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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Jochen Hiltmann<br />

Eine fremde Mannschaft<br />

Vom Zeitgeist des bundesdeutschen Ausstellungswesens<br />

"Draußen ein Environment des<br />

Schreckens aus deutscher Vergangenheit<br />

und Gegenwart. Innen der Triumph der<br />

Autonomie, das architektonische Gesamtkunstwerk,<br />

das herrisch und souverän die<br />

Wirklichkeit vor die Tür verweist, indem es<br />

Wirklichkeit herstellt." Diese Schutzraurn­<br />

Phantasie stammt keineswegs aus einer<br />

Broschüre der Ziviliverteidiger. Sie findet<br />

sich im Katalog jener Berliner Kunstausstellung,<br />

der ihre Organisatoren Joachimides<br />

und Rosenblum zu Recht den T itel<br />

"Zeitgeist" gegeben haben. Zeitgeist der<br />

Schutzräume auch in der Kunst : wenige<br />

Monate vor der Berliner Ausstellung hatte<br />

in Kassel die documenta 7 stattgefunden,<br />

hatte ihr Leiter Rudi Fuchs erklärt, Kunst<br />

und Künstler bräuchten "einen eigenen<br />

Raum : einen Raum, der nicht von der Gesellschaft<br />

oder der Architektur bestimmt<br />

werden darf, aber den die Kunst überhaupt<br />

erst selber definieren muß. Es ist unsere<br />

Aufgabe, diesen Raum mit zu gestalten,<br />

ernsthaft und sorgHiltig, damit die Kunst<br />

auch atmen kann." Denn es stelle sich die<br />

Frage, so Fuchs, "ob es draußen in der Welt<br />

noch eine Kultur gibt, die fähig ist, die Kunst<br />

aufZunehmen und zu tragen- das heißt damit<br />

etwas anzufangen, was über das bloße<br />

Ausstellen hinausgeht.<br />

Zweifellos unterschieden sich die beiden<br />

Ausstellungen, die documenta und<br />

"Zeitgeist", in vielen Punkten. In einem<br />

aber gingen sie konform : in der Überzeugung,<br />

die "Autonomie" und die "Souveränität"<br />

der Kunst lasse sich nur noch in Schutzräumen<br />

bewahren.<br />

Weg vom Fenster<br />

Das war schon eine eigenartige Stimmung<br />

vor dem Fridericianum: Wahrsager, junge<br />

Leute mit Schlafsäcken, Straßenmusikanten,<br />

Sprayer, Schauspieler, Hausierer und<br />

Aktionskünstler bevölkerten das Vorfeld.<br />

Da hat sich ein Künstler mit Massenartikeln<br />

der Kulturindustrie behängt und bewegt<br />

sich in einem Roboteranzug mit langsamen<br />

Maschinenbewegungen vorwärts. Er ist ein<br />

Ungebetener, dieser Künstler; die Szene<br />

aber drängt bis in die Ausstellungsräume.<br />

Sozialer Protest und ästhetische Form vermischen<br />

sich auf sonderbare Weise. Manchen<br />

Leuten fehlt die Ehrfurcht vor der<br />

Kunst, goldene Wände werden angefaßt.<br />

Das Devotionale, zu dem Rudi Fuchs die<br />

Kunst verklären will, wird profan. Die Ekken<br />

des Objekts "Südamerika-Dreieck" von<br />

Bruce Nauman, das in Kopfhöhe von der<br />

Decke hängt, sind mit Schaumstoff verpackt;<br />

die Kunst soll niemanden verletzen.<br />

Später erzählt mir Charly: er hat Cony Fischer<br />

auf diese Unmöglichkeit hingewiesen,<br />

aber der Kunsthändlerhabe ihm geantwortet,<br />

er könne sich hier nicht um alles<br />

kümmern. Wollte Rudi Fuchs, der sich den<br />

Titel eines "Artistic Directors" zugelegt<br />

hatte, nicht eine würdige, eine diskrete und<br />

leise documenta 7? Er hätte vielleicht gern<br />

einen Besen genommen und den Alltag mit<br />

seiner Brutalität und seiner menschlichen<br />

Wärme, mit seiner lauten Gewalttätigkeit<br />

und seiner stillen Liebe ausgekehrt.<br />

Hier in diesen Innenräumen hatte ich<br />

den zwanghaften Eindruck, es gäbe keinerlei<br />

Zwang. Alles sei möglich, man müsse es<br />

nur tun. War es nicht die absolute Selbständigkeit<br />

und Unabhängigkeit, das Vermögen,<br />

nach eigenen Gesetzen, nach Lust und<br />

Laune zu leben, das sich in dieser Ausstellung<br />

Ausdruck schuf? Trotzdem fi.ihlte ich<br />

mich irgendwie bedrückt. Jemand sprach<br />

