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(JSE) 2013 - Zeitschrift Jura Studium & Examen

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AUSGABE 2 | <strong>2013</strong><br />

___________________________________________________________________________________________________________________________________<br />

auf Achtung des Privat- und Familienlebens.<br />

Art. 8 EMRK erfüllt dieselbe Funktion wie<br />

Art. 2 I GG, indem er dem Einzelnen umfassend<br />

den Freiheitsraum garantiert, den er für<br />

die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit<br />

braucht. 43 Wie in der Grundrechtsdogmatik<br />

auch kann man die Prüfung folgendermaßen<br />

strukturieren:<br />

• Ist der Schutzbereich der Konventionsgarantie<br />

betroffen<br />

• Ist der Eingriff gesetzlich geregelt<br />

• Ist der Eingriff mit den Schranken der Konventionsgarantie<br />

vereinbar<br />

b) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK<br />

Beeinträchtigt war zunächst das Recht auf<br />

Achtung des Familienlebens. Der konventionsrechtliche<br />

Begriff der Familie setzt nicht<br />

voraus, dass zwei Personen ihre Beziehung<br />

rechtlich formalisiert haben, was hier wegen<br />

des Eheverbotes nach § 1307 BGB ohnehin<br />

ausgeschlossen war. Vielmehr genügt nach<br />

der Rechtsprechung des EGMR die faktische<br />

Beziehung. 44 Ein wesentliches Element der<br />

Familie ist die elterliche Sorge für die gemeinsamen<br />

Kinder. 45 Dieser „faktisch-funktionelle“<br />

Begriff der Familie ergibt sich vor allem<br />

aus ihrer gesellschaftlichen Aufgabe und<br />

ihren spezifischen Funktionen wie das Her-<br />

43 S. dazu Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention,<br />

5. Aufl., § 22 Rdnrn. 1 f.<br />

44 Vgl. EGMR v. 13.07.2000 – 25735/94 (Elsholz gegen<br />

Deutschland), Tz. 43.<br />

45 EGMR v. 27.10.1994 – 18535/91 (Kroon u. a. gegen<br />

Niederlande), Tz. 30.<br />

vorbringen, Pflegen und Erziehen von Kindern,<br />

die Überlieferung von Traditionen und<br />

Wertvorstellungen und der Gewährung eines<br />

sozialen Rückhalts für den Einzelnen, die allesamt<br />

nicht vom Bestand einer Ehe abhängen.<br />

Unabhängig von einem Zusammenleben<br />

der Eltern fällt auch die Beziehung zu ihren<br />

Kindern ipso jure in den Bereich des Familienlebens.<br />

46 Die familiäre Bindung zwischen<br />

den Eltern und ihren Kindern endet nicht<br />

schon dadurch, dass ein Kind der Fürsorge<br />

des Staates unterstellt wird. 47<br />

Die Achtung des Familienlebens gemäß<br />

Art. 8 EMRK verlangt, dass die Familie ein<br />

gemeinsames Leben entsprechend der Bindung<br />

untereinander führen kann. Die strafgerichtliche<br />

Verurteilung griff ebenso wie<br />

schon die gesetzliche Strafdrohung des<br />

§ 173 II 2 StGB in die Beziehung von P. S. zu<br />

seinen Kindern ein, ganz abgesehen davon,<br />

dass der Familie in der Vergangenheit das<br />

Sorgerecht für drei Kinder entzogen worden<br />

war, weil sie aus einer Inzestverbindung hervorgegangen<br />

waren. Außerdem war die Zeugung<br />

der Kinder von den Strafgerichten als<br />

Strafschärfungsgrund bewertet worden.<br />

Betroffen war ebenfalls der Anspruch auf<br />

Achtung des Privatlebens. Nach ständiger<br />

Rechtsprechung umfasst das Privatleben<br />

nach Art. 8 I EMRK „die physische und psy-<br />

46 Vgl. EGMR v. 11.10.2001 – 31871/96 (Sommerfeld gegen<br />

Deutschland), Tz. 32.<br />

47 Vgl. EGMR v. 08.07.1987 – 9749/82 (W. gegen Großbritannien),<br />

Tz. 59; EGMR v. 13.07.2000 – 39221 und<br />

41963/98 (Scozzari und Giunta gegen Italien),<br />

Tz. 169.<br />

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