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Akt 2 - Anduin

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das Widerstandsnest auszuräuchern.<br />

Sollten die religiösen Hitzköpfe ihre<br />

Differenzen getrost unter sich ausmachen, für<br />

die militärischen Ziele des Expeditionsheeres<br />

war es wichtiger, die Einnahme der Festung<br />

Hebon und damit den Fall des Königreichs<br />

Andur herbeizuführen.<br />

Korri war nur leicht befestigt und schien<br />

somit kein größeres Hindernis für die zehnfache<br />

Übermacht der zudem besser bewaffneten<br />

Ordenstruppen zu sein. Um ihren Vorteil<br />

auszukosten und die Verteidiger zu demütigen,<br />

hielten die Agrikaner in Pfeilschuß-weite der<br />

Klostermauern einen Dankgottesdienst ab und<br />

errichteten Scheiterhaufen rund um das Dorf,<br />

um keinen Zweifel über das Schicksal etwaiger<br />

Überlebender aufkommen zu lassen.<br />

Der Sturmangriff begann zur Mittagsstunde<br />

und überwand die provisorischen äußeren<br />

Barrikaden mit der erwarteten Schnelligkeit.<br />

Zwar waren die Verluste auf beiden Seiten<br />

hoch, doch dies war in Anbetracht der Situation<br />

der Klosterinsassen, die ja auf keinerlei Gnade<br />

hoffen konnten, zu erwarten gewesen.<br />

Als die sich erbittert wehrenden Verteidiger<br />

jedoch auf den Hof des Klosters zurückgedrängt<br />

wurden, verfielen sie in einen wahren<br />

Kampfrausch und dezimierten die Angreifer<br />

in einer Weise, die selbst die hartgesottenen<br />

agrikanischen Ritter entsetzte.<br />

Unbewaffnete Tempelnovizen zerrten<br />

Lanzenreiter aus dem Sattel und erschlugen<br />

sie mit Steinen, halbwüchsige Knappen<br />

durchbohrten die Panzer- hemden gestandener<br />

Ritter, und die schwer-bewaffneten Priester der<br />

unwilligen Kriegerin mähten ihre Feinde nieder<br />

wie der leibhaftige Schnitter selbst.<br />

Eben noch den sicheren Sieg vor Augen,<br />

zogen sich die Ordensritter nun in panischer<br />

Flucht zurück und hinterließen dabei zahllose<br />

Gefallene.<br />

Auch beschwörende Worte der Priester<br />

Agriks und die Hohnrufe der Verteidiger<br />

konnten die Ritter nicht dazu bewegen, einen<br />

weiteren Angriff zu unternehmen. So zogen<br />

sie einen Belagerungsring um das Kloster und<br />

flehten Agrik an, er möge ihren Feinden die<br />

übermenschlichen Kräfte nehmen.<br />

In der Nacht dann hatte ein Priester vom<br />

Orden der Feuersäule im Traum eine Vision:<br />

Er träumte, dass die Kraft der Feinde von einer<br />

heiligen Reliquie herrühre, einem bronzenen<br />

Löwen mit einer Mähne von Rot und Gold. Der<br />

Legende nach wob Agrik daraufhin einen Nebel<br />

aus dem Rauch der Lagerfeuer, welcher den<br />

Priester vor den Blicken seiner Feinde verbarg<br />

und es ihm ermöglichte, sich durch die Reihen<br />

der wachsamen Verteidiger zu schleichen und<br />

die Löwenstatue von ihrem Marmorsockel zu<br />

stehlen.<br />

In der laranischen Geschichtsschreibung wird<br />

das wundersame Eingreifen Agriks bestritten<br />

und stattdessen von der frevelhaften Tat eines<br />

Verräters gesprochen, der den Löwen in der<br />

Nacht entwendete, um die Belagerten zu<br />

demoralisieren (was ihm offenbar gelang).<br />

Das „Wunder von Korri“ ließ die Agrikaner zu<br />

ihrem Mut zurückfinden, und als sie am nächsten<br />

Morgen das Kloster erneut bestürmten,<br />

eroberten sie es ohne große Mühe und machten<br />

seine Verteidiger nieder.<br />

Dem Priester, durch den der blindwütige<br />

Schnitter sein Wunder gewirkt hatte, blieb nur<br />

wenig Zeit, sich seiner Erwählung zu freuen.<br />

Einer der wenigen gefangenen Laranipriester riß<br />

ihn mit sich in die Feuergrube, in die Gefangenen<br />

zu Ehren Agriks geworfen wurden. Seither galt<br />

der Löwe als Unglücksbringer.<br />

Dennoch wurde die Statue nicht zerstört,<br />

sondern von den Priestern des Ordens der<br />

Feuersäule mitgenommen.<br />

Als nach dem Tode Purils im Jahr 689 TR<br />

die kandische Gegenoffensive die Rethemer<br />

zurückwarf, wurden einige Reliquien der<br />

geplünderten Abtei zurückgewonnen, der<br />

Löwe von Korri jedoch blieb verschwunden<br />

und wurde von der laranischen Priesterschaft<br />

auf ewig verloren gegeben, da man vermutete,<br />

die Statue sei längst nach Rethem ausgeschifft<br />

worden.<br />

Tatsächlich kam der Löwe niemals in Rethem<br />

an. Der agrikanische Orden der Feuersäule<br />

errichtete sein Hauptquartier während der<br />

rethemischen Besatzung in einem Dorf nördlich<br />

