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utzräUmen ·~ - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Die Endzeitsituation einer Männergesellschaft I<br />

Hundert Jahre nach der Uraufführung des Parsifal<br />

prallen die Meinungen über den ideologischen Gehalt<br />

dieses .. Bühnenweihfestspiels" von Richard<br />

Wagner heftig aufeinander. Am Ende der mehr als<br />

fünfstündigen Parsifai-Premiere ging die Meinung<br />

des Publikums über die Frankfurter Inszenierung von<br />

Ruth Berghaus gleichfalls weit auseinander. Kein<br />

Wunder- denn diese Inszenierung hat die Aufführungstraditionen<br />

dieses Stücks nochmals radikal gebrochen<br />

: die Grals-Ritter sind keine hehren, lichten<br />

Heldengestalten; um den Gral versammelt sich eine<br />

düstere, erstarrte, anonyme Gesellschaft kahlköpfiger<br />

grauer Männer mit Aktenköfferchen. Parsifal durchwandert-<br />

auf der Suche nach Selbstverwirklichung<br />

-eine unsichere, eine aus den Fugen geratene Welt.<br />

Im Bühnenbild von Axel Manthey sind Ebenen schief<br />

gegeneinandergesetzt Dimensionen verschoben; es<br />

gibt keine gerade Linie- ähnlich wie in den Kulissen<br />

des frühen expressionistischen Films.<br />

Wir sprachen mit Ruth Berghaus, die nach einer Ausbildung<br />

zur Tänzerin und Choreographin in der DDR<br />

als Regisseurin arbeitet. Nach dem Tod von Helene<br />

Weigel leitete sie sieben Jahre lang das Brecht-Ensemble<br />

im Theater am Schiffbauerdamm. Ruth Berghaus,<br />

1 980 Goethepreisträgerin der DDR, hat mit<br />

dem Parsifal (nach der .. Zauberflöte", der .. Entführung<br />

aus dem Serail" und der .. Sache Makropoulos")<br />

jetzt ihre vierte Gastinszenierung in Frankfurt vorgestellt.<br />

Dieses Interview sei .. ihr erstes im Westen -<br />

denn Interviews werden so leicht mißbraucht".<br />

Berghaus : Ich hatte Glück mit<br />

meinen Lehrern, Gret Palucca<br />

war ein ganz großes Glück <strong>für</strong><br />

mich, weil der Unterricht nicht<br />

nur aufs Tanzen beschränkt<br />

war, sondern sich auch auf die<br />

Kunstgeschichte erstreckte.<br />

Und dann die absolute Härte<br />

gegen jede Art faschistischer<br />

Ideologie und Sprachregelung<br />

in ihrer Schule : das also .. aus<br />

den Köpfen reißen" - was bei<br />

Brecht dann im Theoretischen<br />

seine Bestätigung fand, bei<br />

Brecht, bei dem ich weiter lernen<br />

konnte.<br />

Frage : Sie haben einiges darangesetzt<br />

und geopfert, um ein<br />

bestimmtes berufliches Ziel zu<br />

erreichen?<br />

Berghaus : Nicht .. geopfert"!<br />

Opfer ist etwas anderes. Ich<br />

wollte das werden und bin das<br />

geworden. Ich hatte kein Geld -<br />

aber das spielt keine Rolle,<br />

wenn man etwas werden w ill.<br />

Man kann es nicht aufs Geld<br />

schieben oder auf die Gesellschaft,<br />

wenn man etwas nicht<br />

erreicht.<br />

Frage : Meinen Sie, daß Frauen<br />

keine besonderen Probleme ha ­<br />

ben?<br />

Berghaus : Natürlich haben sie<br />

die. Wir leben in einer Zeit, in<br />

der sie besondere Kraft brauchen.<br />

Aber wenn sie das auf die<br />

Männer schieben, so ist das<br />

falsch. Die Männer müssen ja<br />

auch mit sich fertig werden.<br />

Daß w ir in einer Männergesellschaft<br />

leben, ist völlig klarund<br />

daß das Frauen unter Umständen<br />

größere Schwierigkeiten<br />

bereitet, ist auch klar. Es ist<br />

beispielsweise <strong>für</strong> eine Frau<br />

schwer, in einer Männergesellschaft<br />

Ehefrau zu sein und nicht<br />

zu arbeiten, denn sie sieht ja die<br />

anderen Frauen, die sich entwickeln<br />

und produktiv sind,<br />

während sie jeden Tag kocht<br />

