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S-Bahn-Krimi Berlin - S-Bahn-Tisch

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führer aus seinem Führerstand und auf<br />

den <strong>Bahn</strong>steig tritt. Kameras über den<br />

<strong>Bahn</strong>steigkanten nehmen haltende S-<br />

<strong>Bahn</strong>en ins Visier. Die Bilder werden in<br />

den Führerstand per Funk übertragen,<br />

wo sie auf einem Bildschirm vor dem<br />

Fahrer erscheinen. Entsprechend sollen<br />

die Fahrer im Führerstand die Lage überblicken<br />

und entscheiden können, wann<br />

die Türen frei sind und sie weiterfahren<br />

können. Soweit die Theorie. In der Praxis<br />

dürfte es tausendundeine Möglichkeit<br />

geben, dass das dann auch mal nicht<br />

funktioniert – womit in vielen Fällen die<br />

Weiterfahrt schlicht blockiert werden<br />

wird.<br />

Es handelt sich hier in doppelten Hinsicht<br />

um einen radikalen Schritt: Erstens<br />

wird eine Selbstverständlichkeit, die 100<br />

Jahre lang galt, aufgegeben, wonach es<br />

auf einem S-<strong>Bahn</strong>hof auch Personal gibt.<br />

Wobei dieses Personal nicht allein rein<br />

technisch bedingt ist, sondern ganz allgemein<br />

Ansprechpartner für Fahrgäste<br />

und Teil der allgemeinen Sicherheit ist.<br />

Zweitens wird damit ein drastischer Abbau<br />

von Service vollzogen, dessen Folgen<br />

man kurzfristig nicht sehen, sondern<br />

bestenfalls erahnen kann. Ganze Gruppen<br />

von Fahrgästen werden mit dieser<br />

Maßnahme in ihrer Mobilität drastisch<br />

eingeschränkt. Das gilt z. B. für Menschen<br />

mit Gehbehinderung. Drittens<br />

wird erneut die Zahl der S-<strong>Bahn</strong>beschäftigten<br />

reduziert und der Stress bei den<br />

Nochbeschäftigten, so beim Fahrpersonal,<br />

deutlich erhöht.<br />

Doch die S-<strong>Bahn</strong> und damit auch die<br />

Konzernzentrale der DB wollen 2012<br />

diesen Personal- und Serviceabbau ohne<br />

Abstriche durchziehen. Proteste werden<br />

nicht ernstgenommen. So äußerte Klaus<br />

Eisenreich, der Landesgeschäftsführer<br />

der Gewerkschaft der Polizei: „Das lässt<br />

die Sicherheitslage im ÖPNV nicht zu.<br />

Damit wälzt die S-<strong>Bahn</strong> ein Problem, das<br />

sie eigentlich lösen muss, auf die Polizei<br />

ab.“ (<strong>Berlin</strong>er Zeitung 14.9.2011). Gelegentlich<br />

auftretende Polizei anstelle von<br />

regelmäßig eingesetztem Personal auf<br />

den <strong>Bahn</strong>höfen verschlechtern das<br />

Image des ÖPNV deutlich.<br />

Ausschreibung heißt<br />

Zerschlagung<br />

Am 13. April 2012 berichtete die <strong>Berlin</strong>er<br />

Morgenpost: „Entscheidung: Senat sucht<br />

Lunapark21·extra 6/2012<br />

neuen Betreiber für die S-<strong>Bahn</strong> (…) Der<br />

Senat wird den Betrieb der Ringbahn<br />

und der südöstlichen Linien für 15 Jahre<br />

ab 2017 in einem Wettbewerbsverfahren<br />

ausschreiben. Jedoch soll das Abgeordnetenhaus<br />

letztlich darüber entscheiden<br />

dürfen, ob der ausgewählte Bieter zum<br />

Zuge kommt.“ Die Entscheidung, die bei<br />

Redaktionsschluss dieser Publikation<br />

noch nicht alle Hürden in Senat und<br />

Abgeordnetenhaus genommen hat,<br />

stellt, wenn es bei ihr bleibt, in dreierlei<br />

Hinsicht einen tiefen Einschnitt in der<br />

Geschichte der <strong>Berlin</strong>er S-<strong>Bahn</strong> dar. Erstens<br />

