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S-Bahn-Krimi Berlin - S-Bahn-Tisch

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Dennoch bleibt die S-<strong>Bahn</strong> ein Top-Thema<br />

für Hunderttausende Menschen in<br />

<strong>Berlin</strong> und Brandenburg. Dieses Verkehrsmittel<br />

befördert auch heute noch<br />

an jedem Werktag mehr als eine Million<br />

Menschen. Und wenn die S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong><br />

im Verlauf ihrer nun fast dreijährigen<br />

Krise keinen größeren Verlust an Fahrgästen<br />

zu verzeichnen hatte, so liegt das<br />

einerseits daran, dass die meisten S-<br />

<strong>Bahn</strong>-Nutzer auf dieses Verkehrsmittel<br />

angewiesen sind – und andererseits<br />

auch daran, dass die Menschen in und<br />

um <strong>Berlin</strong> von der S-<strong>Bahn</strong> überzeugt<br />

sind, diese vielfach lieben oder dabei<br />

sind, dann eine Hassliebe zu entwickeln,<br />

wenn die S-<strong>Bahn</strong>stationen Schöneberg<br />

zum Stöhneberg und der Botanische<br />

Garten zum Botanischen Warten werden.<br />

Kein anderes Verkehrsmittel prägte<br />

<strong>Berlin</strong> so stark wie die S-<strong>Bahn</strong> – und<br />

dies seit mehr als einem Dreivierteljahrundert.<br />

1 Dabei zählte die Straßenbahn<br />

vor dem Zweiten Weltkrieg und bis in<br />

die 1950er Jahre hinein mehr Fahrgäste<br />

als die S-<strong>Bahn</strong>. Sie erwies sich jedoch als<br />

krisenanfälliger als die S-<strong>Bahn</strong> und erlebte<br />

zwischen 1927 und 1933 einen<br />

Einbruch ihrer Fahrgastzahlen um mehr<br />

als 50 Prozent. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

wurde die Tram im Westteil der<br />

Stadt völlig „aus dem Verkehr gezogen“<br />

oder auch, um nochmals die Eisenbahn-<br />

Sprache zu bemühen, „zur Strecke gebracht“.<br />

Leider gelang es selbst nach der<br />

Wende nicht, die Straßenbahn im Westteil<br />

wieder zu einem Massenverkehrsmittel<br />

und zum Rückgrat des öffentli-<br />

Lunapark21·extra 6/2012<br />

chen Verkehrs zu machen. Die S-<strong>Bahn</strong><br />

jedoch erlebte ab Beginn der 1990er<br />

Jahre eine erstaunliche Renaissance. Die<br />

Fahrgastzahlen verdoppelten sich von<br />

jährlich rund 200 Millionen Anfang der<br />

1990er Jahre auf knapp 400 Millionen<br />

kurz vor Ausbruch der offenen S-<strong>Bahn</strong>-<br />

Krise 2009. Dabei muss man sich vor<br />

Augen halten, was in <strong>Berlin</strong> einmal an<br />

öffentlichem Verkehr veranstaltet wurde:<br />

1928 wurden in <strong>Berlin</strong>s öffentlichen<br />

Verkehrsmittel knapp zwei Milliarden<br />

Fahrgäste gezählt – fast doppelt so viel<br />

wie heute; die S-<strong>Bahn</strong> brachte es in diesem<br />

Jahr auf 470 Millionen und 1943<br />

auf 750 Millionen Fahrgäste – also auf<br />

erheblich mehr Fahrgäste, als vor der S-<br />

<strong>Bahn</strong>-Krise mit diesem Verkehrsmittel<br />

verkehrten.<br />

Die 2009 offen ausgebrochene S-<br />

<strong>Bahn</strong>-Krise wird oft zu Recht mit der Situation<br />

am Ende des Zweiten Weltkriegs<br />

verglichen. Selbst am 25. April 1945, als<br />

die Rote Armee im Begriff war, die<br />

faschistische Herrschaft endgültig zu<br />

beseitigen und die deutsche Hauptstadt<br />

zu erstürmen, waren von den damals<br />

vorhandenen 1118 sogenannten S-<strong>Bahn</strong>-<br />