und diese Scbeißdrecksarbeit<br />

mit einer ungeheuren Geduld<br />

macht.<br />

Frage : Sie haben ein Kind -war<br />

da nie ein Konflikt zwischen<br />

dem Zeitaufwand, dem emotionalen<br />

Aufwand, den ein Kind<br />

bedeutet, und Ihrer Kreativität?<br />

Berghaus : Ich habe ein schlechtes<br />

Gewissen gehabt, wenn ich<br />

meiner Arbeit nachgegangen<br />

bin, Angst, daß ich mein Kind<br />

vernachlässige. Und wenn ich<br />

beim Kind zuhause war, hatte<br />

ich ein schlechtes Gewissen,<br />

daß ich meine Arbeit vernachlässige.<br />

Mit diesem Widerspruch<br />

habe ich gelebt, allerdings<br />

in einem vielleicht sehr<br />

seltenen Verhältnis zu Paul Dessau,<br />

der freischaffend war und<br />

so sehr viel Zeit <strong>für</strong> das Kind<br />

hatte, der viel Verständnis <strong>für</strong><br />

meine Arbeit aufbrachte. Das ist<br />

ein ganz großer Glücksfall! Und<br />

daß das Kind keinen Schaden<br />

genommen hat, zeigt sich heute.<br />

Frage : Sie inszenieren viel hier<br />

im Westen?<br />

Berghaus : M ich interessiert besonders<br />

die Arbeit an der Oper<br />

Frankfurt. Wie sie sich heute<br />

zeigt, ist sie die Arbeit des Musikers<br />

Michael Gielen - vergleichbar<br />

mit Gustav Mahler im<br />

Wien der Jahrhundertwende.<br />

Das Haus hat ein konkretes Programm,<br />

das durch Dr. Christof<br />

Bitter, durch Gielen und den<br />

Dramaturgen Klaus Zehelein<br />

erarbeitet worden ist. ln diesem<br />

Programm fällt auf, daß die Geschichte<br />

der Frau in der Oper<br />

und in der Operngeschichte<br />

ernstgenommen und betont<br />

wird. Ein Regisseur kann das<br />

nicht realisieren, wenn der Dirigent<br />

oder der Leiter eines Hauses<br />

den Zeitgeist, unser Sein in<br />

der Geschichte, in der Tradition<br />

der Musik nicht begreift. Dieses<br />

Begreifen der .. Moderne" aus<br />

dem Erbe, aus der Tradition verbindet<br />

mich mit dem Dirigenten<br />

Gielen.<br />

Frage : Warum interessieren Sie<br />

sich speziell <strong>für</strong> Wagner?<br />

Berghaus : Überhaupt nicht speziell<br />

<strong>für</strong> Wagner! Ich interessiere<br />

mich <strong>für</strong> Opern und meine :<br />

Wagner gehört dazu. Man muß<br />

sich mit dem 19.Jahrhundert<br />

auseinandersetzen. Ich kann<br />

Wagner nicht verdrängen, weil<br />

dieser Musiker von den Nazis<br />

mißbraucht wurde oder weil<br />

jetzt wieder viel darüber gesprochen<br />

wird, ob man Wagner<br />

überhaupt noch spielen sollte.<br />

Ich finde Verdrängung gefährlicher<br />

als Auseinandersetzung.<br />

Frage: Welche politischen Intentionen<br />

haben Sie jetzt mit<br />

dem Parsifal verbunden?<br />

Berghaus : .. Parsifal" : das ist eine<br />

Endzeitsituation einer Männergesellschaft.<br />

Frage : Und sehen Sie da Parallelen<br />

zu der Situation heute?<br />

Berghaus : Das überlasse ich Ihnen.<br />

Frage: ln Mozarts Zauberflöte<br />

und Wagners Parsifal geht es<br />

um ein .. idealisches" Ziel - und<br />

die Frau scheint das Erreichen<br />

dieses Ziels zu verhindern.<br />

Berghaus: Bei Mozart nicht! Ich<br />

meine, daß Mozart ein ganz besonderes<br />

Empfinden hatte,<br />

Mann und Frau nicht zu trennen,<br />

sondern als Ganzes zu sehen,<br />

als Einheit, in klassischer<br />

Form -das .. Hohe Paar", wie<br />

Ernst Bloch sagt.<br />

Frage: Aber bei Ihrer Zauberflöten-<br />

lnszenierung haben Sie das<br />

ideale hohe Paar nicht so wider-<br />

Gegenpol bestimmt (das wird<br />

selten gezeigt, weil Opern fast<br />

immer von Männern inszeniert<br />

werden). Der Gral ist eine Weit,<br />

die die Keuschheit erzwingt,<br />

und da braucht es natürlich die<br />

