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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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sierungsschritt getan hätte. Nun hat es sich erwiesen, daß die Medientheorie<br />

von Benjamin doch in einem optimistischen Glanz<br />

formuliert war, obwohl antifaschistisch in einer Zeit der Verzweiflung,<br />

aber es gab immerhin noch eine optimistische Sichtweise des<br />

Sozialismus in der Sowjetunion. Es war nicht die Zeit, in der wir<br />

stehen, und doch hat es der optimistische Glanz nicht geschafft, in<br />

den Massenmedien selber Säkularisierung der Kunst herbeizufuhren-von<br />

der Fotografie über den Film bis hin zur Zeitung. Einmal<br />

ist die Kunst nicht ersetzt worden durch die Massenmedien. Zum<br />

andern hat sich erwiesen, daß die Massenmedien das beste Instrument,<br />

wenn nicht derheutige Ausdrucksfaktor fiir Mythenbildung<br />

sind. Es hat sich gezeigt, daß eine Kunst im amatiseh-traditionellen<br />

Sinn dadurch am wenigsten erledigt war - Adornos Kritik. Den<br />

·Übergang also der Künstler von bestimmten Produktionsweisen,<br />

die Benjamin offensichtlich fiir überholt erklärt hat, in eine andere<br />

Produktionsweise hat es nicht als entmythologisierend gegeben.<br />

Ich kann jetzt nur auf das Problem verweisen: Gerade wenn das<br />

Kunstwerk gegen den originalen und überblickbaren Bestand des<br />

Werks zur sich ereignenden Vorfiihrung, zur unmittelbaren, situationslosen,<br />

wenn auch Situationellen "Zeige" verwandelt wird, die<br />

nach dem Fingerweis so verschwindet, als wäre die Spur nie in der<br />

Welt gewesen- nehmen wir etwa den Versuch, das Original als<br />

Werk zu überwinden in der Performance-, da ist die Originalität<br />

nur noch einmal radikalisiert worden bis hin zum Vollzug von einmalig<br />

bestimmten Vorgängen. Ebenso betrifft das den künstlerischen<br />

Aktionismus: bei allem Sprengen des Werks tritt Steigerung<br />

der Originalität, Einzigartigkeit der Singularität ein, nicht deren<br />

Minderung. Also hätten wir immerhin noch in der Einzigartigkeit<br />

der Begegnung die Ritualstruktur, die Be~amin formuliert hatte,<br />

eben den Begriff der Aura, nur im weiteren unüberprüfbar. Wir haben<br />

immer noch den Umstand vor uns, daß man von diesen Gegenständen<br />

ganz deutlich sagen kann, sie wollten mehr an Bedeutung<br />

hervorrufen als die positivste Beschreibung eines bzw. des<br />

Dings hergibt. Damit wäre es in der Begegnungsweise einzigartiges<br />

Objekt, dessen Existenzweise nicht in der technischen Reproduktion<br />

liegt, selbst wo solche statthatte, und dem eine Bedeutung zugewiesen<br />

wird, die über die positivistische Beschreibung des Objekts<br />

hinausragt - allerdings ohne deutende Umbildung. Insofern<br />

wäre also die Ritualstruktur wie die Mythenstruktur besonders gewährleistet.<br />

Das Problem tritt auf, ob man vielleicht an dem Standpunkt<br />

festhalten mug, Kunst könne gar nicht in the long run ohne Ritual<br />

und Mythenstruktur auskommen. Ob vielleicht die Entmythologiserungsintention<br />

in Benjamins Theorie der Medien oder<br />

Barthes' Theorie der Alltagsmythen nur als ganz situationeil gebundene<br />

Polemik aufzufassen ist, die nur gegen ihre bestimmten<br />

Gegner gelten dürfe. Es gäbe dann eine Rechtfertigung fiir produktiv<br />

werdenden Mythos durch die Entmythologisierung hindurch,<br />

nicht aus ihr zurück, wie etwa auch die Lehre neuer französischer<br />

Philosophie vom "Kairos", dem rechten Augenblick des<br />

Handelns, falsch beraten wäre, wollte sie mit dem Kairas gegen<br />

kritische Geschichtsphilosophie antreten. Gerade die dem Fingerspitzengefiihl<br />

anvertraute Schwebe des Kairas ist angewiesen auf<br />

den rahmenden Begriff seiner Einschlagsmöglichkeit, welche sich<br />

aus dem Bedingungsfeld der Geschichte ergibt. Antizipierende<br />

Vernunft nimmt der Revolution keineswegs ihre blanke Ereignis­<br />

Chancetrotz des scharfsinnigen Verdachts, der darin ausgesprochen<br />

ist (die Formulierung stammt von UHrich Sonnemann). Der<br />

Anspruch des Mythos entbindet keineswegs vom Entmythologisieren,<br />

erst durch Entmythologisieren gewinnt er sein produktives<br />

Moment. So geschieht das Mögliche seiner Rechtfertigung, wenn<br />

ich davon ausgehe, daß ich in dem ganzen ästhetischen Rayon die<br />

Sinnbildung fiir menschliche Produktion sehe, im emphatischen<br />

Sinn des Horizonts auch fiir alle andere Arbeit, die unmittelbar<br />

nicht auf Ästhetisches gerichtet ist. Das heißt, ich will Kunst überschreiten,<br />

