utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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in Entwicklungspsychologie absolviert,<br />
absolviert - warnen,<br />
aber sie verführen zugleich. Das<br />
Leben in dem Zwergenreich, in<br />
dem man noch einmal die Grenzen<br />
zwischen Wirklichem und<br />
Möglichem, zwischen Angenehmem<br />
und Ekligem, Geliebtem<br />
und Gehaßten. Eigenem und<br />
Fremdem erfahren und in manchem<br />
anders (ein wenig anders)<br />
zsiehen kann - dieses Leben<br />
laugt aus, isoliert und unterminiert<br />
die erwachsene Existenz.<br />
Dieses Leben muß und soll doch<br />
eingebettet bleiben in die eige- '<br />
ne Biographie: .. Kinder sind<br />
wunderbar im Erwachsenenleben,<br />
nicht anstelle eines solchen<br />
Lebens."<br />
.. Das Wichtigste ist, daß die<br />
Männer ihre Zeit hergeben und<br />
ihr Herz entdecken <strong>für</strong> diese besondere<br />
Form gesellschaftlicher<br />
Arbeit". Denn .. Hausfrau" ist<br />
kein Beruf mehr: .. das Haus ist<br />
zu klein geworden und die Frau<br />
zu groß". Was tun? .. Ich denke",<br />
schreibt die Autorin, .. zunächst<br />
an etwas sehr Altmodisches :<br />
die Idee, daß das Beste <strong>für</strong> das<br />
Kind 'die Familie' ist. Der Kummer<br />
ist nur: die Familie ist nicht<br />
mehr da . . . Gefragt ist also eine<br />
soziale Formation, die der alten<br />
Großfamilie ähnelt." Behutsam<br />
werden Konstruktionen diskutiert,<br />
die das versuchen; aber<br />
hier wird der Leser auf ein offenes<br />
Feld entlassen, auf dem soziale<br />
Phantasie ebenso nötig ist<br />
wie Geld hilfreich - staatliches<br />
und eigenes.<br />
Kardinalpunkt aber bleibt, daß<br />
die Männer ran müssen. Männer,<br />
die der Arbeit der Kleinkindbetreuung<br />
.. nicht nur deshalb<br />
so fern standen, weil sie<br />
' kastenbedingt' Frauenarbeit ist.<br />
sondern weil sie hart ist. Und<br />
daß sie sich ihr heute nur zögernd<br />
nähern, hat seine Ursache<br />
auch in dem Schmerz, den<br />
der Abschied von einem Privileg<br />
nun ma l kostet."<br />
Auch das ist leicht gesagt. Aber<br />
das Privileg w ird immer fragwürdiger;<br />
das weiß auch, wer es<br />
noch nicht ganz aufgeben will.<br />
Daß seine Preisgabe nicht nur<br />
den Frauen .. nutzt" -diese Erkenntnis<br />
schreibt die Verfassein<br />
die Herzen ihrer männlichen<br />
Leser.<br />
M.G.<br />
Erotische Beziehungen und konsequenter<br />
Feminismus<br />
ln der Memoirenliteratur zumindest angesehener<br />
Verlage hat sich nichts geä~ndert: IY!änner ~rinn.~rn<br />
sich an ihr Leben, Frauen ennnern s1ch an d1e Manner<br />
in ihrem Leben. Es ist fmit der Autobiographie der<br />
Wiener Schriftstellerin Dorothea Zeemann nicht an <br />
ders : Ist doch deren zweiter Teil (mit dem sie sich ihren<br />
Freundeskreis einigermaßen reduzi~rt~) ganz auf<br />
ihren Gefährten der späteren Jahre, He1m1to von Daderer<br />
den Großen konzentriert.<br />
Beim Lesen des ersten Teils .. Einübung in Katastrophen<br />
- Leben von 191 3 -45" h.ßbe ic~ mich gef~agt :_<br />
Gibt es sie also, die weibliche Asthet1k? So wen1g m1t<br />
der eigenen Geschichte kokettieren u_nd so direkt aus<br />
ihr nacherleben, das kann doch nur e~ne ~rau - oder<br />
entspricht diese gefährliche Zuordnung e1n~_r n_euen<br />
Weiblichkeit, die nicht neu, aber eben landlauf1g<br />
weiblich ist?<br />
Zeemanns Wirklichkeit ist keineswegs literarisch<br />
unaufbereitet. Es scheint nur so. Am Anfang ihres ersten<br />
Buches ist sie nicht .. Ich", sondern .. das Kind".<br />
Schritt <strong>für</strong> Schritt, wie in ihr eigenes Leb_en, treten _die<br />
Figuren dieser Kindheit vor den Leser: d1e proletansehen<br />
Eitern (die Mutter Sozialistin und von ung_~wöhnlicher<br />
Freizügigkeit, die Großmutte_r- tatsachlich<br />
- Köchin in Kaisers Küche); Vater, d1e Nachbarn<br />
im Wiener Kleinbürgermilieu. Das K_ind erle~t den<br />
Krieg, das Ende der Donaumonarchie und d1e Republikgründung.<br />
Die Geschichten vom ersten _Mann,<br />
von der wachsenden politischen Bewußtheit, _vom<br />
zweiten Mann, von den Freunden und Freundinnen,<br />
die im Roten Wien der Zwanziger und im erst<br />
schwarten, dann braunen Wien der Dreißiger Jahre<br />
