ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
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Erinnerungen von Fritz Schumacher an<br />
seine Studenten an der th Dresden und<br />
späteren »Brücke«-Gründer, abgedruckt<br />
in: Der Kreis, Zeitschrift für künstlerische<br />
Kultur 9, 1932, S. 7-11.<br />
AUS DER VORGESCHICHTE<br />
DER BRÜCKE<br />
FRITZ SCHUMACHER<br />
Gelegentlich der Ausstellungen, die jüngst zur Feier des 25jährigen Jubiläums der Künstlervereinigung<br />
»Brücke« stattfanden, bin ich manchmal von befreundeter Seite angespornt<br />
worden, die Erinnerungen festzuhalten, die ich aus den Jahren der Vorgeschichte<br />
dieses künstlerischen Zusammenschlusses an einige seiner Mitglieder habe.<br />
Diese Erinnerungen ergeben sich daraus, daß die betreffenden Mitglieder jenes kleinen<br />
Kreises zuerst der Architektur zustrebten, und daß meine ersten Versuche als Lehrer an<br />
der Technischen Hochschule in Dresden sich kreuzten mit ihren ersten Versuchen als<br />
Schüler eben dieser Anstalt.<br />
Als mich knapp Dreißigjährigen der Ruf nach Dresden aus der abhängigen Stellung am<br />
Leipziger Hochbauamt befreite, mußte ich neben erfreulicheren Lehraufträgen zugleich<br />
das Fach des Freihandzeichnens übernehmen, zu dem mich weder Neigung noch besondere<br />
Begabung zog. Was ich als Apparat für diesen Unterricht vorfand, spottet jeder Beschreibung.<br />
Es war ein Saal von oben bis unten behängt mit schmutzigen Gipsen, aber<br />
nicht etwa die üblichen klassischen Vorbilder, sondern Abgüsse der übelsten Ornamentik<br />
der sächsischen Pseudo-Renaissance vom Jahrhundertende. Diese gespenstische<br />
Kunsthölle saß gedrängt voll junger erwartungsvoller Menschen, die vom Erwachen der<br />
»dekorativen Kunst« gehört hatten. Mitten unter ihnen saßen Kirchner und Heckel, die<br />
als werdende Architekten von mir die Kunst des »Freihandzeichnens« zu lernen hofften.<br />
Bei dem winzigen Fonds für Lehrmittel, der mir zur Verfügung stand, konnte ich leichter<br />
eine alte Welt verschwinden lassen, als eine neue aufbauen. Ich kündigte sie dadurch an,<br />
daß ich Muscheln, Steine, Schmetterlinge, kunstvoll getrocknete Pflanzen und Stoffe auf<br />
der Bildfläche erscheinen ließ. An Abgüssen suchte ich edle mittelalterliche Architekturplastik<br />
zu erlangen. Die Ornamentik wurde an alten holzgeschnitzten Renaissance- und<br />
Barockrahmen, die ich aus München bezog, dem Leben nähergebracht. Und an alle dem<br />
wurde nun in den verschiedensten Techniken herumprobiert.Vor allem in Kohle, der Bleistift<br />
wurde aufs Skizzenbuch beschränkt, das für den Zeichensaal erst entdeckt werden<br />
mußte, denn man kannte diesen nur als Fabrik von »Blättern« für die Examensmappe.<br />
Das alles ließ sich angesichts der großen Zahl der Studierenden, die ich zu versorgen<br />
hatte, und der vielen gleichgültigen Gesellen unter ihnen, nur in bescheidenem Maßstab<br />
heraufführen, aber man konnte bald erkennen, daß es einen kleinen Kreis gab, der die<br />
Absichten merkte und mitging. Zu ihnen gehörten Kirchner und Heckel, aber ich wäre<br />
ein schlechter Psychologe gewesen, wenn ich nicht erkannt hätte, daß es unter den Mitgehenden<br />
zwei Kategorien gab – diejenigen, die mit dem, was ich ihnen bieten konnte,<br />
zufrieden waren, und diejenigen, die kritisch blieben. Das unruhig suchende Wesen, das<br />
jeder Architekturlehrer an seinen Studenten kennt, verlor sich nie bei den »Brücke«-<br />
Leuten; bei Kirchner trug es früh den Charakter einer ziemlich verschlossenen Bitterkeit<br />
– bei Heckel äußerte es sich als verhaltene Leidenschaft. Es ist nicht leicht für den Lehrenden,<br />
zu erkennen, inwieweit er solcher kritischen Unrast nachgehen darf, da sie sich