von Sarkum, das heute nur noch anhand der<br />

Ruinen des alten Herrenhauses zu erahnen ist.<br />

Neben dieser offiziellen Residenz existierte<br />

noch ein weiterer geheimer Ordensstützpunkt.<br />

Im Orden der Feuersäule war es schon seit<br />

geraumer Zeit zu Meinungsverschiedenheiten<br />

und Streitereien zwischen der Priesterschaft<br />

und dem eigenen Ritterorden, den Gefährten<br />

des Rastlosen Todes, gekommen. Uneinigkeit<br />

über einige Fragen der Religionsausübung und<br />

insbesondere über die Rechte und Pflichten<br />

der Tempelkrieger, hatte zu einer tiefgreifenden<br />

Entfremdung zwischen Priestern und Kriegern<br />

geführt. Die Priesterschaft betrachtete die<br />

Kämpfe als heiligen Krieg gegen die Anhänger<br />

der verhaßten Göttin Larani. Die Anführer<br />

des Kampfordens sahen dagegen keinen Sinn<br />

darin, an nur leicht verteidigten und außerdem<br />

beuteträchtigen Ortschaften vorbeizuziehen,<br />

um sich an den zäh verteidigten Klöstern die<br />

Köpfe blutig zu schlagen.<br />

Nach getaner Arbeit mußten sie zudem die<br />

wertvollsten Beutestücke an den Priesterstand<br />

abtreten, nur aufgrund der Tatsache, dass es sich<br />

dabei angeblich um heilige Reliquien handele.<br />

Beim Angriff auf Korri hatten die Ritter<br />

sich strikt geweigert, die Mauern weiter zu<br />

berennen und waren nur unter Aufbietung aller<br />

der Priesterschaft zur Verfügung stehenden<br />

Autorität zu einer Fort-setzung der Belagerung<br />

Rubriken Lesen & Spielen Abenteuer Prosa, Lyrik & Comics Rezensionen<br />

www.anduin.de - © 2003 Tommy Heinig<br />

zu bewegen gewesen.<br />

Als die Priester anschließend verkündet<br />

hatten, dass sie sowohl den kostbaren Löwen,<br />

wie auch einige weitere offensichtlich wertvolle<br />

Stücke für die Ausstattung des Tempels<br />

beanspruchten, reagierten die Mitglieder des<br />

Kampfordens derartig aggressiv, dass man kurz<br />

vor einer bewaffneten Auseinandersetzung<br />

zu stehen schien. Lediglich die Anwesenheit<br />

anderer agrikanischer Orden ließ die Gefährten<br />

des Rastlosen Todes sich an einem letzten<br />

Rest Disziplin erinnern und verhinderte einen<br />

offenen Konflikt.<br />

Innerhalb der Priesterschaft des Ordens der<br />

Feuersäule mußte man einsehen, dass auf den<br />

eigenen Kampforden offenbar kein Verlaß mehr<br />

war. Um die Sicherheit der Beutestücke vor<br />

eventuellen Übergriffen anderer (oder sogar der<br />

eigenen) Ritter und Soldaten zu gewährleisten,<br />

wurde die Einrichtung eines geheimen Schlupfwinkels<br />

beschlossen.<br />

Eine Ausschiffung der Beute zum<br />

Muttertempel in Golotha kam nicht in Frage,<br />

da man zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit<br />

einer Niederlage Rethems und dem damit<br />

verbundenen Verlust der neugewonnenen<br />

Gebiete rechnete. Die Beutestücke galten<br />

als wichtiger Grundstock für den Aufbau der<br />

Tempel innerhalb des neuen Machtbereiches.<br />

Anfangs dachte man an einen geheimen<br />

Tempel auf dem Festland, doch ein Schmuggler<br />

aus Sarkum, der mit den Eindringlingen<br />

kollaborierte und die örtlichen Gewässer<br />

besser kannte als jeder Lotse, brachte den<br />

Ordensgroßmeister auf den Gedanken,<br />

stattdessen Herkely, eine kleine, unbewohnte<br />

Insel vor der Küste Gemalas, als Stützpunkt<br />

auszuwählen.<br />

In ihm fand der Orden einen sowohl<br />

geschickten wie auch verschwiegenen<br />

Fährmann, der nun Nacht für Nacht<br />

Ordensmitglieder zwischen Festland und<br />

dem geheimen Inselquartier hin und her<br />

beförderte und als Laienmitglied in den Orden<br />

aufgenommen wurde.<br />

Nach und nach wurden die wichtigsten der<br />

erbeuteten Schätze auf die Insel gebracht und<br />

einige Anlagen dort errichtet.<br />

Inzwischen hatte die rethemische Offensive,<br />

die Purils Armee eigentlich bis nach Aleath im<br />

Herzen von Kanday bringen sollte, in der Schlacht<br />

um Hebon ihr jähes Ende gefunden. Die Burg<br />

Hebon fiel zwar in rethemische Hände, doch die<br />

gräßliche Schlacht gegen die andurischen Ritter<br />

ließ Purils Heer in einem desolaten Zustand<br />

zurück. An eine Weiterführung des Feldzuges<br />

war zunächst nicht zu denken.<br />

Inzwischen waren die eilends von der<br />

Nordfront abgezogenen kandischen Truppen<br />

unter der Führung ihres Königs Andasin III am<br />

südlichen Kriegsschauplatz eingetroffen. Hinzu<br />

kamen außerdem die Heere der südlichwestlich<br />

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