utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Alle Attribute, die er an seinem Körper zur<br />
Schau trug, waren Bilder gesellschaftlicher<br />
Konflikte.<br />
Er trug eine Ledetjacke, die war ein rotes<br />
chinesisches Schriftzeichen fur<br />
"Freundschaft"; das Futter der Jacke war<br />
das Bild des Hungers nach Zuwendung.<br />
Unter der aufgeschlagenen Jacke das<br />
Hemd war ein Pinsel in der Form einer Frage<br />
nach Anerkennung und Vergebung. Auf<br />
der nackten, bleichweißen Brust, die das<br />
aufgeknöpfte Hemd freiließ, war die Bezeichnung<br />
seiner Blutgruppe tätowiert. Ich<br />
sah auf seine Hände. Er versuchte, sie zu<br />
verstecken. An den Fingern trug er mehrere<br />
Ringe mit sehr kostbaren Steinen. In<br />
zwei Ringen waren die Porträts von Rosa<br />
Luxemburg und Mao Tse-Tung in einem<br />
Kranz von Diamanten gefaßt. Er machte<br />
mit den Händen zwei Fäuste - wohl um die<br />
Ringe vor mir zu verbergen, aber natürlich<br />
sah ich sie trotzdem. Das erinnerte mich an<br />
einen kleinen Jungen, der sich seiner abgekauten<br />
Fingernägel schämt. Plötzlich fiel<br />
mir auf: das Parfum des Mannes hatte kein<br />
Aroma. Ich sah dem Menschen ins Gesicht.<br />
Er erschrak, als ich ihm freundlich zunickte<br />
und einen "Guten Tag" wünschte. Spontan<br />
spürte ich den Wunsch, mit ihm zu sprechen.<br />
Er merkte es und sah selbstbewußt<br />
über mich hinweg. Die Bedürfnisse, die er<br />
zur Schau trug, waren ihm erfullt als Publicity.<br />
Ein Herr kam auf uns zu und krümmte<br />
seinen Zeigefinger. Er folgte ihm. Ich hatte<br />
ein schlechtes Gefuhl. Dieser Anblick quälte<br />
mich. Es wäre alles gut gewesen, wenn<br />
ich mit ihm gesprochen hätte.<br />
Dammbruch in<br />
vorderster Linie<br />
"Ich verstehe mich", so schrieb Rudi Fuchs,<br />
"wenn Sie so wollen, als Komponist - ich<br />
mache eine Oper mit Kunstwerken, Bildern<br />
und Objekten, und wie es zwischen<br />
laut und leise differenzierende Musik gibt,<br />
so gibt es hier zwischen laut und leise differenzierende<br />
Räume und Kabinette oder<br />
auch einzelne Räume und Kabinette mit<br />
auf- und abschwellenden Klängen ... "-Als<br />
Besucher der documenta 7 war ich nicht<br />
bereit, mich den Vorstellungen ihres Artistic<br />
Directors zu unterwerfen. Seine Konzeption<br />
zeigte eines sehr deutlich: das Ausstellungswesenals<br />
Ausdruck des Wesens,<br />
seine Wendung das Dilemma, in das der<br />
Betrieb geraten ist. Denn was anfangen mit<br />
einer Kunst, die in der Welt "draußen" zerfallen<br />
würde; die "atmen kann" (Fuchs) nur<br />
noch in den Schutzräumen der Institution?<br />
Eine solche Kunst hat ihren Sinn verloren<br />
in einer sehr bestimmten Weise : vom<br />
Leben getrennt, kann sie ihre Legitimation<br />
nur noch von den Überlebenssystemen<br />
empfangen, denen sie überantwortet wird;<br />
so wie das Leben in Schutzräumen nur noh<br />
~en einen Sinn hat: geschütztes Leben,<br />
Uberleben zu sein. Dies verrät noch Rudi<br />
Fuchs in seiner Frage, ob mit der Kunst et-<br />
20<br />
