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Strafprozeß: Gegenreform 1 Die CSU, so mel-<br />
. det am 9. 1. das<br />
Kölner Boulevardblatt .. Express" aus Kreuth, will ein<br />
"Rechtspapier" vorlegen, um das "verformte Rechtsbewußtsein"<br />
in der Bundesrepublik zu korrigieren. Inhaltliches<br />
wird dort weiter nicht berichtet, doch<br />
scheint das "Rechtspapier" gut vorbereitet zu sein.<br />
Die 52. Konferenz der Justizminister<br />
und -senatoren hatte am<br />
1. und 2. Oktober 1981 .. Vorschläge<br />
zu gesetzlichen Maßnahmen<br />
zur Entlastung der Gerichte<br />
und Staatsanwaltschaften<br />
in der Strafgerichtsbarkeit" zusammengestellt.<br />
Dort wurde unter<br />
dem Vorwand notwendiger<br />
und möglicher Einsparungen<br />
unter anderem vorgesehen:<br />
welche Beweisanträge bei den<br />
Amtsgerichten gestellt werden<br />
dürfen, entscheidet nicht der<br />
Angeklagte oder sein Verteidiger,<br />
sondern der Richter. Amtsgerichtliche<br />
Urteile können<br />
nicht mehr unmittelbar mit der<br />
(Sprung-)Revision dem Oberl.?ndesgericht<br />
zur rechtlichen<br />
Uberprüfung vorgelegt, sondern<br />
nur noch mit der Berufung zum<br />
Landgericht angefochten werden.<br />
Die Nebenklage, also die<br />
Beteiligung verletzter Personen<br />
am Strafverfahren, wird abgeschafft.<br />
in allen Strafverfahren<br />
kann der Vorsitzende dem Angeklagten<br />
das Wort verbieten,<br />
wenn er meint, dieser rede nicht<br />
zur Sache, ebenso dem Verteidiger,<br />
und diesem auch Kosten<br />
aufbürden, wenn er etwa durch<br />
Verlassen des Gerichtssaales eine<br />
Unterbrechung der Verhandlung<br />
erzwingt. Die Aufzählung<br />
ist bei weitem nicht vollständig<br />
(eine Dokumentation ist veröffentlicht<br />
in STRAFVERTEIDIGER<br />
1982, S. 325ft.). Das Vorschlagspaket<br />
(Spottname der<br />
Ministerialbeamten: .. Weißer<br />
Riese") konnte über Monate<br />
hinweg von der Öffentlichkeit<br />
unbemerkt in den Ministerien<br />
des Bundes und der Länder reifen;<br />
erst der 6.Strafverteidigertag<br />
im April 1 9?2 in Harnburg<br />
begann damit, Offentlichkeit<br />
herzustellen.<br />
Durch eine Reihe von Kollegen<br />
über die Geheimpläne informiert,<br />
warf der Strafverteidigertag<br />
sein Programm um. Spontan<br />
wurde die .. Horrorliste" des Vorschlagpaketszum<br />
Hauptarbeitspunkt,<br />
in einer Resolution entschiedener<br />
Widerstand der<br />
Strafverteidiger artikuliert und<br />
angekündigt (STRAFVERTEIDI<br />
GER 1982, S.301 ). Mit dieser<br />
Veröffentlichung der Pläne rief<br />
man dann nicht so sehr eine<br />
breite .. politische oder publizistische<br />
Offentlichkeit, jedoch die<br />
gesamte organisierte Anwaltschaft<br />
auf den Plan. Der Deutsche<br />
Anwaltverein lehnte die<br />
Planung ebenso entschieden ab<br />
(Anwaltsblatt 1982, S.298ff.)<br />
wie der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
die Gefährdung<br />
des Rechtsstaats<br />
durch den geplanten .. kurzen<br />
Prozeß" kritisierte (BRAK-Mitteilungen<br />
3/82). Einzelne Strafverteidigervereinigungen<br />
veröffentlichten<br />
Protestresolutionen<br />
40<br />
und organisierten in Berlin,<br />
München und Köln regionale In <br />
formations- und Protestveranstaltungen.<br />
Zum vorläufigen Höhepunkt der<br />
Proteste aus der Anwaltschaft<br />
entwickelte sich das .. Strafverteidigerforum<br />
Gegenreform" am<br />
25. 9. 1982 in Köln, zu dem<br />
bundesweit Rechtsanwälte eingeladen<br />
wurden -veranstaltet<br />
von den Strafverteidigervereinigungen<br />
Berlin, <strong>Hamburg</strong>, Niedersachsen,<br />
Bayern und Hessen,<br />
dem Republikanischen Anwaltsverein,<br />
dem Deutschen Strafverteidiger<br />
e.V., Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht des D.A.V. und<br />
dem Strafrechtsausschuß des<br />
