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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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23<br />

turalistische Episode in Frankreich, die relativ<br />

kurz gewesen ist, mit weitgestreuten<br />

Formen - im Ionern des großen Phänomens<br />

des Formalismus im 20.Jahrhundert<br />

einbetten, der meines Erachtens in seiner<br />

Art genauso bedeutsam ist wie der Romantizismus<br />

oder auch der Positivismus im 19.<br />

Jahrhundert. Der Marxismus konstituierte<br />

in Frankreich eine Art Horizont, den Sartre<br />

einmal als unüberschreitbar ansah. Zu jener<br />

Zeit war er in der Tat ein ziemlich geschlossener<br />

und jedenfalls beherrschender Gesichtskreis.<br />

Von 1945 bis 1955 war das ganze<br />

französische Universitätsleben-das junge<br />

niversitätsleben, um es von der Universitätstradition<br />

zu unterscheiden- damit beschäftigt<br />

oder sogar völlig in Anspruch genommen,<br />

etwas zu erarbeiten; nicht<br />

Freud-Marx, sondern Husserl-Marx, den<br />

Bezug Phänomenologie-Marxismus. Das<br />

war der Einsatz der Diskussion und der Anstrengungen<br />

einer ganzen Reihe von Leuten:<br />

Merleau-Ponty, Sartre, die von der<br />

Phänomenologie zum Marxismus kamen,<br />

auch Desanti ...<br />

Raulet: Dufresne, selbst Lyotard ...<br />

Foucault: Ricceur, der gewiß kein Marxist<br />

war, doch der Phänomenologe war und<br />

weit entfernt, den Marxismus zu ignorieren<br />

...<br />

Zunächst hat man versucht, den Marxismus<br />

mit der Phänomenologie zu vereinigen.<br />

Und dann, als sich eine gewisse Form<br />

strukturalen Denkensund strukturaler Methode<br />

zu entwickeln begannen, trat der<br />

Strukturalismus an die Stelle der Phänomenologie,<br />

um sich mit dem Marxismus zu<br />

paaren. Der Übergang geschah von der<br />

Phänomenologie zum Strukturalismus und<br />

kreiste wesentlich um das Problem der<br />

Sprache. Es war ein bedeutsamer Augenblick,<br />

als Merleau-Ponty auf das Problem<br />

der Sprache tra( Sie wissen, daß die letzten<br />

Bemühungen Merleau-Pontys sich darauf<br />

richteten; ich erinnere mich genau an Vorlesungen,<br />

in denen Merleau-Ponty über<br />

Saussure zu sprechen anfing, der, obwohl<br />

erst ungefähr 50 Jahre tot, von der kultivierten<br />

Öffentlichkeit - ich sage nicht von den<br />

französischen Philologen und Linguistenvöllig<br />

ignoriert worden war. Das Problem<br />

der Sprache tauchte auf, und es wurde offenbar,<br />

daß die Phänomenologie nicht so<br />

gut wie die strukturale Analyse von Sinneffekten<br />

Rechenschaft geben konnte, welche<br />

von einer Struktur linguistischen Typs produziert<br />

sein konnten; eine Struktur, in die<br />

das Subjekt im Sinne der Phänomenologie<br />

nicht als Sinnschöpfer eingriff Und natürlich:<br />

da es die phänomenologische Braut<br />

nicht verstand, von der Sprache zu sprechen,<br />

wurde sie entlassen. Der Strukturalismus<br />

wurde die neue Braut. So sind die Dinge<br />

gelaufen. Die Psychoanalyse brachte<br />

ebenfalls - großenteils unter dem Einfluß<br />

von Lacan - ein Problem zur Erscheinung,<br />

das zwar sehr verschieden, doch nicht ohne<br />

Analogie mit obigem war. Das Problem<br />

war das Unbewußte, welches nicht in eine<br />

Analyse phänomenologischen T yps passen<br />

konnte. Der beste Beweis, daß es sich<br />

nicht in die Phänomenologie einfligen<br />

konnte, wenigstens nicht in jene, die die<br />

Franzosen konzipierten, ist folgendes: Sartre<br />

oder Merleau-Ponty - von anderen will<br />

ich nicht sprechen - haben unermüdlich<br />

versucht, das, was sie den "Positivismus",<br />

das "Mechanistische", die "Verdinglichung"<br />

bei Freud nannten, im Namen der<br />

Behauptung eines konstituierenden Subjekts<br />

herabzusetzen. Und wenn Lacan unmittelbar<br />

zu dem Zeitpunkt, wo sich die<br />

Fragen der Sprache erhoben, gesagt hat:<br />

