ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
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Eine Form der stufenweisen Durcharbeitung anderer Art bot das Skizzieren aus dem Gebiete<br />
des Hochbaus bei Paul Wallot, 54 dem Architekten des Berliner Reichstages. »Äußerst<br />
fördernd für uns waren auch die sogenannten Skizzierübungen bei Professor Wallot.<br />
Er lehrte zwar an der Kunstakademie auf der Brühlschen Terrasse, kam aber zu uns<br />
herüber und stellte uns vierzehntägige Hausaufgaben, die dann, mit löwenmäßigen kritischen<br />
Pausen des Meisters versehen, vor versammeltem Kolleg besprochen wurden.<br />
Wallot hatte ein paar bestimmte Beurteilungsausdrücke, aus denen man das Nötige<br />
über die Bewertung und Güte der eingereichten Arbeit zu entnehmen vermochte, etwa<br />
›Fleißige‹ oder ›Tüchtige‹ oder aber ›sehr gute‹ und ›ausgezeichnete‹ Arbeit. Wir beide,<br />
Kirchner und ich, waren bald unter der letzteren Gruppe, nicht zum wenigsten auch unserer<br />
malerischen Schaubilder wegen, auf Grund derer uns einstmals auch ein Bekannter<br />
voraussagte: ›Sie werden einmal als Maler enden‹.« 55<br />
Diese sogenannten Skizzierübungen waren Übungen im Stegreifentwerfen, 56 kleine Entwurfsaufgaben,<br />
die in kurzer Zeit zu bearbeiten waren. Die malerische Darstellung der<br />
Skizze für ein Berghäusel (siehe Abb. S. 8) könnte in diesem Zusammenhang entstanden<br />
sein. 57 Allgemein sind diese Stegreifübungen nicht mit den in jeder Hinsicht ausgearbeiteten<br />
Entwürfen vergleichbar, stellen sie doch nur kleine Übungen dar. Trotzdem überrascht<br />
der Unterschied zu den Studienarbeiten, die in Wallots Meisteratelier an der<br />
Kunstakademie entstanden. 58 Hierbei handelt es sich bis auf sehr wenige Ausnahmen<br />
um Entwürfe für repräsentative Bauaufgaben wie Museen, Theater, Rathäuser und herrschaftliche<br />
Wohnsitze meist im Stil der Neorenaissance, während Kirchners Entwürfe<br />
und Skizzen keinerlei historische Stilmerkmale aufweisen. Die Entwürfe aus Wallots<br />
Atelier an der Kunstakademie erscheinen aus heutiger Sicht rückständig, auch nach damaligem<br />
Verständnis in keiner Weise modern (ABB. 5). Auch wenn das Skizzieren aus<br />
dem Gebiete des Hochbaus bei Wallot nur einen verschwindend geringen Anteil des Entwerfens<br />
ausmachte, führten die Übungen im Stegreifentwerfen »die jungen Architekten<br />
zu schöpferischem Arbeiten, weckten die Selbstkritik in ihnen und lehrten sie wirkliches<br />
architektonisches Denken«. 59<br />
Das von Hartung gelehrte Entwerfen von Hochbauten war ebenso wie das Ornamententwerfen<br />
Voraussetzung für das Arbeiten im Atelier im letzten Studienjahr. Hartung,<br />
der auch die Formenlehre des Mittelalters unterrichtete, »wies seine Studenten auf die<br />
Baukunst des Mittelalters, vor allem der Gotik [hin], von der sie zweckmäßiges Bauen<br />
5 Arno Pasig, Badeanlage, aus: Paul Wallot,<br />
Architektonische Entwürfe aus dem Atelier<br />
des Professor Dr. Paul Wallot, Teil 6/7,<br />
Leipzig 1903<br />
A R C H I T E K T U R L E H R E I N D R E S D E N<br />
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