hinsichtlich des Umfangs: Damit<br />

wird ein großer Teil des S-<strong>Bahn</strong>betriebs<br />

auf den Weg der Privatisierung gebracht.<br />

Allein die Ringstrecke hat eine Länge<br />

von 37 km; auf ihr werden, wenn es<br />

denn einmal wieder Vollbetrieb geben<br />

sollte, pro Werktag 400000 Fahrgäste<br />

befördert. Insgesamt entsprechen die zur<br />

„Teilausschreibung“ vorgesehenen Strecken<br />

einem Drittel des gesamten S-<br />

<strong>Bahn</strong>-Betriebs. Zweitens wird damit den<br />

Tendenzen der neoliberalen Verkehrspolitik<br />

zur Privatisierung des öffentlichen<br />

Verkehrs Vorschub geleistet. Wenn eine<br />

solche Ausschreibung einmal erfolgt ist,<br />

hat die EU und haben Gerichte weit bessere<br />

Möglichkeiten als bisher, die Privatisierung<br />

der gesamten S-<strong>Bahn</strong> und weiterer<br />

Teile des Öffentlichen Verkehrs in<br />

<strong>Berlin</strong> und durchaus auch anderswo – so<br />

beispielsweise bei der S-<strong>Bahn</strong> Hamburg<br />

– einzufordern. Der immer wieder als<br />

Beschwichtigung zitierte „Parlamentsvorbehalt“<br />

ist eine außerordentlich brüchige<br />

Brücke. Es kann durchaus sein,<br />

Die S-<strong>Bahn</strong>-Krise Frühjahr 2012<br />

dass ein privater Anbieter, der den Zuschlag<br />

erhielt und der dann doch noch<br />

durch eine Entscheidung des Abgeordnetenhauses<br />

kurzfristig ausgebremst wird,<br />

am Ende auf gerichtlichem Weg zum<br />

Zuge kommt und neuer S-<strong>Bahn</strong>-Betreiber<br />

wird. Auch ein privates Unternehmen,<br />

das bereits im Bieterverfahren<br />

scheiterte, kann danach auf juristischer<br />

Ebene dazwischen grätschen und beispielsweise<br />

hohe Schadenersatzforderungen<br />

stellen.<br />

Drittens schließlich läuft die Entscheidung<br />

des SPD-CDU-Senats auf eine Zerschlagung<br />

der Einheit von Infrastruktur<br />

und S-<strong>Bahn</strong>betrieb hinaus. Was rund<br />

hundert Jahre lang gut funktionierte und<br />

was für Eisenbahner ein Grundelement<br />

für einen sicheren und effizienten Betrieb<br />

ist, diese Einheit von Infrastruktur<br />

(von Trassen, <strong>Bahn</strong>höfen, Signaltechnik)<br />

und Betrieb (von Fahrten mit S-<strong>Bahn</strong>-<br />

Zügen auf diesem Netz) wird in Frage<br />

gestellt. Zu den fatalen Folgen, die dies<br />

hat, siehe den nebenstehenden Kasten.<br />

Gerade diese jüngste Entscheidung<br />

unterstreicht die Notwendigkeit, die<br />

Öffentlichkeit zum Erhalt der S-<strong>Bahn</strong> zu<br />

mobilisieren. In der <strong>Berlin</strong>er Morgenpost<br />

war zu lesen: „Eine Vergabe des S-<strong>Bahn</strong>-<br />

Betriebs an ein privates Unternehmen<br />

sei in der <strong>Berlin</strong>er SPD politisch nicht<br />

durchsetzbar, sagte ein führender Sozialdemokrat.<br />

Zumal eine Bürgerinitiative<br />

mit Unterstützung von Gewerkschaften<br />

ein Volksbegehren gegen eine Teilprivatisierung<br />

anstrebt, was die SPD zusätzlich<br />

unter Druck setzt.“ (13.4.2012).<br />

So ist es.<br />

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