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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Susanne Klippel<br />

Reise ins deutsche Ausland<br />

Z eitreise. Wir reisen in einem geliehenen<br />

VW-Golf, dessen Fahrertür durch<br />

einen früheren Unfall leicht zerdellt und<br />

verrostet ist. Auf einem Parkplatz ist ein<br />

Junge an der Hand seines Vaters dicht an<br />

unserem Auto vorbeigegangen und hat gesagt:<br />

Der arme Golf.<br />

Ein Trabant rostet nicht, denn er ist aus<br />

Pappe. Früher nannten die Mütter ihre tollkühnen<br />

Kinder "Trabanten". Der Polizist<br />

auf der Kreuzung paßt auf, daß die Trabanten<br />

keinen Unsinn machen. Der Trabant ist<br />

kein Auto, sondern eine Gehhilfe, sagt ein<br />

junger Facharbeiter aus Schwerin.<br />

Die Reise fuhrt durch Kopfsteinpflaster­<br />

Alleen. An den Straßenrändern wachsen<br />

vergessene Blumen. Dörfer fangen hinter<br />

dem Ortsschild an und hören hinter dem<br />

Ortsendeschild auf Es kleben keine FertighaussiedJungen<br />

an den alten Dorfkernen.<br />

Die Felder mit den Kornblumen sind nicht<br />

den großen Wohnungseinrichtungsbarakken<br />

und Supermärkten gewichen. Kein<br />

Duft der großen weiten Welt Plakat verhöhnt<br />

das Dorf Auf den Dächern der oft<br />

halb zerfallenen Kirchen hocken die Störche<br />

in ihren Nestern. Die Gärten sind keine<br />

Rasenmähergärten. Im Garten mit den Löwenmäulchen,<br />

den Bohnen und den Stachelbeerbüschen<br />

sitzt ein altes Ehepaar. Sie<br />

mit dem Nähkörbchen, er mit der Zeitung.<br />

Wo sind unsere Dorfteiche geblieben? Hier<br />

hatjedes Dorfseinen Teich, indemdie Enten,<br />

Wasserflöhe schwimmen.<br />

Die Fahrer in den Trabants sitzen seltsam<br />

angespannt hinter ihren Lenkern. Daneben<br />

die Ehefrau, und hinten machen<br />

sich, soweit es der verbliebene Platz zuläßt,<br />

die Reste der Familie breit. Wenn ein Fahrer,<br />

was selten vorkommt, einen Laster<br />

überholen muß, kann man mitunter sogar<br />

durch die beschlagene Scheibe erkennen,<br />

wie der rote Ohren bekommt und ihm der<br />

Schweiß in den Kragen rinnt. Ein alter<br />

Mann am Straßenrand schleudert sein großes<br />

weißes Altmännertaschentuch nach<br />

Fliegen, die seine Stirn umkreisen.<br />

Auf den Kopfsteinpflasterchausseen<br />

brauchen wir gut einen Tag, um eine Strekke<br />

von 200 Kilometern zurückzulegen.<br />

Trabant. Ein Trabant kostet 10 000<br />

Mark und hat 12Jahre Lieferfrist. Wennjemand<br />

seinen Trabant nach 7 Jahren verkauft,<br />

kann er ihn immer noch fur 10 000<br />

Mark verkaufen. Junge Männer, die einen<br />

Trabant besitzen, haben ihn meist von ihrem<br />

Opa, der sich beizeiten auf die Warteliste<br />

hat setzen lassen.<br />

Am Straßenrand steht ein Trabant und<br />

drum herum eine vierköpfige Familie, die<br />

Kniebeugen macht. Aufmerksam, rücksichtsvoll,<br />

diszipliniert- Ich bin dabei! steht<br />

auf den Brücken über der Autobahn.<br />

Wir befinden uns auf unserer Zeitreise<br />

in einer Zeit der großen Überlandfahrten,<br />

als das Autofahren noch Spaß gemacht hat.<br />

Der Fahrten ins Grüne, die noch nicht<br />

durch kilometerlange Schlangen absurd<br />

waren. Man fährt morgens los und kommt<br />

abends an. In der Nacht tritt man auf den<br />

Balkon und sieht Sputniksam Sternenhimmel.<br />

Der AutounfalL In einer engen Kleinstadtstraße<br />

passiert ein Unfall. Ein Trabant<br />

hat einem Wartburg die Vorfahrt genommen.<br />

Beide Fahrer haben gut reagiert. Es<br />

hat nicht einmallaut gekracht. Es ist lediglich<br />

die Stoßstange des Wartburgs nach<br />

vorne aufgebogen, und unter dem Trabant<br />

hat sich ein Haufen Dreck gelöst, der sich,<br />

