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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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ten. Nach Hitlers Einmarsch in Rußland erhielt<br />

die polnische Exilregierung in London<br />

die Erlaubnis, aus den Lagern eine Exilarmee<br />

zu rekrutieren. Czapski wurde mit der<br />

Suche nach dem Verbleib von 15 000 vermißten<br />

Gefangenen betraut- einer Aufgabe,<br />

wie er sie ähnlich bereits in den Kriegswirren<br />

nach der russischen Revolution unternommen<br />

hatte. Diese Suche fuhrte ihn<br />

durch viele Gefangenenlager in der Sowjetunion<br />

und durch die Büros immer höflicher<br />

und immer verschwiegener hoher<br />

Funktionäre. Er hat seine Gespräche, Begegnungen<br />

und Beobachtungen in vielen<br />

Details notiert und in dem Mosaik, das sich<br />

so zusammenfugte, die Wahrheit entdeckt.<br />

Diese Wahrheit war der Massenmord an<br />

mehr als 4000 wehrlosen polnischen<br />

Kriegsgefangenen und trug den amen<br />

Katyn. Er stand zu ihrauch nach dem Krieg,<br />

als das Ausmaß der Naziverbrechen die<br />

Erörterung von Verbrechen auf Seiten der<br />

Siegermächte nicht zuzulassen schien.<br />

Wahrheit war fur Czapski nicht durch Opportunität<br />

teilbar.<br />

"Die Lebensgeschichte des Malers und<br />

SchriftstellersJosefCzapski würde in einem<br />

europäischen Testament ein aufschlußreiches<br />

Kapitel abgeben", schreibt Manees<br />

Sperber im Vorwort des Buches "Unmenschliche<br />

Erde" - das übrigens, ähnlich wie<br />

Rawiczs zuvor in den Sechziger Jahren erschienenes<br />

Werk, in Deutschland fast resonanzlos<br />

verschwand.<br />

Czapski stammt aus der polnischen Aristokratie<br />

(die Mutter war Osterreicherin, der<br />

Vater russiftzierter Pole). Erwuchs als gläubiger<br />

Katholik in Weißrußland und Petersburg<br />

auf. Als Tolstoianer strengster Observanz<br />

verweigerte er anfanglieh den Dienst<br />

mit der Waffe und entzog sich der Dienstpflicht<br />

in der polnischen Armee. Die Oktoberrevolution<br />

erlebte er als Hoffnungssignal<br />

fur neue geistig-humane Orientiemngen:<br />

der damals 2ljährige ging mit Schwestern<br />

und Freunden nach Petersbmg, um<br />

dort in einer Art "Kommune" die "relance"<br />

einer anderen Welt zu beginnen - einer<br />

Welt menschlicher Nähe, sozialer Kreativität,<br />

ohne Krieg und ohne Haß selbst noch<br />

auf die Feinde von eben. Aber Czapski war<br />

auch Patriot. Als die Heere der Revolution<br />

seine Heimat mit neuem Krieg zu verwüsten<br />

begannen, kehrte er zur Armee zurück,<br />

wo er als erklärter Paziftst zunächst<br />

mit der Suche nach Verschollenen betraut<br />

wurde, später jedoch als Kavallerist höchsten<br />

persönlichen Mut bewies.<br />

Der Aufbruch in eine neue Hoffnung<br />

und in neue Erfahrungen blieb ein bestimmendes<br />

Moment in Czapskis Leben. Er<br />

vergleicht den Lebensabschnitt, der sein<br />

drittes Portrait enthalten könnte, ausdri.ikklich<br />

mit dem Petersburger Versuch von<br />

1917: "Sehen Sie", sagt er, "ich habe ja eine<br />

solche Phase gemeinsamer Kreativität<br />

schon damals erlebt. KUL TURA war die<br />

geistige und praktische Fortsetzung dieses<br />