was anzufangen sei, "was über das bloße<br />
Ausstellen hinausgeht". Und davon sprechen<br />
die Erklärungen der "Zeitgeist"-Organisatoren,<br />
die der Wirklichkeit mit herrischer<br />
Geste die Tür weisen wollen. Stets<br />
handelt es sich um diese Figur: an die Stelle<br />
des verschwundenen Sinns einen anderen<br />
Sinn zu setzen, der sich erst soll herstellen<br />
können, wo die einzelnen künstlerischen<br />
Gebilde zum Moment, zum "Gebrauchswert"<br />
einer Ausstellungs- und Interpretationsmaschinerie<br />
geworden sind, zu bloßen<br />
Notenzeichen einer Partitur, die von den<br />
Managern des Betriebs wie eine "Oper" geschrieben<br />
wird. Die Gebilde als Rohstoff einer<br />
Ausstellungsmaschinerie : in Berlin war<br />
es den Managern sogar möglich, den<br />
Avantgardisten des "wilden" Strichs die<br />
Formate aufZutragen, in denen sie ihre Bilder<br />
abzuliefern hätten: Maße, die der Architektonik<br />
jenes Ausstellungsraums abgenommen<br />
worden waren, in den die Arbeiten<br />
dann eingepaßt wurden. Schöne Autonomie,<br />
schöne Souveränität der Kunst: da<br />
hängen sie nun gleich um gleich, eingepaßt<br />
in das Zeichensystem des "architektonischen<br />
Gesamtkunstwerks", das uns die Manager<br />
stiften wollten. Und niemanden verwundert,<br />
daß das Pathos des wilden Aufbegehrens,<br />
mit dem dieses Unternehmen auftritt,<br />
fahl und künstlich bleibt. Da ist die Rede<br />
von den "selbstbewußten und schlechten<br />
Manieren" der Maler; manche seien<br />
von dieser "ungestümen, alle Dämme des<br />
ästhetischen Anstands brechenden Wandlung<br />
erschreckt. Es kam natürkch zu Aufschreien<br />
des Entsetzens." Ebenso natürlich<br />
danken die Organisatoren ihrem Kultursenator<br />
fiir dessen Begeisterung und Unterstützung<br />
dieses Konzepts, das "zum ersten<br />
Mal seit dem Krieg Berlin in die vorderste<br />
Linie der internationalen Kunstdiskussion<br />
bringen soll." Dammbruch in vorderster Linie<br />
also: das "Wilde" geht mit der strengen<br />
Zucht des Reglements und der Räume nur<br />
allzu gut zusammen - so wie auch die Polizei<br />
mitunter mzt den Plünderern geht.<br />
Die Geborgenheit<br />
des Kerkers<br />
Am nächsten Morgen schaute ich mir die<br />
Ausstellung im Fridericianum ein zweites<br />
Mal an. Und nun erging es mir anders als<br />
dem kleinen Jungen, als der ich meine elektrische<br />
Eisenbahn in ihre Einzelteile zerlegte.<br />
Ich empfand, daß die ganze Ausstellung<br />
weniger bedeutend war als manche ihrer<br />
Teile. Zu diesen wundervollen Teilen, deren<br />
es einige gab, gehört ein Papierschnitt<br />
von Felix Droese, der wie ein großer getrockneter<br />
Fisch von der Decke hing. Dieser<br />
"Fisch" ist nicht bloß ein wiederholbares,<br />
kompliziert geschnittenes Ornament.<br />
Er ist wahrhaft im Wasser geboren; ihn<br />
konnte der Fluch der Sintflut im offenen<br />
Ozean nicht treffen. Doch ließ er sich an<br />
Land ziehen. Da hängt er nun in diesem geschlossenen<br />
Trockenraum und trägt in seinem<br />
Bauch die unverdauten Knochen eines<br />
