ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
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114 K E R S T I N Z A S C H K E<br />
und konstruktives Denken und somit innere Wahrhaftigkeit lernen müßten«. 60 Er wollte<br />
jedoch nicht, dass man die Bauwerke und Formen des Mittelalters nachbilden solle. Inhaltlicher<br />
Schwerpunkt seiner Lehre war der Wohnhausbau, welcher auch das Thema<br />
von Kirchners Entwurf eines Malerateliers ist (siehe Abb. S. 58, 59). Dieses, ein von Kantenquadern<br />
gefasstes Wohn- und Atelierhaus mit hohem Dach, entspricht vollkommen<br />
der von Hartung geforderten »inneren Wahrhaftigkeit«.<br />
Im selben Semester nahm Kirchner an der Exkursion mit Hartung teil, welche die ein<br />
Jahr zuvor belegte Formenlehre des Mittelalters durch Anschauung vor Ort ergänzte.<br />
»An der ersten [Studienfahrt], die unter Leitung von Professor Hartung nach Magdeburg<br />
und Braunschweig führte, beteiligte sich auch Ernst Ludwig Kirchner, der übrigens<br />
damals seine Arbeiten mit elk bezeichnete. Wir wandelten in dieser Zeit, es muß 1902<br />
oder 1903 gewesen sein, mit großen Künstlerkrawatten und breitkrämpigen Hüten<br />
durch die Weltgeschichte, so daß sich ein uns begegnender Bekannter nicht der lächelnden<br />
Bemerkung enthalten konnte: ›An ihren Hüten sollt ihr sie erkennen‹«. 61<br />
Den Abschluss der Entwurfsausbildung bildete das Arbeiten im Atelier für Baukunst bei<br />
Weißbach. Dieses stand zu Zeiten Kirchners an vier Tagen in der Woche im Zentrum des<br />
Studiums. Es war ein eher freies, nicht an feste Anwesenheitszeiten gebundenes Entwerfen.<br />
Weißbachs Interesse galt zunehmend dem Wohnhaus, speziell dem Arbeiterwohnhaus,<br />
denen er zwei Publikationen widmete. 62 Das Arbeiten im Atelier wurde von Weißbachs<br />
Vorlesungen zu Öffentlichen Bauten und Anlagen begleitet, die, nimmt man Kirchners<br />
Entwürfe als Maßstab, zentrales Entwurfsthema waren. Beim Entwurf von öffentlichen<br />
Bauten handelt es sich um sehr komplexe Entwurfsaufgaben, die erst mit zunehmender<br />
Übung im Entwerfen gestellt werden. Kirchner arbeitete im Sommersemester<br />
1904 das erste Mal im Atelier. Sein Entwurf eines Hotels für ein Grundstück in Dresden-<br />
Plauen (siehe Abb. S. 92–95) stellt im Vergleich zum später bearbeiteten Entwurf für ein<br />
Museum63 (siehe Abb. S. 96–101) eine weniger anspruchsvolle Aufgabe dar. Die beiden<br />
Entwürfe unterliegen entsprechend der jeweiligen Bauaufgabe unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien.<br />
Das Museum, ein »Tempel der Kunst«, stellt eine klassische, repräsentative<br />
Bauaufgabe dar. Das Hotel sollte zwar repräsentativ wirken, musste aber in erster<br />
Linie funktional sein. Mit der Ortsangabe Plauen wurde in der Aufgabenstellung<br />
sehr wahrscheinlich eine Anpassung der Gestaltung an die dortigen Gegebenheiten gefordert:<br />
ein gerade in Umbau und Erweiterung begriffenes bürgerliches bis großbürgerliches,<br />
gründerzeitliches Umfeld mit entsprechend moderner Bebauung.<br />
Zur gleichen Zeit entstanden von 1900 bis 1905 am südlichen Stadtrand nach Entwürfen<br />
von Weißbach die Neubauten für die Mechanische Abteilung der Technischen Hochschule<br />
Dresden. Sie bilden den Ausgangspunkt des heutigen Kerngeländes der Universität.<br />
Weißbachs Prinzipien von einer angemessenen Gestaltung und ihrer technischen<br />
Funktion entsprechend sind sie sehr sachlich gestaltet (ABB. 6).<br />
Eine Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, boten die jährlichen<br />
Preisaufgaben, eine Art studentischer Wettbewerb. Die Hochbauabteilung stellte kleinere<br />
oder größere Entwurfsaufgaben: ein zweigeschossiger Erkerbau (1900/01), eine<br />
Straßenbahnwartehalle am Postplatz (1902/03), ein Klubhaus für eine Sportwiese einer<br />
mittleren Stadt (1903/04), eine Reithalle in einem fürstlichen Park (1904/05) oder ein<br />
Zierhof eines Klubgebäudes (1905/06). Eine Kommission bewertete die unter einem<br />
Kennwort eingereichten Lösungen. In den Berichten der th Dresden wurden die Aufgabenstellungen,<br />
die eingereichten Arbeiten und die Namen der Preisträger veröffentlicht.<br />
Da weder Kirchner noch Bleyl unter den Preisträgern waren, kann nicht eruiert<br />
werden, ob sie Arbeiten einreichten. 64