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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Burghart Schmidt<br />

Kunst und Mythos<br />

D er Ursprung der Kunst im Mythos ist unbezweifelt. Die<br />

romantische Philosophie formulierte ihn auf eine Weise, nach der<br />

dem Mythos die Rolle des Stoffiieferanten fiir alle folgenden<br />

Kunstproduktionen zugeschrieben wurde. Selbst Marx akzeptiert<br />

so viel an der romantischen Einsicht, daß er den Mythos als den<br />

Boden der Kunst auszeichnet. Doch welche Säkularisierungswellen<br />

rollten an gegen die Verankerung der Kunst im Mythos oder<br />

der Religion! Wir müssen hier vorsichtig sein. Betrifft die Säkularisierung<br />

die Kunstwerke selber oder ihre späteren Ausleger?<br />

Nehmen wir ein Beispiel. Die fromme Kunst des Barock wird<br />

in der Interpretation Heinrich Wölffiins am Ende des 19.Jahrhunderts<br />

zu einem Bildexperiment auf die mathematischen und physikalischen<br />

Raumtheorien aufklärender Naturphilosophie,ja Naturwissenschaft.<br />

Die mythisch-religiösen Motive sind zum bloßen<br />

Vorwand herabgesetzt. Ja die Geschichten der Wunder diskutieren<br />

die Unverbrüchlichkeit der Naturdetermination. Der Weg<br />

nach Golgatha illustriert die Dynamik eines Massenzugs. Der<br />

Himmel ist Anlaß fiir die plastischen Illustrationen der Farben und<br />

ihrer Abtönungen.<br />

Hier liegt ohne Zweifel die Säkularisierung in einer späteren<br />

Interpretation begraLen. An Ort und Stelle war nur der Versuch<br />

unternommen worden, säkulares Aufklärungswissen mit einer<br />

durch Deutung geöffueten Dogmatik zu vermitteln; sieht man einmal<br />

von einem Zynismus ab, der schon damals die Madonnen<br />

noch bewunderte, aber nicht mehr die Knie vor ihnen beugte, wie<br />

eine Hegeische Formulierung fiir Kunstsäkularisierung lautet.<br />

Ob an Ort und Stelle oder später - die Säkularisierung der<br />

Kunst als Prozeß der Neuzeit ist nicht zu leugnen. Und doch wurde<br />

eines der Extreme in der Stellung der Kunst zur menschlichen Gesellschaft,<br />

das l'art pour l'art, wieder als Kunstreligion im Musentempel<br />

dargeboten. Doch nur wegen des Ritualcharakters, des rituellen<br />

Umgangs mit den Kunstgegenständen. Benjamin beschrieb<br />

diesen Ritus als den der Aura, das heißt als den der Einmaligkeit<br />

im sich verständigenden Bezug zwischen betrachtendem,<br />

hinnehmendem Subjekt und sich gebendem Objekt. Selbstverständlich<br />

wiederholt sich darin die Gebets-, mindestens die Andachtsstruktur.<br />

Doch können wir diese Ritualität nur als eine des<br />

"Als ob" werten, denn sie hatte keine Funktion mehr fiir das Alltagsleben<br />

der Teilnehmer, sie war Ausnahmesituation wie dann<br />

Heideggers Eigentlichkeit des Verhältnisses zum Sein, wo alle<br />

pragmatisch interessierten Verhältnisse zum Seienden sich vorübergehend<br />

einmal ins Schweigen sperren lassen. Es sei denn:<br />

Ganz säkularisiert zum Bildungserlebnis reinigt man sich in bestimmten<br />

Abständen von den alltäglichen Interessen. Was Kants<br />

Ausdruck eines "interesselosen Wohlgefallens" nahelegt, immer<br />

wieder die Aristotelische Katharsis, welche von weiteren Konsequenzen<br />

befreit.<br />

Die Säkularisierung als der Charakterzug der Neuzeit wurde<br />

so lange überwiegend vertreten, wie das Vertrauen in die wissenschaftliche<br />

Rationalität sich hielt. Einige geschichtliche Erwartungsverweigerungen<br />

enttäuschen allerdings so tief, daß schon<br />

Proteste vorlaufend gegen die Aufklärungsratio antraten, wir meinen<br />

etwa den "Sturm und Drang" oder die Romantik. Unsere Gegenwart<br />

freilich ist beherrscht von der Diskussion um die Geltung<br />

der Ratio. Das heißt, ihre Geltung ist erschüttert. Spätestens seit<br />

Ernst Cassirers Untersuchungen über die symbolischen Formen<br />

wurde der Abgrund zwischen Mythos und Ratio zugeschüttet.<br />

Daran ändert nichts, daß Leute wie Ernesto Grassi viel später wieder<br />