Viertelzügen 267 einsatzfähig. Also ein<br />

Viertel. Torsten Hampel zog in der Zeit<br />

die Parallele zur gegenwärtigen S-<strong>Bahn</strong>-<br />

Krise: „Dass der Verkehr trotzdem am<br />

selben Tag, dem 25. April 1945, eingestellt<br />

wurde, lag nicht an den Kriegszerstörungen,<br />

sondern am Kohlemangel, es<br />

gab keinen Strom mehr. Im September<br />

2009 fuhren von 630 Viertelzügen noch<br />

163 – 25,87 Prozent. Ohne Beschuss und<br />

Rote Armee.“ 2<br />

S-<strong>Bahn</strong> Desaster<br />

I. <strong>Bahn</strong>privatisierung und S-<strong>Bahn</strong>-Desaster<br />

Ein ebenso logischer wie destruktiver Zusammenhang<br />

Winfried Wolf<br />

Im Januar 2011 nannten in einer repräsentativen Umfrage in <strong>Berlin</strong> 21<br />

Prozent „die S-<strong>Bahn</strong>“ als „das wichtigste Problem“ in der Hauptstadt –<br />

noch vor der Arbeitslosigkeit (18 %), der Bildungsmisere (15 %), der „wirtschaftlichen<br />

Lage“ (8 %) und „sozialer Ungerechtigkeit“ (7 %). In den vergangenen<br />

Monaten dürften sich die Gewichte wieder zugunsten der<br />

sozialen Themen verschoben haben und die S-<strong>Bahn</strong> mehr in den Hintergrund<br />

getreten sein. Dazu trug auch eine zeitweilige Entspannung bei<br />

der S-<strong>Bahn</strong> und ein wieder eher regelmäßiger Betrieb bei diesem Verkehrsmittels<br />

bei.<br />

Apropos Viertelzüge. Diese „Maßeinheit“<br />

der S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> wird uns in dieser<br />

Publikation noch öfters begegnen;<br />

sie wird in der <strong>Berlin</strong>er Presse und in den<br />

übrigen Medien, insbesondere in S-<br />

<strong>Bahn</strong>-Krisen-Zeiten wie diesen, gelegentlich<br />

wie selbstverständlich erwähnt,<br />

obgleich auch viele <strong>Berlin</strong>erinnen und<br />

<strong>Berlin</strong>er kaum korrekt definieren können,<br />

um was es sich hier genau handelt. Im<br />

S-<strong>Bahn</strong>-Klartext: Ein Viertelzug ist die<br />

kleinste S-<strong>Bahn</strong>-Zugeinheit; sie besteht<br />

aus einem Trieb- und einem Steuerwagen.<br />

Zwei Viertelzüge bilden einen Halbzug,<br />

drei Viertelzüge einen Dreiviertelzug<br />

und vier Viertelzüge einen Ganzzug.<br />

Doch grau ist jede Theorie. Die außerordentlich<br />

bunte Praxis der S-<strong>Bahn</strong>-Krise<br />

seit 2009 führte dazu, dass Hunderttausende<br />

S-<strong>Bahn</strong>-Fahrgäste in <strong>Berlin</strong> und<br />

Brandenburg zwei dieser kleinsten Zugeinheiten<br />

– zwei Viertelzüge oder einen<br />

„Halbzug“ – auf dem Höhepunkt der S-<br />

<strong>Bahn</strong>krise, also auf den Tiefpunkten der<br />

S-<strong>Bahn</strong>-Wagen-Verfügbarkeit wiederholt<br />

verkehren sahen – so im Juli 2009,<br />

im September und Dezember desselben<br />

Jahres und im Januar 2011.<br />

Wenn es Ende April 1945 ein Krieg<br />

war, der die Verfügbarkeit der S-<strong>Bahn</strong>-<br />

Viertelwagen auf ein Viertel des Gesamtbestand<br />

reduziert hatte, was war<br />

dann der Grund dafür, dass in der jüngsten<br />

– und in der in dieser Form ERSTEN!<br />

– S-<strong>Bahn</strong>-Krise 2009 und 2010 zeitweilig<br />

ähnlich wenige S-<strong>Bahn</strong>-Viertelzüge<br />

für den Einsatz im Verkehr zur Verfügung<br />

standen? Klar doch – ebenfalls ein<br />

Krieg: Der Krieg, den der Profit dem<br />

7

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