Lebensgefuhls." Das Portrait, das Czapski<br />

unter dem Titel KUL TURA zeigt, ist ein<br />

28<br />

Gmppenbild. Es enthält die Gründer, Herausgeber,<br />

Mitarbeiter und Autoren der polnischen<br />

Emigrantenzeitschrift in Paris, die<br />

als Sprachrohr der polnischen Intelligentsia<br />

und als Sammelpunkt der polnischen Literatur<br />

so etwas wie ein inoffizielles polnisches<br />

Kulturzentmm ist. "Das ist die bedeutendste<br />

Zeitschrift, die eine Gmppe von<br />

Emigranten je zustande gebracht und in<br />

beispielhafter Unabhängigkeit erhalten<br />

hat", bezeugt Man es Sperber. Die seit nunmehr<br />

35 Jahren erscheinende monatliche<br />

Publikation ist, wie der Verlag "Institut Literacky",<br />

eine Nachgeburt aus der Zeit der<br />

Polnischen Exilarmee, die aus der Sm~jetunion<br />

über Turkestan, Persien, Palästina und<br />

Ägypten kämpfend nach Italien zog und<br />

zum Schluß an der Schlacht um den Monte<br />

Cassino teilnahm. In dieser Armee hatte<br />

Czapski nach Beendigung seiner Such­<br />

Mission die Rolle eines Informations- und<br />

Kulturoffiziers übernommen. Dort fanden<br />

sich auch die Persönlichkeiten zusammen,<br />

die dem der stalinistischen Diktatur überantworteten<br />

Polen eine neue geistige Heimat<br />

im Exil bereiteten.Jerzy Giedroyc aus<br />

alter Familie im einst polnischen Litauen<br />

gab den Anstoß zur Gründung und wurde<br />

Chefredakteur; Czapski übernahm es, fur<br />

die Zeitschrift zu werben und ihr Kontakte<br />

zu schaffen. Die Unabhängigkeit erwies<br />

sich nicht nur im Verzicht aufjegliche Subventionen<br />

durch andere Nationen oder politische<br />

Organisationen, sondern auch gegenüber<br />

der in London etablierten polnischen<br />

Exilregierung; KUL TURA versteht<br />

sich nicht als Repräsentant eines "Staates<br />

im Exil", sondern als Sprachrohr und Mittler<br />

nonkonformistischen Denkens, untedrückter<br />

Minderheiten und Nationalitäten;<br />

die Zeitschrift reklamiert keine politischen<br />

Ansprüche. Beiträge von jahrzehntelang in<br />

Polen nicht publizierten Schriftstellern wie<br />

Gombrowicz, Kolakowski, Milosz, Hlasko,<br />

Mrozek und vielen anderen, deren Namen<br />

wir nicht einmal kennen, waren hier ebenso<br />

vertreten wie die Werke russischer Dissidenten:<br />

Soltschenyzin, Sacharow, Amalrik<br />

oder Sinjawski erschienen zuerst dort; die<br />

Namen westeuropäischer Schriftsteller,<br />

von denen Übersetzungen erschienen -<br />

Koestler und Orwell, Raymond Aron und<br />

Camus, Simone Weilund Milovan Djilaskennzeichnen<br />

den geistigen Standort.<br />

Josef Czapski ist mit zahlreichen Aufsätzen<br />

zur Kunst- und Geistesgeschichte<br />

vertreten. Er wohnt, wie der Chefredakteur<br />

und einige andere der funf ständigen Mitarbeiter,<br />

in der-Kommune der "Maison KUL­<br />

TURA", in der alle das gleiche Gehalt beziehen<br />

- basierend auf der französischen<br />

Mindestlohngarantie. KUL TURA lebt einzigvon<br />

Abonnements in 20 Ländern, in denen<br />

rund 50 freiwillige Repräsentanten fur<br />

die Zeitschrift tätig sind. Jeder Überschuß<br />

wird in die Buchproduktion investiert. In einem<br />

Aufsatz, den KonstantinJelenski über<br />

die Zeitschrift schrieb, erklärt er das materielle<br />