Kölner Anwaltvereins. Unterstützt<br />
wurde das Forum von der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer,<br />
dem Deutschen Anwaltsverein,<br />
der Gruppe Rich_ter und Staatsanwälte<br />
in der OTV, der Arbeitsgemeinschaft<br />
Sozialdemokratischer<br />
Juristen und der Humanistischen<br />
Union. Der Vorstand<br />
des Bundes der Richter<br />
und Staatsanwälte in der Bundesrepublik<br />
Deutschland mochte<br />
sich an der Podiumsdiskussion<br />
(damals noch) nicht beteiligen,<br />
begrüßte er doch einige<br />
der Gegenreformvorschläge.<br />
Immerhin -wohl zum ersten<br />
Mal in der Geschichte der Bundesrepublik<br />
gab es ein Protestforum,<br />
getragen von sämtlichen<br />
Strafverteidigervereinigungen<br />
und unterstützt von allen Anwaltsorganisationen.<br />
Ungefähr<br />
350 Teilnehmer, darunter eine<br />
Reihe von Richtern und Staatsanwälten,<br />
waren sich im Protest<br />
einig. (Ein Tagungsbericht<br />
von RA Jürgen Crummenerl ist<br />
abgedruckt in STRAFVERTEIDI<br />
GER 1982, S.600). Eindruck<br />
der anwesenden Ministerialbeamten<br />
: .. Mit der Anwaltschaft<br />
geht das also nicht."<br />
Kurz schien dem Forum auch<br />
Erfolg beschert: zwar gelang es<br />
nicht, üb~r die Tagespresse eine<br />
breitere Offentlichkeit auch nur<br />
zu informieren, doch nur fünf<br />
Tage nach der Veranstaltung<br />
veröffentlichte das Bundesjustizministerium<br />
am 30. 9. 1 982<br />
einen .. Referentenentwurf eines<br />
Gesetzes zur Änderung strafverfahrensrechtlicher<br />
Vorschriften",<br />
der sich, wie es eine erste<br />
Stellungnahme des Kölner Anwaltvereins<br />
ausdrückte, .. entschieden<br />
und wohltuend" von<br />
den Gegenreformvorschlägen<br />
unterscheidet (die Stellungnahme<br />
wird im Wortlaut abgedruckt<br />
in der 'Zeitschrift <strong>für</strong><br />
Rechtspolitik', Heft 1, 1983).<br />
Der Referentenentwurf konstruiert<br />
zwar einen .. Ersatzverteidiger",<br />
der auch gegen den<br />
Willen des Angeklagten .. verteidigen"<br />
solr; er will dem Verteidiger,<br />
was bislang noch<br />
erlaubt ist. verbieten, dem Mandanten<br />
volle Information über<br />
den Akteninhalt zu erteilen, die<br />
Sprungrevision abschaffen und<br />
teilweise dazu zwingen, Ablehnungsversuche<br />
gegen Richter<br />
schon vor der Hauptverhandlung<br />
zu stellen (STRAFVERTEI<br />
DIGER 1982, S.601ff.). Doch<br />
läßt er die meisten Punkte der<br />
.. Horrorliste" fallen und will teilweise<br />
auch Verteidigungsrechte<br />
gegenüber dem geltenden<br />
Rechtszustand stärken: schon<br />
nach einem Monat Untersuchungshaft-<br />
derzeit nach 3<br />
Monaten - soll ein Pflichtverteidiger<br />
bestellt werden, und zwar<br />
im Prinzip nach der Wahl des<br />
Beschuldigten und nicht, wie<br />
derzeit, nach der Wahl des Gerichtsvorsitzenden.<br />
Doch gleichzeitig tagt die<br />
53. Konferenz Justizminister<br />
und -Senatoren des Bundes und<br />
der Länder vom 28.9. bis<br />
30. 9. 1 982 in Harnburg und<br />
stört sich wenig an den Protesten<br />
der Anwaltschaft und den<br />
Überlegungen des Bundesjustizministeriums-<br />
die .. Horrorliste"<br />
lebt wieder auf. Das heißt :<br />
Das Amtsgericht bestimmt den<br />
Umfang der Beweisaufnahme,<br />
entscheidet also darüber, was<br />
Angeklagte und Verteidiger an<br />
Beweisanträgen stellen dürfen.<br />
Berufungsurteile des Landgerichts<br />
werden nur noch in Ausnahmefällen<br />
durch die Revision<br />
beim Oberlandesgericht auf<br />
Rechtsfehler überprüft werden<br />
dürfen, nämlich nur dann, wenn<br />
dies .. zur Wahrung der Rechtseinheitoder<br />
zur Fortbildung<br />
des Rechts" notwendig ist. Das<br />
Unrecht im Einzelfall interessiert<br />
nicht. - Dem Angeklagten<br />
und dem Verteidiger kann der<br />
Mund verboten werden, wenn<br />
