utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Betrieb einigeln möchte, auch wieder aufsprengen.<br />
Von Rudi Fuchs stammt die Bemerkung,<br />
die Kunst müsse heute antreten<br />
gegen den Fußball - und dazu sei sie nicht<br />
in der Lage. Für Brecht dagegen war das<br />
Sportpublikum der Modellfall seines Theaterpublikums,<br />
also des Kunstpublikums<br />
überhaupt. Denn beim Fußball ist das Publikum<br />
ins Geschehen verwickelt: Bundesliga-Mannschaften<br />
wissen, welch großen<br />
Einfluß die Unterstützung der Fans auf den<br />
Verlauf des Spiels hat.<br />
Zugleich aber haben sie, und das ist hier<br />
von Interesse, mit der um sich greifenden<br />
Unzufriedenheit dieser Fans zu kämpfen,<br />
die sich in Randale, sinkenden Zuschauerzahlen<br />
und leeren Vereinskassen ausdrückt.<br />
An einem bestimmten Punkt der<br />
Perfektion werden die großen Kulturmaschinerien,<br />
ob documentaoder Bundesliga,<br />
von Störungen, Disfunktionalitäten, Einbrüchen<br />
überrascht, über die sie nicht mehr<br />
hinauszuweisen vermögen. Dieser Punkt<br />
ist überall erreicht, wo sich die kulturelle<br />
Leistung vom Leben abtrennt. Offensichtlich<br />
haben große Teile des Sportpublikums<br />
vom industrialisierten Star-Fußball die<br />
Schnauze voll : es ist eine fremde Mannschaft,<br />
nicht mehr ihre Mannschaft, die dort<br />
spielt. Das Lächeln der Athleten gehört<br />
zum Trainingsprogramm, zum Gesamtkunstwerk.<br />
Insofern muß die Kunst nicht antreten<br />
gegen die Artund Weise, wie heute "Weltmeisterschaften"<br />
veranstaltet werden.<br />
Aber sie kann in dieser harten und brutalen<br />
Welt auf Leidenschaften rechnen, die die<br />
Menschen in die Fußballstadien gehen ließ<br />
und sie heute auch wieder hinaustreibt:<br />
denn das Entscheidende, Begeisternde, das<br />
Lebendige geschieht nicht auf der Ebene<br />
von Weltmeisterschaften an touristischem<br />
Ort, sondern unmittelbar, in einem Spiel<br />
am Ort. Dort können neue Figuren entstehen;<br />
Figuren, die in der Sphäre der Repräsentation<br />
nicht Eingang finden, weil sie sich<br />
aller Repräsentation entziehen; die sich ihrer<br />
Logik entziehen, weil sie eine eigene<br />
Logik noch nicht gefunden haben : "Wer ist<br />
hier der Herr, die Logik oder ich, ist die Logik<br />
fur mich da oder bin ich fur die Logik da,<br />
und ist denn keine Vernunft oder kein Verstand<br />
in meiner Unvernunft oder meinem<br />
Unverstand?" (Vincent van Gogh)<br />
Das Ende<br />
der Repräsentation<br />
Wir sind Zeugen eines Prozesses, der die alten<br />
Formen von Kunst und Kunstvermittlung<br />
auflösen wird. In immer kürzeren Abständen<br />
folgt ein "Zeitgeist" auf den anderen,<br />
ein "Zeitgeist" jagt den nächsten zu immer<br />
fortschreitender Erschöpfung. Doch<br />
nicht künstlerische Erfahrung ist erschöpft,<br />
sondern die überkommene Ordnung ihrer<br />
Repräsentation. Kritiker inmitten des Organisationsstabs<br />
derdocumentahaben dies<br />
bemerkt: die visuelle Maschine, schrieb<br />
Germano Celant im Katalog der documenta,<br />
"hält die Auffassung einer operativen<br />
Identität und einet Katalogisierung sämtlicher<br />
Prozesse - die aber bereits 'verschwunden'<br />
sind - am Leben und bekräftigt<br />
sie." Und Gerhard Storck bemerkte, die<br />
anfangliehe Idee der documenta, Kunst in<br />
Fragen zu verwickeln, "hätte unweigerlich<br />
zur Abschaffung der Repräsentationsform<br />
'Ausstellung' gefuhrt. - Wer aber sägt<br />
schon gern an dem Ast, auf dem er sitzt?"<br />
Darin besteht das Dilemma des Betriebs,<br />
der sich heute in die Schutzräume zurückzieht,<br />
auf ein Überleben hinauswill, weil<br />
sich das Lebendige seiner Ordnung entzieht<br />
und der "Sinn", den er einst repräsentierte,<br />
verschwindet.<br />
Zeitgenössische Kunst, in Kassel oder<br />
Berlin mit Millionenbudgets präsentiert,<br />
erhält zwar nach wie vor Verbindlichkeit<br />
und Modellcharakter. Mit Hilfe der Medien,<br />
die sich auf diese Ereignisse konzentrieren,<br />
erhebt sich das 100-Tage-Programm<br />
in Kassel, das Spektakel in Berlin<br />
zur orm, gleicht sich Anderes an, indem<br />
es die verbreitete Ansicht produziert, man<br />
müsse in Kassel oder Berlin dabeigewesen<br />
sein. Die entscheidenden Prozesse dagegen<br />
finden längst an anderem Ort, in anderer<br />
Zeit statt, woraufGerhard Storck ebenso<br />
hinwies: "Stellen wir uns vor, es ließe sich<br />
machen, künstlerisches Denken und Handeln<br />
tatsächlich in den Blutkreislauf des<br />
Wirklichkeitszusammenhangs einzubringen;<br />
also gesetzt den Fall, es gäbe ein paar<br />
Leute mit Ideen und Wuchs, die zu einer<br />
solchen Operation bereit und in der Lage<br />
wären?- Sie müßten sich schon auf einiges<br />
gefaßt machen. Von offizieller Seite wäre<br />
wohl keine Mark zu haben."<br />
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