mich auf meine öffentliche Kritik an der<br />

Ausstellungskonzeption der documenta<br />

an. Plötzlich hatte ich das Gefi.ihl, ein Sakrileg<br />

begangen zu haben. Er rief mir nach:<br />

"Als Künstler bist du doch weg vom Fenster."<br />

Er hatte recht; ich war weg vom Fenster.<br />

Ich war draußen.<br />

Draußen<br />

Die Wiesen des Aueparks taten meinen Füßen<br />

wohl. Sogar Sauerampfer gab es hier,<br />

den ich als Kind so mochte. Ich zerrieb ein<br />

Blatt zwischen meinen Fingern. Erschöpft<br />

setzte ich mich an einen Tisch im Gedränge<br />

vor der Orangerie, um mich auszuruhen.<br />

Vielleicht bin ich auch einige Sekunden<br />

eingeschlafen. eben mir, am achbartisch,<br />

saßen ein junges Mädchen und ein alter<br />

Herr. Die Zuneigung zu dem Mädchen<br />

strahlte dem alten Mann geradezu aus dem<br />

Gesicht. Sie unterhielten sich angeregt,<br />

oder lasen sie sich laut aus einem Buch gegenseitig<br />

vor? Ich fand es ganz natürlich,<br />

daß sie ihn siezte und er sie duzte. Aus ihren<br />

Worten ging nicht klar hervor, worauf sie<br />

sich bezogen. Ich bezog ihr Gespräch auf<br />

die documenta 7.<br />

"Das ist in der Tat ein seltsames Gefi.ihl"<br />

, sprach das junge Mädchen, "das ich<br />

schon oft verspürt habe : einerseits hat man<br />

den Eindruck, es gebe keinerlei Grenzen<br />

und Schranken mehr. Man sagt, was man<br />

will, manche rennen nackt durch die Straßen<br />

und halten das fur einen revolutionären<br />

Akt. Und zugleich spürt man andererseits<br />

überall Zwänge und leidet unter enormem<br />

übermenschlichem Druck."<br />

"Genau das ist es", hörteich die Stimme<br />

des alten Mannes, was die negative Utopie<br />

negiert. Sie glaubt, diesen Druck zu zerstören,<br />

indem sie ihn theoretisch negiert. Die<br />

Utopie wird immer dringlicher, drängender.<br />

Alles sieht so aus, als müsse man, um<br />

die Schwelle zu überschreiten, eine Schranke<br />

durchbrechen, eine Mauer durchstoßen."<br />

Ich hörte wieder das junge Mädchen<br />

sprechen. "Die negative Utopie nimmt<br />

manchmal so viele Formen an. Denken Sie<br />

zum Beispiel nur an die Ambivalenz in dem<br />

gängigen Schlagwort Autonomie. Vielen<br />

scheint es, Autonomie oder Selbständigkeit<br />

sei zugleich Kriterium, Sinn und Ziel eines<br />

erfolgreichen Lebens. Eine glückliche Frau<br />

ist eine selbständige Frau, was noch akzeptabel<br />

sein mag. Ein Psychoanalytiker ist erfolgreich,<br />

wenn es ihm gelingt, seine Patienten<br />

'Ich-stark' und autonom zu machen.<br />

Ein guter Lehrer ist einer, den seine<br />

Schüler bald nicht mehr brauchen. Wer seine<br />

Kinder gut erziehen will, ist bestrebt, sie<br />

selbstbewußt und eigenständig zu machen,<br />

und die Kinder selbst träumen von nichs<br />

anderem mehr. Ich will hier gar nicht von<br />

all den regionalen Separatismen reden, die<br />

ebenfalls in diese Richtung gehen. Am Ende<br />

leben wir schließlich in einer Welt, in der<br />

keiner mehr einen anderen braucht und in<br />

der das Glück darin besteht, sich selbst zu<br />

genügen - im Grunde das kleinbürgerliche<br />

Ideal. Wenn man dagegen bedenkt, daß die<br />

Saint-Simanisten Kleider erfunden hatten,<br />

die man hinten zuknöpfte und die keiner<br />

an- oder ausziehen konnte, ohne daß ihnen<br />

ein anderer dabei half . . . "<br />

Ein Dialog<br />

Ich hörte nicht mehr hin. Es kam ein Herr in<br />

Begleitung einer Frau und dreier Männer.<br />

Die fi.inf wurden von einer Dame begleitet,<br />

die sich demonstrativ neben mich auf den<br />

Tisch setzte. Sie benutzte ein aufdringliches<br />

Parfum, das mich an ein Desinfektionsmittel<br />

denken ließ. Die Dame war ein<br />

Mann. Er genoß es offensichtlich, sich in<br />

der Öffentlichkeit zu zeigen und seines bloßen<br />

Daseins wegen bewundert zu werden.<br />

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