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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Solidaritätskonzert <strong>für</strong> argenfinisehe Künstler 1<br />

Wer erinnert sich nicht an die Zeiten spektakulärer<br />

Solidaritätskonzerte <strong>für</strong> die Unterdrückten in der<br />

Dritten Welt, mit großen Namen auf Seiten der Musiker,<br />

Veranstaltungen, die die (politische) Kultur einer<br />

ganzen Generation prägten. Von Ausnahmen abgesehen<br />

war die .. ernste Musik" dabei eher Ausnahme<br />

(sorgte aber, wo sie in ähnlicher Funktion wirkte,<br />

meist <strong>für</strong> handfeste Skandale). Nun, die Zeiten sind<br />

vorbei, längst haben bei Komponisten die Manifeste<br />

der Innerlichkeit die politischen selbstbewußt übertönt.<br />

Umso erstaunlicher mußte ein Konzert <strong>für</strong> 100 verschwundene<br />

argentinische Künstler wirken, das im<br />

November in der Kölner Musikhochschule stattfand.<br />

Die A.I.D.A. (Association Internationale de Defense<br />

des Artistes Victimes de Ia repression dans le monde)<br />

hatte mit Hilfe von Hans Werner Henze 16 zeitgenössische<br />

Komponisten, alles bekannte Namen (AIIende­<br />

Biin, von Bose, Fritsch, Henze, Medek, Nono, Rihm,<br />

Sehnebell gebeten, <strong>für</strong> dieses Solidaritätskonzert je<br />

ein neues Stück zu schreiben, die dann von ebenso<br />

bekannten Ausführenden gespielt werden sollten:<br />

was den schöpferischen Teilnehmern leichter fiel als<br />

den nachschöpfenden. Die international arrivierten<br />

Künstler sagten ab, das Konzert wurde in der Hauptsache<br />

von Schülern der <strong>Hochschule</strong> bestritten, die<br />

sich zwar alle Mühe gaben, <strong>für</strong> die einige Stücke jedoch<br />

hörbar zu hohe Anforderungen stellten.<br />

Die Bereitschaft. sich <strong>für</strong> die politisch Verfolgten in<br />

Argentinien einzusetzen, ist im Zuge der gegenwärtigen<br />

Reaktion nicht hoch genug einzuschätzen; dennoch<br />

muß sich jeder Komponist auch nach seinen<br />

musikalischen Mitteln fragen lassen. Wer als Zuhörer<br />

Aufrüttelndes, Kämpferisches oder Protest erwartete,<br />

ging fehl: das Pathos überwog in fast allen Kompositionen,<br />

die Autoren gelangten in ihren verschiedenen<br />

Kompanierstuben zu erstaunlich parallelen Ergebnissen,<br />

nämlich zu einer fast uniformen Geste der<br />

Trauer. Ein solcher Auftra~ scheint individuelle Sprache<br />

zu transformieren in eme allgemeine, von der<br />

man glaubt, sie einzig sei angemessen. Um wieviel<br />

ehrlicher wäre beispielsweise ein 'echter- sicher<br />

aufrüttelnder- Rihm' gewesen als sein schulmeisterlicher<br />

Chor, dessen Intention (geschlossener Mund =<br />

Unterdrückung) durch den flachen Tonsatz nivelliert<br />

wurde. Nur wenige wußten diesem Ton der Trauer zu<br />

widersprechen, so Dieter Sehnebei mit einem Stück,<br />

in dem Rhythmen der Unterhaltungsmusik mit den<br />

gesprochenen Namen der Verschwundenen kontrapunktiert<br />

wurden: so primitiv dieses Bild ist, es<br />

stimmte. Ge~en den Alltag des Vergessens kann nur<br />

die eindringliche Wiederholung, das 'Immer wieder<br />

ins Gedächtnis Rufen' ankommen.<br />

