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ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe

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Ersten Weltkrieg, das der Kulturhistoriker Hermann Glaser einmal treffend als »pendelnd<br />

zwischen Abgrundahnung und Luftschifferglück« 11 charakterisiert hat.<br />

Es ist müßig, doch nicht fruchtlos, nachzudenken, welche Bauwerke entstanden wären,<br />

hätte der Expressionist Kirchner gebaut statt zu malen. Denn auf dem Gebiet der Kunst<br />

war die (zum Teil bis heute unterbewertete) Architektur ausschlaggebend für die künftige<br />

Entwicklung Deutschlands. Schon vor 1914 wieder anerkannt als »Mutter der Künste«<br />

entfachte sich an ihr ein Grundsatzstreit, der weit über die Grenzen der Kunst hinauswuchs<br />

und zum Spiegel des Wettlaufs zwischen Demokratie und Diktatur, Weimarer<br />

Republik und »Drittem Reich« wurde: Die Frage, ob man künftig unter Sattel- oder<br />

Flachdächern leben werde, ob funktionalistisch oder traditionalistisch gebaut werden<br />

solle, wurde zur Nagelprobe, die nicht nur Eliten, sondern die gesamte Bevölkerung bewegte.<br />

Und so siegte im Januar 1933 in übertragenem Sinne »der Block«, die Vereinigung<br />

konservativer Baumeister, über den »Kreis«, zu dem sich die modernen Architekten<br />

zusammengeschlossen hatten – und gleichsam en passant auch über die (zuvor<br />

schon aufgelöste) »Brücke«.<br />

Hätte Ernst Ludwig Kirchner nicht zuvor schon Davos als Refugium gewählt, wäre ihm<br />

spätestens 1937 nichts anderes übrig geblieben als die Flucht in die Schweiz. Dort steht<br />

heute das 1991 eröffnete Kirchner Museum. Die Züricher Architekten Annette Gigon und<br />

Mike Guyer haben es als Ensemble aus verglasten, quadratisch gerasterten Kuben entworfen.<br />

Nur mit viel Wohlwollen kann man darin einen leisen Abglanz jener relativ<br />

schmucklosen Kuben erkennen, die der junge Architekturstudent Kirchner einst in Dresden<br />

entworfen hat. In einem aber wird die Baugruppe dem Andenken an das Kirchnersche<br />

Architekturstudium gerecht: Sie ist, wie seinerzeit Kirchners Entwürfe, als zeitgenössische<br />

Architektur solides Mittelmaß, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und in ihr<br />

wartet, wie einst die Bilder im lernenden Architekten, der wilde Expressionismus.<br />

1 Die genannten Architekten reüssierten um 1910<br />

in Leipzig, Frankfurt am Main und Dresden mit<br />

monumentalen Friedhofsanlagen.<br />

2 Bauwerke wie das Mausoleum des Theoderich<br />

in Ravenna oder die karolingische Königshalle<br />

in Kloster Lorsch standen um die Jahrhundertwende<br />

als Kronzeugen einer Synthese aus<br />

römisch-antiker Zivilisation und »germanischer<br />

Urwüchsigkeit« hoch im Kurs. Eines der bekanntesten<br />

Bauwerke dieser Stilrichtung ist der Eingangsbau<br />

des Germanischen Nationalmuseums<br />

(1903) in Nürnberg von German Bestelmeyer.<br />

3 Dazu ausführlich: Kerstin Zaschke, Die Architekturlehre<br />

in Dresden zur Zeit Ernst Ludwig Kirchners,<br />

in diesem Band S. 107–119 sowie Meike<br />

Hoffmann, Ernst Ludwig Kirchner. Der Architekt.<br />

Einführung, in: Der Architekt Ernst Ludwig<br />

Kirchner, München 1999, S. 5–10.<br />

4 Siehe Claus Zoege von Manteuffel, Ernst<br />

Ludwig Kirchner. Zeichnungen und Pastelle,<br />

Stuttgart 1974.<br />

5 Hans Joachim Kadatz, Peter Behrens. Maler,<br />

Graphiker und Formgestalter, Leipzig 1977, S. 37.<br />

6 Oskar Reuther, Hochbau-Abteilung, in: Ein Jahrhundert<br />

Sächsische Technische Hochschule<br />

1828–1928. Festschrift zur Jahrhundertfeier,<br />

Dresden 1928, S. 45.<br />

7 Fritz Bleyl, Erinnerungen, in: Hans Wentzel,<br />

Fritz Bleyl. Gründungsmitglied der »Brücke«, in:<br />

Kunst in Hessen und am Mittelrhein, 1968, H. 8,<br />

S. 89–105, hier: S. 95.<br />

8 Siehe Fritz Schumacher, Aus der Vorgeschichte<br />

der Brücke, in: Der Kreis, 1932, H.1, S. 7–11.<br />

9 Lothar Grisebach (Hg.), Ernst Ludwig Kirchners<br />

Davoser Tagebuch, Neuaufl. Ostfildern-Ruit<br />

1997, S. 38.<br />

10 Schumacher 1932 (wie Anm. 8), S.10.<br />

11 Hermann Glaser, Sigmund Freuds 20. Jahrhundert.<br />

Seelenbilder einer Epoche, München<br />

1976, S.117.<br />

6 Ernst Ludwig Kirchner, Mansardennische<br />

im Atelier Berlin-Friedenau, 1914–1915,<br />

historische Fotografie, 1914–1915, Kirchner<br />

Museum Davos<br />

V O M B A U Z U M B I L D<br />

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