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S-Bahn-Krimi Berlin - S-Bahn-Tisch

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S <strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong><br />

Wie die <strong>Bahn</strong>zentrale die S-<strong>Bahn</strong><br />

<strong>Berlin</strong> regierte und dirigierte<br />

Steif und fest behauptet <strong>Bahn</strong>chef Grube, die<br />

DB AG, also die Zentrale des Konzerns Deutsche<br />

<strong>Bahn</strong> AG, sei für die S-<strong>Bahn</strong>-Krise nicht verantwortlich.<br />

Man habe nicht in das operative<br />

Geschäft der S-<strong>Bahn</strong> eingegriffen. So argumentiert<br />

auch heute Grube als Märchenerzähler im<br />

<strong>Berlin</strong>er Abgeordnetenhaus (s. Kasten S. 14).<br />

Diese Darstellung ließ sich die Deutsche <strong>Bahn</strong><br />

AG auch noch wissenschaftlich absegnen –<br />

durch das Gutachten der Kanzlei Gleiss Lutz (s.<br />

Kasten S. 16).<br />

Wie massiv die DB-Zentrale in die S-<strong>Bahn</strong><br />

hineinregierte, ja wie sie geradezu die S-<strong>Bahn</strong><br />

im Stil eines Politbüros dirigierte, zeigt der folgende<br />

Bericht, der auf dem Höhepunkt der S-<br />

<strong>Bahn</strong>-Krise, im Januar 2011, im Spiegel<br />

erschien. „Die Zukunft der <strong>Berlin</strong>er S-<strong>Bahn</strong> erledigten<br />

die Manager der Deutschen <strong>Bahn</strong> (DB)<br />

mit einem Knopfdruck. Mehrmals pro Jahr<br />

bestellten sie den Projektleiter der zur DB gehörenden<br />

S-<strong>Bahn</strong> in den <strong>Bahn</strong>-Tower am Potsdamer<br />

Platz. Mit dem Fahrstuhl ging es oft bis<br />

zum 21. Stockwerk, in den Sitzungssaal ´Fliegende<br />

Hamburger´. An einem <strong>Tisch</strong> warteten<br />

gut ein Dutzend hohe Konzern-Manager. Genau<br />

20 Minuten lang durfte der S-<strong>Bahn</strong>er vortragen.<br />

Weitere 20 Minuten wurden Nachfragen<br />

gestellt. Dann nahmen die Herren ein kleines<br />

Gerät vom <strong>Tisch</strong>. Wer mit den Vorschlägen der<br />

S-<strong>Bahn</strong> einverstanden war, drückte auf ein grünes<br />

Knöpfchen. Unzufriedene konnten auf gelb<br />

oder rot drücken. Der S-<strong>Bahn</strong>-Projektleiter saß<br />

zwar dabei, aber wer wie abgestimmt hatte,<br />

erfuhr er nicht. Am Ende warf ein Beamer das<br />

Ergebnis an die Wand, dann musste der S-<strong>Bahn</strong>er<br />

den Raum verlassen. Die Sparmaßnahmen,<br />

heißt es, bekamen nach anfänglichem Gelb eine<br />

grüne Ampel. So wurden seit 2005 Millionen<br />

Euro wegrationalisiert, und mit jedem Knopfdruck<br />

fuhr die S-<strong>Bahn</strong> tiefer in die Krise.“<br />

Es wurden vor allem Beschäftigte wegrationalisiert<br />

und Millionen Euro Gewinne gemacht.<br />

Interessant ist, dass der Bericht – offensichtlich<br />

aus juristischen Gründen, möglicherweise<br />

wegen Quellenschutzes – keinen einzigen Teilnehmer<br />

mit Namen nennt. Wer war besagter<br />

„Projektleiter“? Welche „hohen Konzern-Manager“<br />

waren anwesend? Wie oft war Hartmut<br />

Mehdorn dabei? Nahm Ulrich Homburg teil?<br />

Aber auch ohne diese spannenden Details ist<br />

der Bericht, dem die DB nie widersprach, eindeutig:<br />

Die Geschäftsführung der S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong><br />