als warte er auf die Kehrschaufel, mitten auf<br />

die Straße gelegt hat. Sofort hat sich an den<br />

Straßenrändern eine Menschenmenge gebildet.<br />

Der Trabantfahrer ist ein kleiner<br />

dünner Mann. Der Wartburgfahrer ist groß<br />

und kräftig, es fällt ihm nicht schwer, in der<br />

Dramatik des Geschehens die Haltung eines<br />

Preisboxers anzunehmen. Der Trabantfahrer<br />

versucht mit den Händen die<br />

Stoßstange des Wartburgs gerade zu biegen.<br />

Es gelingt ihm nicht. Wenn er sich hilfesuchend<br />

in der Menge umschaut, treffen<br />

ihn die vorwurfsvollen Blicke der anderen.<br />

Schließlich steigt seine Frau aus, und gemeinsam<br />

biegen sie die Stoßstange gerade.<br />

Lautsprecherdurchsagen auf Zeltplätzen.<br />

Steigen Sie vom Rad!<br />

Traritrara die Post ist da.<br />

Achtung, eine Durchsage. Ordnung<br />

und Sauberkeit auf diesem Zeltplatz lassen<br />

sehr zu wünschen übrig. Ich gebe Ihnen<br />

jetzt funfrehn Minuten Zeit. Wenn sich bis<br />

dahin der Zustand des Platzes nicht gebessert<br />

hat, wird das Folgen fur Sie haben, die<br />

Ihnen nicht gefallen werden.<br />

Achtung, ei ne Durchsage unseres Kinoprogramms.<br />

Für die ganze Familie zeigen<br />

wir heute "Die Gerechten von Kummerow",<br />

Beginn 18.30 Uhr.<br />

Achtung, eine Durchsage. Im amen<br />

der Volkspolizei teile ich mit, daß ab sofort<br />

jedes Grillen auf dem Platz verboten ist.<br />

Achtung, Achtung, hier spricht die Lagerleitung.<br />

Es ist jetzt 22.00 Uhr. Ab 22.00<br />

Uhr ist hier die Nachtruhe eingetreten, und<br />

wir fordern die Campingfreunde auf, in ihrem<br />

eigenen Interesse dafur zu sorgen, daß<br />

die Nachtruhe eingehalten wird. Wir fordern<br />

den Jugendlichen, der gestern bis 0.40<br />

Uhr tierische Laute nachgeahmt hat, in aller<br />

Öffentlichkeit auf, dies heute zu unterlassen.<br />

Sonst verläßt er morgen den Zeltplatz.<br />

Wir wünschen allen Campingfreunden<br />

eine angenehme Nachtruhe.<br />

Achtung, eine Durchsage. Alles Gute<br />

zum Geburtstag wünscht das Kollektiv der<br />

Reichsbahn Sulzenhausen seinem Mitglied<br />

Monika Meier.<br />

SchweinejuweL Was, du bist von drüben<br />

und rauchst Schweinejuwel? Du bist<br />

aus Harnburg und fuhrst nach Seeburg!<br />

Warum fährst du nicht nach Hawa ii?<br />

Juwel raucht hier freiwillig niemand.<br />

Aber Club oder Caro kriegst du zur Zeit<br />

höchstens unterm Ladentisch. Da kommst<br />

de nicht ran. Höchstens über Beziehungen.<br />

Was da genau los ist, weiß ich auch nicht.<br />

Wahrscheinlich laufen die aus. Bei uns gibts<br />

doch keine Preiserhöhungen. Da läuft die<br />

Marke aus. Dann ist ein paar Monate nischt.<br />

Dann kriegst de sie wieder, aber in ner anderen<br />

Packung, mit nem anderen amen<br />

und eben teurer.<br />

Wo kommste denn her? Aus Altona.<br />

Dann wirste meinen Kumpel bald wiedersehen.<br />

(Der Kumpel ist ein Junge, ca. 20 Jahre<br />

alt, mit schulterlangen blonden Haaren<br />

und rotem Säufergesicht). Der hat grad seinen<br />

Ausreiseantrag bewilligt gekriegt. Der<br />

ist in drei Monaten in Altona.<br />

Sachsen. Ein Professor aus Berlin sagt:<br />

Die Sachsen sind staatstreu. Deshalb werden<br />

sie nach Berlin geholt und hier angesiedelt.<br />

Die bekommen hier die Wohnungen<br />

in den Neubauten mit den engen Fluren<br />

und den Papptüren. Sie betreten ihre Wohnungen<br />

nie mit Schuhen, sondern stellen<br />

sie vor die Wohnungstür. So erkennt man<br />

auf einen Blick, wo Sachsen wohnen.<br />

Ein Facharbeiter aus Thüringen sagt:<br />

Siehst du einen Sachsen liegen, blas ihn auf<br />

und laß ihn fliegen.<br />

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