Sie bemühen sich vergeblich, die Tätigkeit<br />

des Unbewußten kann nicht auf die Effekte<br />

einer Sinngebung reduziert werden, fur die<br />

das phänomenologische Subjekt geeignet<br />

ist, dann formulierte Lacan ein den Linguisten<br />

absolut symmetrisches Problem. Das<br />

phänomenologische Subjekt wurde durch<br />

die Psychoanalyse ein zweites Mal disqualifiziert,<br />

wie das schon durch die linguistische<br />

Theorie geschehen war. Man versteht, warum<br />

Lacan in diesem Augenblick sagen<br />

konnte, daß das Unbewußte wie eine Sprache<br />

strukturiert wäre : es handelte sich um<br />

denselben Problemtyp. Also hatte man einen<br />

strukturalen Freudo- Marxismus ("un<br />

freudo-structuralo-marxisme"): wo die<br />

Phänomenologie aus obengenannten<br />

Gründen ausgeschlossen ist, gibt es nurmehr<br />

Verlobte, die Marx an den Händen<br />

fassen, und das gibt eine fröhliche Runde.<br />

Nur geht das nicht sehr gut; ich beschreibe<br />

das, als ob es sich um eine sehr allgemeine<br />

Bewegung handelt; was ich hier beschreibe,<br />

wurde bestimmt gemacht und umfaßt<br />

eine gewisse Anzahl von Leuten, doch gab<br />

es eine ganze Reihe von Individuen, die der<br />

Bewegung nicht gefolgt sind. Ich denke an<br />

jene, die an der Geschichte der Wissenschaften<br />

Anteil nehmen, die im Anschluß<br />

an Comte in Frankreich eine bemerkenswerte<br />

Tradition aufWeist; besonders um<br />

Canguilhem herum, der im jungen französischen<br />

Universitätsleben ausgesprochen<br />

einflußreich war. Viele seiner Schüler waren<br />

weder Marxisten noch Freudianer oder<br />

Strukturalisten. Wenn Sie so wollen, spreche<br />

ich hier von mir.<br />

Raulet: Also gehören Sie zu diesen<br />

Leuten.<br />

Foucault: Ich war niemals Freudianer,<br />

ich war niemals Marxist und ich war niemals<br />

Strukturalist.<br />

Raulet: Übrigens, der Ordnung halber<br />

und damit der deutsche Leser keinem Irrtum<br />

unterliegt, genügt ein Blick auf die Daten.<br />

Sie haben begonnen ...<br />

Foucault: Mein erstes Buch habe ich<br />

am Ende meiner Studentenzeit geschrieben,<br />

gegen 1956 oder 1957; das war "L'histoire<br />

de Ia Folie", das ich in den Jahren<br />

1955 bis 1960 schrieb; dieses Buch ist weder<br />

freudianisch noch strukturalistisch oder<br />

marxistisch ... 1953 ergab es sich, daß ich<br />

Nietzsche las, und zwar- ebenso sonderbar<br />

wie dieser selbst - in dieser Perspektive einer<br />

Befragung der Geschichte des Wissens,<br />

der Geschichte der Vernunft: Wie kann<br />

man die Geschichte einer Rationalität<br />

schreiben("faire"). Das war das Problem<br />

des 19. Jahrhunderts.<br />

Die Geschichte der<br />

Rationalität schreiben -<br />

Nietzsche<br />

Raulet: Wissen, Vernunft, Rationalität.<br />

Foucault: Wissen, Vernunft, Rationalität;<br />

die Möglichkeit, eine Geschichte der<br />

Rationalität zu schreiben. i\Iit einem Mann<br />

wie Koyre triffi man hier noch aufPh~inomenologie:<br />

ein Historiker der \ Vissenschaften<br />

mit deutscher Ausbildung, der<br />

sich um 1930 - I 935 in Frankreich niederl<br />

~iß t und eine historische Analyse der Formen<br />

von Rationalitiit und \\'issen in ei nem<br />

phänomenologischen Horizont entwikkelt.<br />

Für mich stellt sich das Problem ein<br />

wenig in analogen Termini zu jenen, die ich<br />

gerade in Erinnerung gerufen habe : kann<br />

ein trans-historisches Subjekt phiinomenologischen<br />

Typs von der Geschichte der<br />

Vernunft Rechenschaft ablegen? Hier<br />

schaffte die Lektüre ietzsches fi.ir mich<br />

den Bruch : es gibt eine Geschichte des<br />

Subjekts wie es eine Geschichte der Vernunft<br />

gibt. Man darfdiese Geschichte der<br />

Vernunft nicht aus der Entfaltung eines ersten<br />

Gründungsaktes eines rationalistischen<br />

Subjekts erwarten. Ich habe Nietzsche<br />

ein wenig durch Zuf

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