01.03.2014 Aufrufe

utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Alle Attribute, die er an seinem Körper zur<br />

Schau trug, waren Bilder gesellschaftlicher<br />

Konflikte.<br />

Er trug eine Ledetjacke, die war ein rotes<br />

chinesisches Schriftzeichen fur<br />

"Freundschaft"; das Futter der Jacke war<br />

das Bild des Hungers nach Zuwendung.<br />

Unter der aufgeschlagenen Jacke das<br />

Hemd war ein Pinsel in der Form einer Frage<br />

nach Anerkennung und Vergebung. Auf<br />

der nackten, bleichweißen Brust, die das<br />

aufgeknöpfte Hemd freiließ, war die Bezeichnung<br />

seiner Blutgruppe tätowiert. Ich<br />

sah auf seine Hände. Er versuchte, sie zu<br />

verstecken. An den Fingern trug er mehrere<br />

Ringe mit sehr kostbaren Steinen. In<br />

zwei Ringen waren die Porträts von Rosa<br />

Luxemburg und Mao Tse-Tung in einem<br />

Kranz von Diamanten gefaßt. Er machte<br />

mit den Händen zwei Fäuste - wohl um die<br />

Ringe vor mir zu verbergen, aber natürlich<br />

sah ich sie trotzdem. Das erinnerte mich an<br />

einen kleinen Jungen, der sich seiner abgekauten<br />

Fingernägel schämt. Plötzlich fiel<br />

mir auf: das Parfum des Mannes hatte kein<br />

Aroma. Ich sah dem Menschen ins Gesicht.<br />

Er erschrak, als ich ihm freundlich zunickte<br />

und einen "Guten Tag" wünschte. Spontan<br />

spürte ich den Wunsch, mit ihm zu sprechen.<br />

Er merkte es und sah selbstbewußt<br />

über mich hinweg. Die Bedürfnisse, die er<br />

zur Schau trug, waren ihm erfullt als Publicity.<br />

Ein Herr kam auf uns zu und krümmte<br />

seinen Zeigefinger. Er folgte ihm. Ich hatte<br />

ein schlechtes Gefuhl. Dieser Anblick quälte<br />

mich. Es wäre alles gut gewesen, wenn<br />

ich mit ihm gesprochen hätte.<br />

Dammbruch in<br />

vorderster Linie<br />

"Ich verstehe mich", so schrieb Rudi Fuchs,<br />

"wenn Sie so wollen, als Komponist - ich<br />

mache eine Oper mit Kunstwerken, Bildern<br />

und Objekten, und wie es zwischen<br />

laut und leise differenzierende Musik gibt,<br />

so gibt es hier zwischen laut und leise differenzierende<br />

Räume und Kabinette oder<br />

auch einzelne Räume und Kabinette mit<br />

auf- und abschwellenden Klängen ... "-Als<br />

Besucher der documenta 7 war ich nicht<br />

bereit, mich den Vorstellungen ihres Artistic<br />

Directors zu unterwerfen. Seine Konzeption<br />

zeigte eines sehr deutlich: das Ausstellungswesenals<br />

Ausdruck des Wesens,<br />

seine Wendung das Dilemma, in das der<br />

Betrieb geraten ist. Denn was anfangen mit<br />

einer Kunst, die in der Welt "draußen" zerfallen<br />

würde; die "atmen kann" (Fuchs) nur<br />

noch in den Schutzräumen der Institution?<br />

Eine solche Kunst hat ihren Sinn verloren<br />

in einer sehr bestimmten Weise : vom<br />

Leben getrennt, kann sie ihre Legitimation<br />

nur noch von den Überlebenssystemen<br />

empfangen, denen sie überantwortet wird;<br />

so wie das Leben in Schutzräumen nur noh<br />

~en einen Sinn hat: geschütztes Leben,<br />

Uberleben zu sein. Dies verrät noch Rudi<br />

Fuchs in seiner Frage, ob mit der Kunst et-<br />

20<br />