Wer sich an die Zeiten der spektakulären Solidaritätskonzerte<br />

erinnert. dem mochten die Aufrufe, die<br />

Augenzeugenberichte, die Kommentare, das Verlesen<br />

von Flugblättern gefehlt haben. Ja, man hätte<br />

sich mehr Informationen zur Situation gewünscht,<br />

auf die sich die Stücke bezogen. Wären nicht die<br />

Stände von amnesty international, der A.I.D.A. und<br />

der politischen Gruppen in der Pause gewesen, man<br />

hätte sich wie in einem Wohltätigkeitskonzert fühlen<br />

können, .bei dem gesammelt wird, man ansonsten<br />

aber unter sich bleibt.<br />

Friedrich Spangemacher<br />

48<br />

lnquicicion I Das Wort steht in diesen Wochen<br />

auf Plakaten in der spanischen<br />

Hauptstadt Madrid : .. lnquicicion". Das ist kein Signal<br />

zu einem aktuellen Fall innerhalb der politischen<br />

Szene, sondern ein Hinweis auf eines der düstersten<br />

Kapitel der Staats- und Kirchengeschichte des Landes:<br />

eine vom Kulturministerium des Landes veranstaltete<br />

Ausstellunq hat sich im Palacio Velesauesinmitten<br />

des schönen Retiro-Parks am Rande der Innenstadt<br />

von Madrid - mit wissenschaftlicher<br />

Akribie und erstaunlicher Anschaulichkeit des heiklen<br />

historischen Themas angenommen.<br />

Im vergangenen Jahr war es genau<br />

750 Jahre her, daß Papst<br />

Gregor IX. die Inquisition zu einer<br />

päpstlichen Einrichtung<br />

machte und planmäßig organisierte.<br />

Kurz darauf übernahm<br />

sie Ka iser Friedrich II. <strong>für</strong> das<br />

gesamte .. Heilige Römische<br />

Reich". Er ordnete an, Ketzer zu<br />

verbrennen oder sie der Zunge<br />

zu berauben, Staat und Kirche<br />

führten offiziell die Todesstrafe<br />

ein. Die strenge Form der päpstlichen<br />

Inquisition, das Heilige<br />

Offizium, wurde 1542 von<br />

Papst Paul 111. eingeführt. Auch<br />

nach Aufhebung der Inquisition<br />

vor gut 1 00 Jahren blieb das<br />

Heilige Offizium zur .. Ketzerverfolgung"<br />

weiterhin bestehen.<br />

Erst als Papst Paul VI. 1965 daranging,<br />

die Römische Kurie zu<br />

reformieren, wurde das Heilige<br />

Offizium in .. Congregation pro<br />

doctrina fidei", in .. Kongregation<br />

<strong>für</strong> die Glaubenslehre" umbenannt.<br />

Seit 1 231 ist der Berufsstand<br />

des kirchlichen Inquisitors bekannt.<br />

Er hatte die Aufgabe,<br />

Ketzer aufzuspüren und Verdächtige<br />

aufzufordern, sich freiw<br />

illig zu stellen; war die Frist<br />

verstrichen, wurden Denunziationen<br />

entgegengenommen.<br />

Gab der Angeklagte seine<br />

Schuld nicht zu, durften die Inquisitoren<br />

die Folter anwenden,<br />

um Geständnisse zu erzwingen.<br />

Hatte das kirchliche Gericht einen<br />

Angeklagten <strong>für</strong> schuldig<br />

befunden und beharrte dieser<br />

dennoch auf seiner Unschuld,<br />

übergab ihn die Kirche dem<br />

Staat zur Hinrichtung. Ein Autodate<br />

wurde angesetzt, ein öffentlicher<br />

Akt des Glaubens. So<br />

nannte man die feierliche Urteilsverkündung<br />

in den Ketzerprozessen<br />

während der Spanischen<br />

Inquisition. Und so lautete<br />

die Ankündigung: .. Allen Bewohnern<br />

dieser Stadt kund und<br />

zu wissen, daß das Heilige Offizium<br />

