ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1 Ernst Ludwig Kirchner, Blick aus meinem<br />
Fenster. Blatt 2 aus dem Skizzenbuch i,<br />
1900/01, Tusche und Aquarell, 12 × 19 cm,<br />
Sammlung Gerlinger, Museum Moritzburg,<br />
Halle (Saale)<br />
50 K A T H A R I N A S I E G M A N N<br />
Das Zeichnen nahm im Architekturstudium selbstverständlich einen breiten Raum ein,<br />
vornehmlich jedoch im engen Rahmen des technischen Zeichnens. Viele Pflichtstunden<br />
hatten die Studenten zunächst der darstellenden Geometrie und dem Bauformenzeichnen<br />
zu widmen (Abb. S. 122, 123); etwas mehr kreativen Freiraum mag das Freihand- und<br />
Ornamentzeichnen sowie das Zeichnen nach dem lebenden Modell in den höheren Semestern<br />
geboten haben. 10 In den Erinnerungen Fritz Bleyls spiegelt sich wider, dass die<br />
künstlerisch ambitionierten Studenten die meisten Kurse »als rein wissenschaftlich und<br />
lebensfremd« empfanden und sich allein im Freihandzeichensaal wohlfühlten, wo sie<br />
begeistert die besten Leistungen brachten. 11 Kirchner und Bleyl erkannten ihre Verwandtschaft<br />
»als zwei in die gleiche Kerbe hauende Kunstbeflissene« 12 bereits als Erstsemester<br />
in der Darstellenden Geometrie bei Professor Karl Rohn und schlossen Freundschaft.<br />
In den folgenden Jahren absolvierten sie nicht nur das Studium gemeinsam, sondern<br />
nutzten jede Gelegenheit, sich künstlerisch fortzubilden. Sie zeichneten in ihren<br />
Studentenzimmern, spazierten skizzierend durch die Stadt und unternahmen Ausflüge<br />
ins Umland, stets voller Arbeitseifer und im intensiven Austausch. Sie waren orientierungsfreudig<br />
und offen nach allen Seiten, sich die aktuellen Strömungen der Kunst anzueignen:<br />
»Wir suchten Weiterbildung, fortschrittliche Entwicklung und Lösung vom<br />
Herkömmlichen, wo immer wir sie erhoffen konnten, so etwa in den damals erscheinenden<br />
Sammel- und Probebänden der Münchner ›Jugend‹, und bezogen die englische<br />
Kunstzeitschrift ›Studio‹, deren laufende Neuerscheinungen wir kaum erwarten konnten.«<br />
13 Auch den von Ferdinand Avenarius herausgegebenen Kunstwart, in dem über die<br />
neuesten Tendenzen in Dichtung, Theater, Musik, bildender und angewandter Kunst berichtet<br />
wurde, lasen sie ebenso interessiert wie die Neuerscheinungen namhafter Kunsthistoriker<br />
wie Julius Meier-Graefe oder Richard Muther. Hinzu wird die überaus reich<br />
und farbig illustrierte Publikation zum modernen Plakat ihres Professors Jean Louis<br />
Sponsel gekommen sein. 14 Die Kunst außereuropäischer Kulturen, insbesondere die afrikanische<br />
und polynesische, die man im Dresdner Völkerkundemuseum sehen konnte,<br />
beeindruckte Kirchner und seine Mitstreiter tief. 15 Die japanische Kunst war ohnehin en<br />
vogue; über sie wurde ausführlich in Kunstzeitschriften berichtet und in musealen<br />
Sammlungen der Stadt konnte man sie bestens studieren.