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ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe

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VOM BAU ZUM BILD –<br />

<strong>ERNST</strong> <strong>LUDWIG</strong> <strong>KIRCHNER</strong><br />

UND DIE <strong>ARCHITEKT</strong>UR<br />

DIETER BARTETZKO<br />

Als Ernst Ludwig Kirchner im Juli 1905 an der Technischen Hochschule Dresden seine<br />

Diplomarbeit abgab, beerdigte er, so könnte man sagen, endgültig den Ingenieur, der er<br />

nach dem Willen seiner Eltern hätte werden sollen. Aus diesem Blickwinkel ist sein Entwurf,<br />

den er zur Prüfung vorlegte, buchstäblich die Grabplatte dieser Architektenkarriere,<br />

die endete, ehe sie begonnen hatte. Denn Kirchner reichte den »Entwurf einer<br />

Friedhofsanlage« ein. Schon ein flüchtiger Blick darauf zeigt, dass er, egal ob gezwungen<br />

oder freiwillig, sich als potenzieller Ingenieur beziehungsweise Architekt auf der Höhe<br />

seiner Zeit bewegte: Mit einer zentralen überkuppelten »Parentationshalle«, beiderseits<br />

flankiert von arkadierten, kielbogengewölbten Leichenhallen-Flügeln, die einem<br />

»Campo Santo« und drei gestaffelten, axialsymmetrisch geordneten Friedhofsterrassen<br />

vorgelagert sind (siehe Abb. S. 20–27), entsprach Kirchners Arbeit den Großformen, die<br />

damals ausschlaggebende Architekten wie Theodor Fischer, Hugo Licht oder Heinrich<br />

Reinhardt1 wenige Jahre später schufen.<br />

Wie die Gesamtform entsprach auch Kirchners Stilwahl dem Anspruchsniveau der Zeit:<br />

Kräftiges Bossenmauerwerk, markante Rundbögen und gedrungene Pfeiler, untersetzte<br />

Säulen und robuste Gesimse sind im Maßstab 1:100 zu einem typischen Ensemble des<br />

Fin de Siècle arrangiert, in dem, überformt von Jugendstil-Anklängen, Zitate byzantinischer,<br />

griechisch-archaischer und spätantiker »römisch-germanischer« Architektur2 verschmelzen. Unter allen Ansichten, Querschnitten und Grundrissen des Entwurfs verweist<br />

einzig der Gesamtplan (siehe Abb. S. 25) auf den künftigen leidenschaftlichen Maler.<br />

Denn auf ihm sind, architektonisch völlig unmotiviert, einzelne Felder in geradezu<br />

schreiendem Violett, Blau und Schwarz getuscht – Farben, die wenig später Signale des<br />

Kirchnerschen Expressionismus werden sollten.<br />

Dass der vom Prüfungsgremium mit der Note »gut« bewertete Friedhofsentwurf als<br />

symbolische Grabplatte über dem quasi totgeborenen Architekten Kirchner liege, dass<br />

er ein von der Ironie der Geschichte – das Thema der Diplomarbeit war von der Technischen<br />

Hochschule vorgegeben – geschenktes Symbol für den inneren Widerstand des<br />

passionierten Malers sei, passt ideal ins tradierte Bild von Ernst Ludwig Kirchners Künstlertum.<br />

In ihm erscheint der Vater des Malers, der Papierchemiker Ernst Kirchner, als<br />

treibende Kraft, der den eher widerwilligen Sohn genötigt habe, statt brotloser Kunst die<br />

aussichtsreiche Position eines Bauingenieurs anzustreben. Tatsächlich legen die ekstatische<br />

Freude, mit der Ernst Ludwig Kirchner nach dem Erwerb des Diploms sich der Malerei<br />

zuwandte, seine späteren abschätzigen Bemerkungen über seine Ausbildungsjahre<br />

an der Technischen Hochschule, 3 vor allem aber die fast neurotische Hybris, mit der er<br />

ab 1920 unter dem Pseudonym Louis de Marsalle4 seine Gemälde in Aufsätzen und Essays<br />

verherrlichte, die Vorstellung vom entfesselten, den Ketten des Ingenieurwesens<br />

und der Architektur entkommenen Maler nahe. Zumal, da selbst noch zu Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts in der Architektenausbildung und Architekturrezeption weite Kreise die<br />

Ernst Ludwig Kirchner, Gipsmodell der Villa<br />

Genge, 1901–1905, Silbergelatineabzug,<br />

Kirchner Museum Davos<br />

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