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sten kommende, halte. Vor allem wollte der Zar da wohl eine klare<br />
Auskunft Jung-Stillings über die Bedeutung der Herrnhuter hören.<br />
Jung-Stilling antwortete ihm aber nur auswei<strong>ch</strong>end, wohl um dem<br />
russis<strong>ch</strong>-orthodoxen Zaren ni<strong>ch</strong>t zu nahe zu treten. Er bekannte frei<br />
heraus, dass er keine Antwort auf diese Frage geben könne, da<br />
na<strong>ch</strong> seiner Meinung alle <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Bekenntnisse und au<strong>ch</strong> die<br />
Sekten ihr Gutes hätten, und keines der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Bekenntnisse<br />
s<strong>ch</strong>lösse den Weg zur Seligkeit aus. Es käme eben nur auf den<br />
Mens<strong>ch</strong>en an, auf seine Gesinnungen und seinen Lebenswandel.<br />
Der Zar war unzufrieden über diese auswei<strong>ch</strong>ende Antwort und<br />
meinte, es müsse do<strong>ch</strong> Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Bekenntnissen geben. Jung-Stilling meinte hingegen, es sei ihm<br />
einfa<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, eine unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Wertung der einzelnen<br />
Bekenntnisse vorzunehmen. Darauf versetzte Alexander, er habe<br />
eigentli<strong>ch</strong> den Eindruck, dass die Herrnhuter Brüdergemeine dem<br />
großen Vorbild am ehesten entsprä<strong>ch</strong>e. »O ja«, soll Stilling geantwortet<br />
haben, »die Herrnhuter sind vortreffli<strong>ch</strong> und mir gewiß lieb;<br />
aber die Form tut es au<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t, und wenn der Mens<strong>ch</strong> nur gut<br />
ist, so kann er in jeder gedeihen«.<br />
Alexander, der seit seiner Kindheit auf der Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einer<br />
wahrhaften und ihn voll befriedigenden Religion war, hatte in der<br />
Tat alle ihm errei<strong>ch</strong>bare religiösen S<strong>ch</strong>riften seiner Zeit gelesen,<br />
darunter au<strong>ch</strong> – soweit sie bereits ins Russis<strong>ch</strong>e übersetzt worden<br />
waren – die Bü<strong>ch</strong>er Jung-Stillings. Im Jahre 1812 hatte der Kaiser<br />
dann unter dem Einfluß der ungewissen Kriegszeit und der hohen<br />
Verantwortung, die er zu tragen hatte, so etwas wie eine innere<br />
Wandlung und religiöse Erweckung erlebt. Das kam vor allem zum<br />
Ausdruck in einer Aufstellung empfehlenswerter <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>er Literatur,<br />
die er für seine S<strong>ch</strong>wester Katharina in Jahre 1812 angefertigt<br />
hat. In dieser Aufstellung unters<strong>ch</strong>ied er drei Arten von geistli<strong>ch</strong>en<br />
und theologis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riften. In den S<strong>ch</strong>riften der ersten<br />
Klasse werden na<strong>ch</strong> seiner Eins<strong>ch</strong>ätzung theoretis<strong>ch</strong>e Lehren dar-<br />
OFFENE TORE 3/10<br />
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