was anzufangen sei, "was über das bloße<br />

Ausstellen hinausgeht". Und davon sprechen<br />

die Erklärungen der "Zeitgeist"-Organisatoren,<br />

die der Wirklichkeit mit herrischer<br />

Geste die Tür weisen wollen. Stets<br />

handelt es sich um diese Figur: an die Stelle<br />

des verschwundenen Sinns einen anderen<br />

Sinn zu setzen, der sich erst soll herstellen<br />

können, wo die einzelnen künstlerischen<br />

Gebilde zum Moment, zum "Gebrauchswert"<br />

einer Ausstellungs- und Interpretationsmaschinerie<br />

geworden sind, zu bloßen<br />

Notenzeichen einer Partitur, die von den<br />

Managern des Betriebs wie eine "Oper" geschrieben<br />

wird. Die Gebilde als Rohstoff einer<br />

Ausstellungsmaschinerie : in Berlin war<br />

es den Managern sogar möglich, den<br />

Avantgardisten des "wilden" Strichs die<br />

Formate aufZutragen, in denen sie ihre Bilder<br />

abzuliefern hätten: Maße, die der Architektonik<br />

jenes Ausstellungsraums abgenommen<br />

worden waren, in den die Arbeiten<br />

dann eingepaßt wurden. Schöne Autonomie,<br />

schöne Souveränität der Kunst: da<br />

hängen sie nun gleich um gleich, eingepaßt<br />

in das Zeichensystem des "architektonischen<br />

Gesamtkunstwerks", das uns die Manager<br />

stiften wollten. Und niemanden verwundert,<br />

daß das Pathos des wilden Aufbegehrens,<br />

mit dem dieses Unternehmen auftritt,<br />

fahl und künstlich bleibt. Da ist die Rede<br />

von den "selbstbewußten und schlechten<br />

Manieren" der Maler; manche seien<br />

von dieser "ungestümen, alle Dämme des<br />

ästhetischen Anstands brechenden Wandlung<br />

erschreckt. Es kam natürkch zu Aufschreien<br />

des Entsetzens." Ebenso natürlich<br />

danken die Organisatoren ihrem Kultursenator<br />

fiir dessen Begeisterung und Unterstützung<br />

dieses Konzepts, das "zum ersten<br />

Mal seit dem Krieg Berlin in die vorderste<br />

Linie der internationalen Kunstdiskussion<br />

bringen soll." Dammbruch in vorderster Linie<br />

also: das "Wilde" geht mit der strengen<br />

Zucht des Reglements und der Räume nur<br />

allzu gut zusammen - so wie auch die Polizei<br />

mitunter mzt den Plünderern geht.<br />

Die Geborgenheit<br />

des Kerkers<br />

Am nächsten Morgen schaute ich mir die<br />

Ausstellung im Fridericianum ein zweites<br />

Mal an. Und nun erging es mir anders als<br />

dem kleinen Jungen, als der ich meine elektrische<br />

Eisenbahn in ihre Einzelteile zerlegte.<br />

Ich empfand, daß die ganze Ausstellung<br />

weniger bedeutend war als manche ihrer<br />

Teile. Zu diesen wundervollen Teilen, deren<br />

es einige gab, gehört ein Papierschnitt<br />

von Felix Droese, der wie ein großer getrockneter<br />

Fisch von der Decke hing. Dieser<br />

"Fisch" ist nicht bloß ein wiederholbares,<br />

kompliziert geschnittenes Ornament.<br />

Er ist wahrhaft im Wasser geboren; ihn<br />

konnte der Fluch der Sintflut im offenen<br />

Ozean nicht treffen. Doch ließ er sich an<br />

Land ziehen. Da hängt er nun in diesem geschlossenen<br />

Trockenraum und trägt in seinem<br />

Bauch die unverdauten Knochen eines<br />