kleinen Menschen. Niemals gab es im<br />
offenen Ozean menschenfressende Fische.<br />
Rimbauds "Trunkenes Schiff' im Abfluß eines<br />
Küchenbeckens? War es das "kalte<br />
schwarze Loch, in das hinein ein Kind in der<br />
Dämmerung gebückt voll Leid und Schwere<br />
ein Schifflein setzt zart wie ein Schmetterling<br />
im Mai'n?" Das Unglück muß im<br />
Spülwasser geschehen sein.<br />
Ich denke aber auch an Felix, nein, an<br />
Jona, der sich der Verantwortung entzog,<br />
bis schließlich im Bauch des Fisches das<br />
Gefuhl der Geborgenheit dem Gefuhl des<br />
Eingekerkert-Seins wich. Der Titel der Arbeit<br />
ist so forumuliert, daß die Frage der<br />
Verantwortung zentral gestellt ist. Felix<br />
Droese sagt: "Ich habe Anne Frank umgebracht"!<br />
Ich antworte ihm: Wir haben Anne<br />
Frank umgebracht. Er wandte sich an<br />
mich, weil ich es weiß. Wenn Du es weißt,<br />
dann sage ich es Dir; wenn Du es nicht<br />
weißt, dann sage ich es Dir nicht. Der Papierschnitt<br />
hängt nun vor mir als eine<br />
Wahrheit, die man durch die mit Glas bedeckten<br />
Dokumente aus der Tiefe des<br />
Dunkels in das Licht gezogen hat.<br />
Fluchtlinien<br />
Durch eine winzige Nuance waren die documenta<br />
und "Zeitgeit" voneinander verschieden:<br />
die erste sollte, gleichsam als Remineszenz<br />
an demokratische Versprechen,<br />
einen "Dialog" zwischen den künstlerischen<br />
Gebilden organisieren; die zweite,<br />
ungleich autoritärer, herrischer, gewaltsamer,<br />
zielte auf das Gesamtkunstwerk, dem<br />
die einzelnen Gebilde sich einzuordnen<br />
hatten. Hier "Dialog", da schon Gleichschritt<br />
: in beiden Fällen aber wurde getilgt,<br />
was den Ästhetikern einst zentrales Thema<br />
gewesen war: die unverwechselbare Eigenart<br />
des einzelnen Gebildes, das von einem<br />
eher unguten Schicksal ins Museum und so<br />
in die Konkurrenz mit anderen verschlagen<br />
wurde. "Sie sind vereinzelte Gegenstände",<br />
schreibt Valery, "denen ihre Schöpfer gerne<br />
gewünscht hätte, sie möchten einmalig<br />
bleiben. Dieses Bild, so sagt man bisweilen,<br />
schlägt alle anderen neben ihm tot . . . "<br />
(Über Kunst, S.SS). Diese Einsicht in die individuelle<br />
Eigenart der Gebilde, denen die<br />
museale Situation eher wie ein Unglück widerfährt,<br />
wird in neueren Ausstellungskonzeptionen,<br />
denen Visionen einer Erzählung,<br />
einer Oper, eines Gesamtkunstwerks<br />
vorschweben, gezielt zunichte gemacht.<br />
Hier kommen nicht so sehr die einzelnen<br />
Arbeiten zur Sprache; nicht ihr individuelles<br />
"Gewordensein" und "Werden", ihre Eigenart<br />
rückt in den Blick. Es sind die Organisatoren<br />
der musealen Schutzräume, die<br />
eine in sich geschlossene Gesamtheit herzustellen<br />
bemüht sind und sich des Indivi- ,<br />
duellen bemächtigen.<br />
Und doch lohnt es nicht, den alten Verhältnissen<br />
in konservierender Trauer nachzuhängen.<br />
Die Entwicklung des Betriebs<br />
setzt spontan Fluchtlinien frei, die das geschlossene<br />
Ganze, in das sich der museale