Liebe, braucht es die Frau, damit<br />

Wagner zeigen kann, wie<br />

gut oder negativ, wie produktiv<br />

oder unproduktiv es ist, keusch<br />

zu sein oder zu lieben. Amfortas<br />

hat ja beides getan. Er will<br />

keusch sein - er hat geliebt und<br />

er leidet daran, weil er die Weit<br />

nicht mehr zusammenkriegt.<br />

Das, was er möchte, und das.<br />

was er getan hat, stimmen nicht<br />

mehr überein. Und dadurch<br />

kommt er dem Wahnsinn nahe.<br />

Frage : Wie geht Parsifal mit<br />

diesem Widerspruch um?<br />

Berghaus: Parsifal kommt ja als<br />

.. reiner Tor", naiv, in diese Weit<br />

hinein, in diese Weit des Nur­<br />

Denkens, des Sich-Kasteiens,<br />

mit seinem vollen Anspruch auf<br />

das natürliche Leben. Durch die<br />

Liebe zu Kundry bricht dann in<br />

ihm der Wunsch auf, das andere<br />

auch haben zu wollen, das<br />

geistige Leben. Er muß sich entscheiden.<br />

Er entscheidet sich,<br />

die Frau beiseite zu lassen. Parsital<br />

sucht sich selbst: er hat ja,<br />

wie Kundry, keine benennbare<br />

Vergangenheit. Seide suchen<br />

sich zu verwirklichen, der Fehler<br />

von Kundry aber ist, daß sie<br />

sich im Mann verwirklichen will.<br />

Daran muß sie scheitern, denn<br />

diese Art von Selbstverwirklichung<br />

der Frau geht nicht mehr.<br />

Frage : Daß sich Parsifal zwischen<br />

Geistigem und Körperli ­<br />

chem entscheiden muß, ist das<br />

nicht eine völlig undialektische<br />

Entscheidung?<br />

Berghaus : Nein, wieso? Er lebt<br />

in einer absoluten Männergesellschaft,<br />

die die Gesetze<br />

macht. Die Gesetze sind <strong>für</strong> die<br />

Männer gemacht wie das Air<br />

Condition -das ist <strong>für</strong> Anzüge<br />

gemacht, nicht <strong>für</strong> Frauenkleider.<br />

Frage : Parsifals Weg geht über<br />

Kundry - und sie weiß das<br />

auch. Sie sagt: .. Durch mich<br />

wird dir die Nacht erhellt . .. "<br />

spruchsfrei gesetzt?! Berghaus : Natürlich muß Parsi -<br />

Berghaus : Ich kann das Ergeb- fal durch die Sache durch -<br />

nis einer Aufführung nicht vor- aber daß die Kundry die stärkewegnehmen.<br />

Der Weg ist wi- re Person ist, fällt vielen nicht<br />

dersprüchlich, den alle Figuren auf. Sie wird ja meistens als Hedurchmachen.<br />

Den Wider- xe gezeigt: als das verhexte<br />

spruch zeige ich, und der ist ja Weib, das eben böse ist.<br />

auch komponiert. Es ist ja im- Frage : Ja, die böse Sinnlichkeit,<br />

mer vom Tode die Rede in die- sich dem Mann in den Weg<br />

sem Lustspiel, vom höchsten stellt ...<br />

Augenblick bis zum Sterben. Berghaus : Na klar_ aber ich<br />

Das muß man zeigen. Dies gebe dem keinen Platz, weil<br />

.. durch Feuer-und-Wasser-Ge- Wagner die .. böse Hexe" nicht<br />

hen" findet ja nicht nur dann komponiert hat. Be i Wagner finstatt,_<br />

wenn v~m Feuer und Was- det sich eine ganz große Lieser<br />

d1e Rede 1st, sondern elgent- besszene, die fast einen Akt an -<br />

llc~ ln Jeder Szen~ . D~s a~fzu - hält; und dann läßt er die Frau<br />

ze1gen halte 1ch fur w1cht1g, da- zwei Worte singen: .. Dienen,<br />

m_1t d1e Leute n1cht me1nen, s1e dienen". Dieses .. Dienen bis zum<br />

konne_n Widerspruchslos _leben Tod" muß ganz gewiß gezeigt<br />

undd1e Widerspruche, d1e s1e und gespielt werden _ denn es<br />

tatsachl1.ch erleben, emfach zur<br />

Se1te drangen. Jetzt be1 der Parsital-Inszenierung<br />

heißt : sich selbst aufgeben!<br />

: da ist Kun- Mit Frau Berghaus sprachen Mi-<br />

dry eine ungeheure, große Fi - chaela Wunderle und Elisabeth<br />

gur, die das Stück praktisch als Kiderlein, Frankfurt<br />

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