sie sich nach Auffassung des<br />
Vorsitzenden nicht sachbezogen<br />
artikulieren, dem Verteidiger<br />
kann, wenn er Unterbrechung<br />
der Verhandlung erzwingt,<br />
dies mit Kostenauferlegung<br />
ausgetrieben werden.<br />
Auch diese Aufzählung der<br />
neuesten Planung ist nicht vollzählig;<br />
auf die Dokumentation<br />
in STRAFVERTEIDIGER 1982,<br />
S. 600ft. sei hier verwiesen.<br />
Begründung dieser neu aufgelegten<br />
Planung : .. Die Belastung<br />
der Strafgerichte und der Staatsanwaltschaft<br />
nimmt ständig<br />
zu . Durch Personalvermehrungen<br />
kann der Zuwachs nicht<br />
mehr aufgefangen werden. Seine<br />
Bewältigung durch das Ausschöpfen<br />
aller Möglichkeiten<br />
des geltenden Rechts zur Verfahrensvereinfachung<br />
und -beschleunigung<br />
sind Grenzen gesetzt,<br />
die bald erreicht sein werden.<br />
Bei dieser Lage ist die Abhilfe,<br />
die zur Gewährleistung<br />
der rechtsstaatliehen Prinzipien<br />
des Strafverfahrens notwendig<br />
ist, nur durch baldige gesetzgeberische<br />
Maßnahmen möglich."<br />
Dies ist der Vorwand. in Kreuth<br />
sagte man deutlicher, um was<br />
es geht: ums Geradebiegen des<br />
.. verformten Rechtsbewußtseins."<br />
Dazu Gerhard Mauz, ohne<br />
den es die gemeinsamen<br />
Proteste der gesamten organisierten<br />
Anwaltschaft wohl<br />
nicht gäbe, als Hauptreferent<br />
des Strafverteidigerforumsam<br />
25. 9. 1982 in Köln: .. Die Politiker<br />
sind stets bereit, das Recht<br />
zu verraten, wenn es etwas<br />
bringt, und es bringt eben etwas<br />
... " .. Wir brauchen Kriminalität.<br />
Wir brauchen, je<br />
schlechter die Situation unseres<br />
Landes ist, eine rechtliche<br />
Auseinandersetzung mit der<br />
Kriminalität, die kurz, undifferenziert<br />
und scharf und damit<br />
<strong>für</strong> jene, die mit dem Finger auf<br />
die anderen zeigen, ein Trost<br />
ist. Es gibt derzeit unheimlich<br />
viel, worüber getröstet, wovon<br />
abgelenkt werden muß ... "<br />
Bundesjustizminister Engelhardt,<br />
so berichten die Morgenzeitungen<br />
am 1 0.1 .1983,<br />
hat sich gegen das Rechtspapier<br />
der CSU gewandt, mit der<br />
Begründung, es seien keine<br />
neuen Gesetzte notwendig. Vorbereitet<br />
sind sie wohl.<br />
Und so werden die Strafverteidiger<br />
auch weiterhin ihren Protest<br />
artikulieren. Der nächste,<br />
der 7. Strafverteidigertag im<br />
April 1983 in Frankfurt, ist als<br />
bundesweite Protestveranstaltung<br />
gegen solche Pläne bereits<br />
programmiert.<br />
Reinhard Birkenstock, Köln<br />
Gebührensätze I Am<br />
25. 5.1982<br />
hatte die in Westberlin erscheinende<br />
Tageszeitung TAZ im<br />
Rahmen ihrer Berichterstattung<br />
über den bevorstehenden Besuch<br />
des amerikanischen Präsidenten<br />
Reagan u.a. das Flugblatt<br />
einer anonymen Gruppe<br />
abgedruckt, in dem eine gewaltfreie<br />
.. Besetzung und Blockade<br />
sämtlicher Autobahnen der<br />
Bundesrepublik" diskutiert wurde.<br />
Max Thomas Mehr, der<br />
presserechtlich verantwortliche<br />
Redakteur der TAZ, wurde im<br />
Dezember vom Amtsgericht<br />
Berlin-Tiergarten zu 100 Tagessätzen<br />
a DM 35.- verurteilt (die<br />
Staatsanwaltschaft hatte eine<br />
Freiheitsstrafe von sechs Monaten<br />
auf Bewährung und DM<br />
2000.- Geldstrafe beantragt).<br />
"Im Endeffekt", so die Staatsanwaltschaft,<br />
habe die TAZ .. einen<br />
Aufruf zum Krawall" veröffentlicht,<br />
der dann zwar nicht auf<br />
den Autobahnen, aber auf dem<br />
Nollendorfplatz in Berlin stattgefunden<br />
habe. Die Zeitung<br />
kündigte an, in Berufung zu gehen,<br />
zumal ja am Nollendorfplatz<br />
keine Autobahn vorbeiführt<br />
und ihr eine Gebühr von<br />
3500.- DM <strong>für</strong> das Wahrnehmen<br />
des Rechts der freien Meinungsäußerung<br />
überhöht erscheint.