zu der Rede vom Mythos als der Anti-Logik, als der Ir-Ratio<br />

unbelehrt zurückkehrten. Der Mythos erscheint trotzdem nicht<br />

mehr als der Gegner, den der Logikgehalt neuzeitlicher Rationalität<br />

seiner willkürlich setzenden Haltlosigkeit zu überfuhren hätte.<br />

Der Mythos folgt im Ordnen der Logik so genau wie der neuzeitliche<br />

Wissenschaftsanspruch es verlangt. Ja noch nicht einmal der<br />

Gesichtspunkt, daß logische Ordnung zugleich auch per Logik einen<br />

realen Begründungszusammenhang der geordneten Beziehungen<br />

ausspricht, macht den Unterschied aus. Alle mythologischen<br />

Bewußtseinsstrukturen drängen darauf, Ordnung, welche<br />

die Klassifikation ergibt, auch als Ursachen-Wirkungsverhältnis zu<br />

interpretieren. Der Kausalitätsgesichtspunkt neuzeitlicher Rationalität<br />

ist also genauso vorhanden und ebenso; was man sonst gewöhnlich<br />

als Hauptgesichtspunkt neuzeitlicher Wissenschaftlichkeit<br />

hervorkehrt, nämlich die Möglichkeit der Naturbeherrschung<br />

als die alles antreibende Absicht, zeigt sich vorhanden durch die<br />

praktische Verwendung des Mythos fiir die Organisation des Lebens<br />

zur Vermittlung mit Natur. Darin bewegt sich die Absicht,<br />

Weltdeutung, mythische Weltdeutung so zu handhaben, wie man<br />

das heute mit derwissenschaftlichen Prognose tut: Vorwegnahme<br />

zur Manipulation der gegenständlichen Welt und zu ihrer Beherrschung.<br />

Entscheidende Strukturen der neuzeitlichen Rationalität<br />

finden sich also im Mythos wieder. Cassirer sieht einen Unterschied<br />

zur neuzeitlichen Ratio erst darin, daß der Mythos in seiner<br />

Klassifikationsordnung hin auf Kausalzusammenhänge konkrete<br />

und komplexe Dinge aneinanderreiht oder in Verhältnisse zueinander<br />

nach quaktativen M~;kmalähnlichkeiten bringt, also nach einer<br />

reichen Vielfalt von Ubereinstimmungen, die es möglich machen,<br />

Dinge nach bestimmten Formen, Gerüchen, Ton-Farben,<br />

Bewegungsfiguren usw. in Zusammenhang zu bringen- sei es sie<br />

in eins zu setzen durch die Gattung oder sei es sie ursächlich voneinander<br />

abhängig zu machen. So etwa: Braun kommt aus Braun, also<br />

könnte man eine Kausalkette aller braunen Dinge der Welt aufstellen.<br />

Da hat nun die neuzeitliche Rationalität ein anderes Prinzip<br />

eingefiihrt: nicht komplexe und konkrete Dinge werden klassifiziert<br />

und in Kausalabhängigkeit gebracht, sondern die komplexen<br />

und konkreten Dinge werden reduziert und durch analytische<br />

Eingriffe aufElemente und ganz bestimmte Quantitäten zurückgefiihrt.<br />

Das kann durchaus im Gedankenexperiment wie auch im<br />

Realexperiment vor sich gehen, also sowohl ideale wie reale und<br />

materiale Analyse beinhalten. Jedenfalls werden die komplexen<br />

konkreten Dinge zerlegt zu Elementen, in die man ganz wenige<br />

Eigenschaften hineinbringen darf, etwa wenige Gesichtspunkte<br />

der Quantität. Die Quantität läßt sich einmal energetisch und dynamisch<br />

auffassen, ein andermal räumlich wie nach Größen- und<br />

Ausdehnungsmessungen. Diese Quantifizierung kann man wieder<br />

in eines bringen. Es geht um die Zerlegung von konkreten und<br />

komplexen Dingen, um sie nicht über eine Vielzahl von Qualitäten<br />

miteinander zu vergleichen, sondern über relativ stark eingeengte<br />

Qualitätssorten, wie etwa die Quantifizierung über einen ganz und<br />

gar entmythologisierten Zahlbegriff dies möglich macht. Das wäre<br />

also der große Unterschied, den die neuzeitliche Rationalität<br />

nach Cassirer hervorgebracht hat. Er ist nicht zu fmden in der Logik<br />

der Verknüpfung, sondern in der Gerichtetheit der Analyse auf<br />

das, was verknüpft wird.<br />

Wenn man aus dem gesamten Feld der uns überlieferten Mythen<br />

nun eine mythische Struktur destillierend hervorzieht, welche<br />

bis auf die Zurüstung der Analyse sich mit den rationalen<br />

Spuren-Auflatz 1/83

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