wurde faktisch im <strong>Bahn</strong>tower bestimmt.<br />

Zitat aus: „Tote Gleise“, Der Spiegel 2/2011, Verfasser:<br />

S. Becker, P. Müller, A. Wassermann, P. Wensierski<br />

II. Offene S-<strong>Bahn</strong>-Krise 2009-2012<br />

Das Börsengang-Programm OSB als<br />

direkter Auslöser des S-<strong>Bahn</strong>-Desasters<br />

Am Anfang stand OSB – das Rationalisierungsprogramm<br />

„Optimierung S-<br />

<strong>Bahn</strong>“ aus dem Jahr 2004. Es orientierte<br />

auf die systematische Erhöhung des<br />

Gewinns aus den S-<strong>Bahn</strong>-Systemen<br />

<strong>Berlin</strong> und Hamburg. Es wurde weitgehend<br />

zeitgleich mit dem Projekt Börsengang<br />

der Deutschen <strong>Bahn</strong> AG beschlossen<br />

und in dem Maß verschärft angewandt,<br />

wie der Kurs an die Börse an<br />

Fahrt aufnahm. Dazu heißt es in einem<br />

bahninternen Dokument, datiert auf den<br />

6. Mai 2004: „Es soll sichergesellt werden,<br />

dass Ende 2006 ein jährliches Einsparpotential<br />

von 40 Millionen Euro von<br />

den S-<strong>Bahn</strong>en (<strong>Berlin</strong> und Hamburg;<br />

W.W.) realisiert wird.“ Dieses Programm<br />

wurde untersetzt mit konkreten Zielsetzungen<br />

wie die Reduktion der Reservekapazitäten<br />

bei S-<strong>Bahn</strong>-Wagen und<br />

Triebwagen (132 funktionsfähige<br />

S-<strong>Bahn</strong>-Wagen wurden verschrottet),<br />

den Abbau der S-<strong>Bahn</strong>-Belegschaft, die<br />

Schließung von Werkstätten und die<br />

Spreizung von Wartungsintervallen bzw.<br />

des Ausfalls von Wartungsmaßnahmen<br />

überhaupt. Als OSB im Jahr 2005 in<br />

Kraft gesetzt wurde, hatte die S-<strong>Bahn</strong><br />

<strong>Berlin</strong> noch 3676 Beschäftigte. Auf dem<br />

Höhepunkt der Krise, Mitte 2009, waren<br />

es noch 2769. Es gab einen Abbau der<br />

Belegschaft um ein Viertel in nur vier<br />

Jahren. Dabei stieg bis 2008 die<br />

Betriebsleistung (gemessen in Millionen<br />

Zugkilometer) noch. Noch schwerwiegender<br />

als der Belegschaftsabbau erwies<br />

sich die Schließung von Werkstätten<br />

und die Reduktion der Belegschaft im<br />

Bereich der Wartung und Instandhaltung<br />

auf rund ein Drittel. Die vielfachen<br />

höchst komplex erscheinenden „Erklärungen“,<br />

die bei den Höhepunkten der<br />

S-<strong>Bahn</strong>krise 2009 und 2010 für den<br />

Ausfall einzelner strategisch wichtiger<br />

Komponenten durch DB-Obere angeführt<br />

wurden, erweisen sich als unernst<br />

angesichts der realen und banalen<br />

Unterlassungen bei der Wartung. Im<br />

Winter 2009/2010 fielen reihenweise<br />

Motoren aus – angeblich „wegen Flugschnee“.<br />

Klaus Kurpjuweit führt diese<br />

Ausfälle im Tagesspiegel auf schlichte<br />

Verstöße gegen die Wartungsvorschriften<br />

des Motorenherstellers zurück:<br />

„Statt bei der Revision eine Isolationsschicht<br />

drei Mal zu lackieren, hat man<br />

sich mit einem einmaligen Arbeitsgang<br />

begnügt.“ (21.1.2010).<br />

Die Umsetzung von OSB wurde in der<br />

Konzernzentrale gesteuert – siehe der<br />

Kasten auf dieser Seite. Die Kontrolle<br />

über die Geschäftsführung der S-<strong>Bahn</strong><br />

GmbH erfolgte in der DB Regio-Zentrale.<br />

DB Regio war (und ist) der 100-prozentige<br />

Eigentümer der<br />

S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> GmbH. Der Geschäftsführer<br />

der S-<strong>Bahn</strong> GmbH, Ulrich Thon, hatte<br />

nicht einmal einen Vertrag mit der S-<br />

<strong>Bahn</strong> GmbH; vielmehr hatte er einen<br />

Vertrag mit DB Regio. Der Chef von DB<br />

Regio wiederum war Ulrich Homburg.<br />

Zitat zum Thema:<br />

Der damalige Vorstandvorsitzende Hartmut<br />

Mehdorn und der Aufsichtsratsvorsitzende<br />

der S-<strong>Bahn</strong> wurden durch die<br />

damalige Geschäftsführung nachdrücklich<br />

gewarnt, die Ergebnisse der OSB-<br />

Arbeitsgruppe umzusetzen. Wir waren<br />

dazu nicht bereit, weil wir besorgt waren,<br />

dass die vorgesehenen Maßnahmen<br />

die S-<strong>Bahn</strong> ruinieren würden. (…) Der<br />

heutige Zustand der S-<strong>Bahn</strong> war vorauszusehen.<br />

Es ist empörend, dieses Debakel<br />

jetzt bei uns Altgeschäftsführern abzuladen.<br />

Immerhin ist die heute völlig vermurkste<br />

Technik der 481 über 10 Jahre<br />

lang völlig störungsfrei mit einem außerordentlich<br />

hohen Verfügungsgrad (…)<br />

von weit über 90 % gefahren. Sie war<br />

gepflegt, pünktlich und von unseren<br />

Kunden hochgelobt. (…) Zur Zukunft der<br />

S-<strong>Bahn</strong> warnen meine Kollegen und ich<br />

dringend davor, eine Teilausschreibung<br />

vorzunehmen. Das würde eine Fortsetzung<br />

des Debakels ganz anderer Art sein,<br />

weil das S-<strong>Bahn</strong>-System eine in sich geschlossene,<br />

hoch komplexe, ganzheitliche<br />

Technologie ist.<br />

Ernst-Otto Constantin, ehemaliger Arbeitsdirektor<br />

und bis 2002 mitverantwortlicher<br />

Geschäftsführer der S-<strong>Bahn</strong> GmbH, in einem<br />

Offenen Brief an die damalige Verkehrssenatorin<br />

Frau Junge-Reyer vom 10.1.2011.<br />

Lunapark21·extra 6/2012

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