Geheimnis der Existenz dieses zur<br />

Lebensgemeinschaft gewordenen Publikationsunternehmens:<br />

"Die Gründer von<br />

KUL TURA hatten funf oder sechs Jahre in<br />

der Armee verbracht, und einige von ihnen<br />

konnten sich erst nach dem Aufenthalt in<br />

einem sibirischen GULAG engagieren. Ihre<br />

Gewohnheiten hinsichtlich Komfort<br />

und Luxus hatten, selbst wenn es sie vorher<br />

gegeben hatte, keine Realität mehr. Nur die<br />

geschlossene Gesellschaft der Emigration<br />

konnte KUL TURA eine so lange Dauer mit<br />

gleichem Niveau erlauben, ohne daß die<br />

Zeitschrift von anderen Wochenblättern<br />

oder Beilagen großer Zeitschriften zerstört<br />

wurde oder in die Abhängigkeit von Reklame<br />

oder großen Verlagshäuser geriet."<br />

III.<br />

Ich wollte von der Botschaft sprechen,<br />

die Werk und Persönlichkeit Czapskis vermitteln<br />

- und es wäre nun hier der Ort, ihn<br />

im Spiegel seiner persönlichen Freundschaften<br />

zu zeigen. Die Entschiedenheit,<br />

mit der er fur seine Wahrheiten eintrag, seine<br />

Versöhnungsbereitschaft gegenüber<br />

den Völkern, durch die er und die Seinen<br />

Schweres erlitten, seine geistige Haltung<br />

und seine künstlerischen Interessen verbanden<br />

ihn mit verwandten Persönlichkeiten<br />

in der Zeitgeschichte: Andre Malraux,<br />

Albert Camus, Francois Mauriac oder auch<br />

Aldous Huxley undJulian Green. Die von<br />

ihm gemalten und skizzierten Portraits dieser<br />

Weggenossen sind Zeugnisse einer geistigen<br />

Landschaft und einer Epoche, die<br />

uns heute nicht mehr genügend gegenwärtig<br />

ist. Czapskis Bilder und seine Haltung<br />

zur Kunst als einer die Lauterkeit des ganzen<br />

Menschen fordernden Kraft erlauben,<br />

sinnfällig, die Annäherung. So, wie das Engagement<br />

fur Überzeugungen und die Bereitschaft,<br />

das Notwendige zu tun, Jahrzehnte<br />

von Czapskis Leben beanspruchten,<br />

so kommt man nicht zu dem Maler und<br />

Schriftsteller, ohne die Verlagsräume zu<br />

passieren, denen seine Arbeit so lange gehörte.<br />

Er wohnt in der "Maison KUL TURA"<br />

in winzigen Mansardenräumen unter dem<br />

Dach- bis zu ihrem Tode im Jahr 1981 gemeinsam<br />

mit einer seiner Schwestern, Maria<br />

Czapska, die unter anderem mit dem<br />

im KZ umgebrachten polnischen Kinderarzt<br />

J anusz Korzak verbunden war und als<br />

Schriftstellerin Erfahrungen aus dem Warschauer<br />

Ghetto wie die reiche und farbige<br />

Familiengeschichte beschrieb. Czapskis<br />

Leben gehört jetzt ganz und mit der ganzen<br />

unaufhörlichen Eindringlichkeit und<br />

Begeistemngsfahigkeit der Malerei, in der<br />

die Kraft seiner freudigen Anschauung und<br />

seine von Religiosität getragene Mitleidens-Fähigkeit<br />

sich verbünden. Das Wort<br />

Dostojewskis, daß jeder beliebige Gegenstand<br />

des täglichen Lebens bei genauem<br />

Hinsehen seine Tiefe und seine Bedeutung<br />

offenbart, ist die Richtschnur von Czapskis<br />

künstlerischem Schaffen, sein immer wieder<br />

neu befragter "point de depart", die Natur.<br />

Das Kämmerchen, das ihm als Atelier<br />

dient, enthält das täglich eingebrachte An-

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