immer deutlicher in die Schubladen politischer<br />
Zuordnung geraten- Juden/national denkende Professoren/rote<br />
Intellektuelle/Nazis.- das sind Ge- .<br />
schichten, die ineinandergehen. N1cht ohne Schw1erigkeiten,<br />
aber auch nicht so ~n~denlos .. authentisch"<br />
und bauchimmanent w1e 1n den Texten der<br />
.. Verständigungsliteratur". Die Autori_n hat k_eine po~<br />
litische literarische intellektuelle, pnvate B1ograph1e<br />
geschri'eben, sonde'rn - so ung~f~hr sagt sie's-: eine<br />
Uberlebensbiographie . ..Ich we1ß 1mmer noch n!cht,<br />
wie es zuging - das ist es, was_ mich ZUrt:J Schre1ben<br />
zwingt". Sie war befreundet m1t Egon Fnedell, verkehrte<br />
bei Genin Schwarzwald, aber ohne Plattform,<br />
ohne intellektuellen Hintergrund, immer fragend, _immer<br />
zweifelnd und ohne das Gefühl der Notwendig~<br />
keit Zweifel abzuschaffen ... A politisches Bekenntnis<br />
hab' ich nie z'sammenbracht", antwortete sie mir auf<br />
die Frage, wie sie es trotzeines Herzens, das links<br />
schlägt, mit allen m~gliC?_hen ~euten konnte. V~r al <br />
lem mit Doderer. Se1n burgerl1cher Charme, _s~1ne<br />
Skurrilität hat die Kleine-Leute-Tochter fasz1n1ert.<br />
Mit ihm dem schwarzen Reaktionär, dem Sprachkünstle~<br />
einer schon versunkenen Epoche, dem Antisemiten<br />
(der so schrecklich gern Hofrat ge~o~den<br />
wäre), war sie jahrelang zusamme':l. Das w1rd 1hr<br />
vorgeworfen, und nicht nur das : _d1e Fraue~~ewegung<br />
war entsetzt über das sche1nbar un_knt1sche<br />
Abschildern die Doderer-Bewunderer Wiederum<br />
über das bösartige Entblößen ~er männchenh~ften<br />
Eitelkeiten und der sexuellen E1genarten des Dlc~ters.<br />
Marcel Reich-Ranickiwar in einer FernsehdiSkussion<br />
empört über diese .. Kammerdienerliteratur"<br />
Bei der Scharfsicht aber, die die Zeemann - ohne<br />
Rachegedanken, ganz cool - au~ die Schilderung<br />
dieser traditionellen Männlichkelt verwandt hat,<br />
wundert es mich nicht, daß Reich-Ranickidas Buch<br />
scharf attackiert. Zeemann selbst ist immer schön<br />
offen: .. Das glaubt mir ja_ kein l'y1ensch, in welcher<br />
Naivität das alles geschneben 1st, so<br />
absichtslos .. . ein Mann hätt' erstmal Konzepte gemacht."<br />
Stimmt. Ein Mann hätte sich das so nicht<br />
getraut. Stärker noch als das er~te Buch vermittelt<br />
das zweite, .. Jungfrau und Reptil - Lebe~ von 19~5<br />
bis 1972", sehr viel über diese Frau und 1hre Abhangigkeit,<br />
ihren Masochismus, ihre mangelnde Selb-_<br />
stachtung. Aber das läßt sich nicht nur plump beziehen<br />
auf ihre drei Männer, die allesamt älter waren<br />
und denen sie immer Tochter war . ..Ich war ja auch<br />
stärker als alle drei zusammen": es geht um ihre<br />
Kreativität ihr Schreibenwollen, auf das Entäußerte,<br />
das Produkt. .. Tief in meinem lnnern bin ich gegen<br />
Frauen die so sind wie ich, die schreiben und lesen<br />
und zu 'denken versuchen. Ich bin ganz und gar darauf<br />
ein9estellt vom ~Y~ann abzuhängen. Ich bin_ H~ <br />
täre, Ge1sha. Irgendeine Art v~n Schu_hfetzen b1n 1ch<br />
gerne, und da ha_be !eh nun ~1n Buch 1n der ~and ..<br />
und finde es gen1erl1ch, daß 1ch der Autor se1n soll.<br />
- .. Als Schriftstellerin so halbherzig", bleibt sie's<br />
trotzdem. Wie sehr mich oft das Knappe, Sprunghafte<br />
der Erzählfäden und Dialoge in beiden Bänden<br />
irritierte, diese undurschauten, hingestreuten Begebenheiten,<br />
das ..i ch sage" und .. sa~t er" und .. denke<br />
ich" - an solchen Stellen rückte m1r das alles nahe,<br />
und ich begriff, wie wenig diese analytischen Aussagen<br />
ohne die so erzählten Ereignis~e mögli~h w~ren.<br />
Erst seitdem alle ihre Männer tot s~nd, hat s1e m1t<br />
dem Schreiben .. richtig" begonnen. Erst se!tdem ist<br />
sie stark am Fem inismus dran : Solche erot1schen<br />
Beziehungen, wie sie sie hatte - sie zeigt mir Doderers<br />
Briefe - .. sind heute, bei einem konsequenzen<br />
Feminismus, nicht mehr möglich."<br />
Bea Füsser, Köln<br />
Dorothea Zeemann: Einübung in Katastrophen.<br />
Leben von 1913 bis 45. suhrkamp tb<br />
565.<br />
Jungfrau und Reptil. Leben .zwischen 1945 und<br />
1972. suhrkamp tb 776.<br />
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