wohlgemerkt. Ich meine die Wahrnehmungssphäre<br />

und ihre Affektparallele des Lustgefiihls, des Genusses, der Befriedigung,<br />

des Vergnügens und was immer ich an Affekterwartungen<br />

. einbringen kann. Ich kann ja zu dem Standpunkt geraten, daß erst<br />

im Ästhetischen der Mensch sich verwirklicht, jenseits einer Verengung<br />

des Ästhetischen auf die Kunst und jenseits des Orientierens<br />

der Handlung durch bloße Ethik. Alle Arbeit wäre dann im<br />

Dienst einer solchen Sinnlichkeit, einer solchen Wahrnehmungswelt,<br />

die selber der Endzweck wäre. Dann könnte ich von etwas<br />

sprechen, was Nietzsche verzweifelt negativ formuliert hat in der<br />

Frage, ob sich die Welt vielleicht nurästhetisch rechtfertigen liege.<br />

Er ist darauf verfallen, weil er einsah, daß die Moral der bürgerlichen<br />

Gesellschaft nur von solcher Beschaffenheit sei, daß sie sich<br />

gerade nicht durch Selbstwerte rechtfertigen will, sondern allein<br />

immer durch Mittlerfunktionen. Er wollte mit diesem Satz das Arbeitsethos<br />

der bürgerlichen Gesellschaft angreifen, alw ein Ethos<br />

oder eine Moral, die immer nur den Wert der menschlichen Handlung<br />

in ihren Folgen sehen, also in den Zwecken, die dahinter stehen<br />

sollen, indem solche Zwecke wieder bloße Mittel werden fiir<br />

Dahinterstehendes: Reproduzierung der Gesellschaft, Selbstbehauptung<br />

der Gesellschaft als unaufhörlich sich genügender Ring.<br />

Dann steckt in dem Satz, ob die Welt vielleicht nur ästhetisch zu<br />

rechtfertigen wäre, das Beharren auf einem Selbstwert, einem<br />

Selbstzweck über das suum esse conservare hinaus. Das wäre ja<br />

nur die moralische Ausdrucksform oder Formulierungsweise fiir<br />

Ritual- und Mythenstruktur, etwas aus dem unablässig ständigen<br />

Mittelcharakter endlich einmal herauszureißen, selbst die<br />

menschliche Arbeit. Sie soll nicht immer Mittel fiir anderes sein,<br />

sondern Selbstzweck werden unter gründlichem Gestaltwandel.<br />

Da bin ich an einem Standpunkt angelangt, der unter der Formulierung<br />

des Problems einer möglichen Ästhetik als Ethik der Sinnlichkeit<br />

dann auch selbstverständlich daran festhält, daß es gar keine<br />

Befreiung der Kunst aus Ritual- und Mythenstrukturen gibt,<br />

Kunst vielmehr immer auf sie verwiesen sein wird. Ansonsten würde<br />

sie die ethische Kategorie des Selbstwerts oder Selbstzwecks<br />

menschlicher Produktion versäumen und damit die Selbstverwirklichung<br />

des Menschen. Denn in jedem Preisgeben von Selbstwert<br />

und Selbstzweck liegt ja auch die Tendenz, die Verwirklichung<br />

oder Entäußerung des Menschen zum Mittel zu machen,<br />

gerade gegen den kantischen Satz, den Menschen nie als Mittel,<br />

sondern immer nur als Zweck aufZufassen.<br />

Und doch wäre solcher Mythenrest nicht die Rückkehr des geschichtlich<br />

wirksam gewesenen Mythos, sondern immer schon<br />

bloß ein Moment an ihm, das er umgebogen hat, bevor er es stehen<br />

ließ. Er selber in seinem herrschenden Zug wendet sich auch mit<br />

dem Selbstwert seiner Figuren der Legitimation einer Herrschaft<br />

zu, die selber gezwungen ist, nur das Große-Ganze gelten zu lassen.<br />

Das "Selig sind die Zeiten", nämlich die des Homerischen,<br />

konnte nur von jemandem gesprochen werden, dem die bürgerlichen<br />

Zeiten zu viel an anarchistisch desorganisierenden Tendenzen<br />

gebracht haben, Lukäcs. Trotzdem steckt in dem gewesenen<br />

Mythos auch an Ort und Stelle ein Aufklärungskern. Diese Einsicht<br />

gipfelte schliefSlieh etwa in Harkheimcrs und Adornos "Dialektik<br />

der Aufklärung", worin der Mythos selber zu einer Weise der<br />

Aufklärung erklärt wird. Die Theologie ist hier teilweise noch etwas<br />

zurück, indem sie sich weiterhin mit dem von Bultmann zugespitzten<br />

Entmythologiserungsproblem herumschlägt. Dem hat<br />

schon Bloch eben in seinem Werk ,,Atheismus im Christentum"<br />

geantwortet: Entmythologisierung schlechthin und ohne Differenzierung<br />

im BegriffMythos sei allein darum falsch, weil es einen<br />

revolutionären Mythos gebe gegen den Herrenmythos. Und der<br />

revolutionäre Mythos sei nicht mit dem Bade auszuschütten. Rettung<br />

des Mythos trat kritisch auf mit der Wertung der Wissenschaftsgläubigkeit<br />

selber als Mythos, als mythischer Baum der<br />

Einsicht. Sie trat auf mit der Einsicht, wie sehr doch unser so<br />

höchst ernüchtertes, versachlichtes, rationales Leben von mythischen<br />

Strukturen beherrscht ist, die nur einen anderen Namen erhielten.<br />

Spuren-Alffiotzl /83

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