der Inquisition zum Ruhm<br />

und zur Ehre Gottes und zur Erhebung<br />

unseres katholischen<br />

Glaubens ein öffentliches Autodate<br />

feiern w ird."<br />

Man kann nur ahnen, wie die<br />

Quälereien und Torturen gewesen<br />

sind, denen die Menschen<br />

durch die Folterwerkzeuge ausgesetzt<br />

waren. Da gab es die<br />

mordaza, den Knebel, die grilletes,<br />

die Daumenschrauben, die<br />

garrotes viles, die Würgeeisen,<br />

die garrucha, den Wippgalger.<br />

Es gab die Behandlung mit<br />

Feuer und Wasser, Angeklagte<br />

wurden aufs Streckbett gespannt,<br />

aufs Rad geflochten, an<br />

den Armen aufgehängt- es<br />

gibt eine blutige Märtyrerspur<br />

von den Tagen der Inquisition<br />

über die Nazi-Greuel bis zu den<br />

Entführungs-, Erpressungs-und<br />

Folterungsmethoden diktatorischer<br />

Regimes unserer Tage.<br />

Stets ging es darum, die Frei ­<br />

heit des Wortes, das Recht auf<br />

Kritik, die Freiheit der eigenen<br />

Lebensgestaltung zu unterdrücken.<br />

Den Kirchen<strong>für</strong>sten ging es um<br />

eine starke Kirche: deshalb<br />

verfolgten sie alle und alles,<br />

was irgendwie als Verstoß gegen<br />

die reine kirchliche Lehre<br />

ausgelegt werden konnte. Dem<br />

König ging es um einen starken<br />

Staat: aufklärerische und reformatorische<br />

Ideen von Menschen<br />

mußten da unterbunden<br />

werden. Das Jahr 1481 in Spa ­<br />

nien gegründete Tribunal nützte<br />

beiden, der Monarchie wie<br />

der Kirche. Es diente zur Stärkung<br />

der inneren Sicherheit<br />

und der sowohl politischen wie<br />

religiösen Einheit des Landes.<br />

Erst im 18.Jahrhundert, mit<br />

dem Niedergang der weltpolitischen<br />

Bedeutung Spaniens,<br />

schwand auch die Wirksamkeit<br />

der Inquisition, gegen die die<br />

hervorragendsten Geister Europas<br />

als Humanisten und Aufklärer<br />

mit nicht nachlassender<br />

Intensität immer wieder zu Felde<br />

gezogen waren. Zu Beginn<br />

des 19.Jahrhunderts untersagte<br />

Napoleon das kirchenrechtliche<br />

Verfahren. Nach einem erneuten<br />

Wiederbelebungsversuch<br />

unter Ferdinand VII. wurde<br />

die Inquisition in Spanien<br />

1834 offiziell abgeschafft. Allerdings<br />

sehen verschiedene<br />

Konstitutionen, etwa von 1837,<br />

1845 und 1 945 immer noch<br />

den Katholizismus als Staatsreligion<br />

in Spanien vor. Reli ­<br />

gionsfreiheit in demokratischem<br />

Sinne und die in einer<br />

demokratieselbstverständliche<br />

Trennung von Kirche und Staat<br />

gibt es in Spanien strenggenommen<br />

erst seit 1978 - eine,<br />

wenn auch späte, Frucht des<br />

Zweiten Vatikanischen Konzils.<br />

Diese ,.Inquisitions" -Ausstellung<br />

ist <strong>für</strong> Spanien eine Sen ­<br />

satio.fl . Es zeugt keineswegs<br />

von Ängstlichkeit oder Halbherzigkeit,<br />

daß in der Ausstellung<br />

die spektakulären Aspekte<br />

des Phänomens- Geheimverhöre,<br />

Folter, Schauprozesse ­<br />

eher zugunsten der Präsentation<br />

jener Quellen und Exponate<br />

zurückgedrängt werden,<br />

welche uns die Alltäglichkeit<br />

der lnqusition im 16. und

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