ERNST LUDWIG KIRCHNER ALS ARCHITEKT - Mathildenhöhe
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geeignet war, malerische Platz- und Straßenräume zu schaffen. Vor allem aber sollte<br />
eine einfache, auf die regionale Situation zugeschnittene Architektur geschaffen werden,<br />
die sowohl kostengünstig als auch qualitativ anspruchsvoll ausfallen sollte. Die soziale<br />
Hierarchie wurde dabei keineswegs negiert, wie die Teilung in den zentralen Reihenhausbereich<br />
und das Villenviertel am Rande zeigt.<br />
Mehrere der bedeutendsten Architekten Deutschlands – neben Riemerschmid waren<br />
dies vor allem Hermann Muthesius, Heinrich Tessenow, Heinrich Tscharmann, Oswin<br />
Hempel, German Bestelmeyer und Theodor Fischer – beteiligten sich an dem Experiment<br />
Hellerau und bewiesen mit ihren Siedlungshäusern, dass die Forderung nach einfacher,<br />
ortsgebundener Baukunst zu recht unterschiedlichen Ergebnissen führen konnte.<br />
So entwarf Richard Riemerschmid Reihenhäuser mit malerisch verspielten Dächern, die<br />
den Aspekt der Traditionsgebundenheit in einer spezifisch süddeutschen »gemütlichen«<br />
Note deutlich werden lassen, während die Häuser des Berliner Architekten Hermann<br />
Muthesius das von diesem propagierte Vorbild des englischen Hauses partiell erkennen<br />
lassen. 29 Heinrich Tessenow 30 aus Rostock entwarf Kleinhäuser von geradezu asketischer<br />
Schlichtheit, deren Reiz allein auf der sensiblen Proportionierung der einzelnen Bauglieder<br />
beruht, was beim Publikum allerdings den Eindruck der Ärmlichkeit hervorrief. Bei<br />
der Planung seines bekannten Doppel-Einfamilienhauses von 1910/11 im Villen- oder<br />
Landhausgebiet von Hellerau (Heideweg 24/26) griff er dagegen auf das Vorbild von<br />
Goethes Gartenhaus in Weimar zurück. Den Höhepunkt seines Schaffens in Hellerau<br />
stellt das berühmte, 1911 bis 1912 errichtete Festspielhaus für das Tanztheater von Émile<br />
Jaques-Dalcroze dar, das mit seinen auf strenge geometrische Grundformen reduzierten<br />
Tempelfronten das Vokabular des Neoklassizismus in die Sprache der klassischen Moderne<br />
überführt (ABB. 4). 31 Trotz der unterschiedlichen Handschriften der einzelnen Architekten<br />
ist in der Gartenstadt Hellerau ein relativ einheitliches Ortsbild hergestellt<br />
worden: Nach Muthesius wurde hier »jene Einheitlichkeit der Anlage angestrebt, die wir<br />
an alten Ortschaften so sehr bewundern, aber infolge unserer verhängnisvollen Originalitätssucht<br />
bei neuen so selten anwenden«. 32<br />
Stärker als im privaten Wohnhausbau Dresdens konnte sich die Reformarchitektur in<br />
den Baumaßnahmen der öffentlichen Hand durchsetzen. Hier fand sie mit der Persönlichkeit<br />
des von 1905 bis 1914 in Dresden tätigen Stadtbaurats Hans Erlwein33 zu einer<br />
Wirksamkeit, die das Stadtbild der sächsischen Metropole nachhaltig geprägt hat. Eine<br />
Vielzahl öffentlicher Bauten, wie Verwaltungsgebäude, Schulen, Bauten der Wasser- und<br />
Abwasserwirtschaft, der Vieh- und Schlachthof und weitere Gewerbebauten, entstanden<br />
unter seiner Leitung. Es sind durchweg traditionsgebundene Neubauten, die auf<br />
eine möglichst harmonische Einpassung in das jeweilige städtische Umfeld hin konzipiert<br />
sind. In Erlweins Industriebauten, insbesondere dem Gasometer in Dresden-Reick,<br />
kommen andererseits auch moderne Materialien wie der Stahlbeton zum Einsatz.<br />
Mit der 1902 bis 1905 nach Plänen von Rudolf Schilling und Julius Graebner errichteten<br />
Christuskirche in Dresden-Strehlen34 (ABB. 5), dem Krematorium von Fritz Schumacher<br />
in Dresden-Tolkewitz (1908–1912; Abb. siehe S. 31) 35 und dem von Heinrich Tessenow<br />
entworfenen Festspielhaus in Hellerau besitzt Dresden drei herausragende Monumente,<br />
die für die Genese der modernen Architektur in Deutschland von besonderer Bedeutung<br />
sind. Eine größere Breitenwirkung ging jedoch von den schlichteren Modellen der Reformarchitektur<br />
aus, die sich vor allem in den städtischen Kultur- und Zweckbauten<br />
Hans Erlweins und in der Gartenstadtplanung von Hellerau niederschlugen. Es ist eine<br />
Baukunst, die aus dem ideologischen Fundament des Heimatschutzes erwuchs und auf<br />
Integration in das städtische wie landschaftliche Umfeld hin angelegt war.<br />
5 Schilling & Graebner, Christuskirche<br />
in Dresden-Strehlen, 1902–1905,<br />
Fotografie von Walter Möbius, 1935<br />
D R E S D E N U M 1 9 0 0<br />
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