigrierten polnischen<br />
Schriftstellern. Ich sollte berichten,<br />
unter welchen Bedingungen wir in den Lagern<br />
gearbeitet hatten. Man hörte mir mit<br />
freundschaftlichem Interesse zu, als ich von<br />
den nach Sibirien und Kasachstan deportierten<br />
Kameraden, von unseren Ausstel-<br />
Iungen in Bagdad,Jerusalem und Kairo, berichtete,<br />
doch als ich - laut vor mich hindenkend<br />
- von dem Abgrund sprach, der<br />
unsere Kunst von der aktuellen Situation<br />
Polens trennte, und sagte, daß im Gegensatz<br />
zu den Dichtern, die alle unsere Erlebnisse<br />
vorausgenommen und ausgedrückt<br />
haben, die Maler keine diesen Erfahrungen<br />
angemessene Sprache entwickelt hätten,<br />
nahm ich im Auditorium geringschätzige<br />
Mienen und ironisches Lächeln wahr. Einige<br />
junge Leute, die mit Hilfe von Stipendien<br />
des Londoner Bildungsministeriums<br />
Stilleben malten, betrachteten mich kalt<br />
und angewidert als einen Verräter an der<br />
'reinen Kunst'.<br />
Nein, es ist nicht gut, daß die Kunst sich<br />
in einem geschlossenen Zirkel verschließt,<br />
daß sie weite Lebensbereiche von sich<br />
weist, als ob sie nicht existierten.<br />
Diese Anmerkungen zum Gedenken<br />
an den größten Maler unserer Zeit sollen<br />
den Künstlern das Problem in Erinnerung<br />
rufen, daß ein Künstler sich nicht von der<br />
Realität menschlichen Erlebens abwenden<br />
dar(<br />
Zwischen jenem Bonnard, der unsere<br />
Vision der Welt so sehr bereicherte und tiefe<br />
Liebe zu Kunst und Leben in uns weckte,<br />
und unserer heutigen Wirklichkeit klaffi: ein<br />
Abgrund. Das Bewußtsein dieses Abgrunds<br />
ist fur mehr als einen polnischen<br />
Maler eine zerreißende Erfahrung."