kleinen Menschen. Niemals gab es im<br />

offenen Ozean menschenfressende Fische.<br />

Rimbauds "Trunkenes Schiff' im Abfluß eines<br />

Küchenbeckens? War es das "kalte<br />

schwarze Loch, in das hinein ein Kind in der<br />

Dämmerung gebückt voll Leid und Schwere<br />

ein Schifflein setzt zart wie ein Schmetterling<br />

im Mai'n?" Das Unglück muß im<br />

Spülwasser geschehen sein.<br />

Ich denke aber auch an Felix, nein, an<br />

Jona, der sich der Verantwortung entzog,<br />

bis schließlich im Bauch des Fisches das<br />

Gefuhl der Geborgenheit dem Gefuhl des<br />

Eingekerkert-Seins wich. Der Titel der Arbeit<br />

ist so forumuliert, daß die Frage der<br />

Verantwortung zentral gestellt ist. Felix<br />

Droese sagt: "Ich habe Anne Frank umgebracht"!<br />

Ich antworte ihm: Wir haben Anne<br />

Frank umgebracht. Er wandte sich an<br />

mich, weil ich es weiß. Wenn Du es weißt,<br />

dann sage ich es Dir; wenn Du es nicht<br />

weißt, dann sage ich es Dir nicht. Der Papierschnitt<br />

hängt nun vor mir als eine<br />

Wahrheit, die man durch die mit Glas bedeckten<br />

Dokumente aus der Tiefe des<br />

Dunkels in das Licht gezogen hat.<br />

Fluchtlinien<br />

Durch eine winzige Nuance waren die documenta<br />

und "Zeitgeit" voneinander verschieden:<br />

die erste sollte, gleichsam als Remineszenz<br />

an demokratische Versprechen,<br />

einen "Dialog" zwischen den künstlerischen<br />

Gebilden organisieren; die zweite,<br />

ungleich autoritärer, herrischer, gewaltsamer,<br />

zielte auf das Gesamtkunstwerk, dem<br />

die einzelnen Gebilde sich einzuordnen<br />

hatten. Hier "Dialog", da schon Gleichschritt<br />

: in beiden Fällen aber wurde getilgt,<br />

was den Ästhetikern einst zentrales Thema<br />

gewesen war: die unverwechselbare Eigenart<br />

des einzelnen Gebildes, das von einem<br />

eher unguten Schicksal ins Museum und so<br />

in die Konkurrenz mit anderen verschlagen<br />

wurde. "Sie sind vereinzelte Gegenstände",<br />

schreibt Valery, "denen ihre Schöpfer gerne<br />

gewünscht hätte, sie möchten einmalig<br />

bleiben. Dieses Bild, so sagt man bisweilen,<br />

schlägt alle anderen neben ihm tot . . . "<br />

(Über Kunst, S.SS). Diese Einsicht in die individuelle<br />

Eigenart der Gebilde, denen die<br />

museale Situation eher wie ein Unglück widerfährt,<br />

wird in neueren Ausstellungskonzeptionen,<br />

denen Visionen einer Erzählung,<br />

einer Oper, eines Gesamtkunstwerks<br />

vorschweben, gezielt zunichte gemacht.<br />

Hier kommen nicht so sehr die einzelnen<br />

Arbeiten zur Sprache; nicht ihr individuelles<br />

"Gewordensein" und "Werden", ihre Eigenart<br />

rückt in den Blick. Es sind die Organisatoren<br />

der musealen Schutzräume, die<br />

eine in sich geschlossene Gesamtheit herzustellen<br />

bemüht sind und sich des Indivi- ,<br />

duellen bemächtigen.<br />

Und doch lohnt es nicht, den alten Verhältnissen<br />

in konservierender Trauer nachzuhängen.<br />

Die Entwicklung des Betriebs<br />

setzt spontan Fluchtlinien frei, die das geschlossene<br />

Ganze, in das sich der museale

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!