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S <strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong><br />
die schwarz-gelbe Bundesregierung betreibt?<br />
Am VBB sind die Länder <strong>Berlin</strong> und<br />
Brandenburg beteiligt; der VBB befürwortet<br />
Ausschreibungen des Regionalverkehrs<br />
(siehe Brandenburg). Bei der<br />
zu 100 Prozent landeseigenen BVG wird<br />
mit dem Segen des Senats Lohndumping<br />
und Ausgründung betrieben – die BVG-<br />
Tochter <strong>Berlin</strong> Transport wurde unter<br />
dem rot-roten Vorgängersenat gegründet.<br />
Seitdem verdienen Neueingestellte<br />
erheblich weniger als die Alt-Beschäftigten<br />
der BVG.<br />
Einen Automatismus, dass eine S-<br />
<strong>Bahn</strong> in kommunalem Betrieb im Interesse<br />
der <strong>Berlin</strong>er und <strong>Berlin</strong>erinnen<br />
geführt würde, gibt es nicht.<br />
Entscheidend ist daher nicht, ob die<br />
S-<strong>Bahn</strong> im Eigentum des Bundes oder<br />
der Länder ist, sondern dass sie erstens<br />
in öffentlichem Eigentum, zweitens<br />
nicht privatrechtlich geführt und drittens<br />
einer ganz anderen demokratischen<br />
Kontrolle und Leitung unterstellt wird.<br />
4. Demokratische Kontrolle<br />
und Verwaltung<br />
Staatliches Eigentum ist eine notwendige,<br />
aber keine hinreichende Bedingung<br />
dafür, dass Betriebe im Interesse der<br />
Mehrheit der Bevölkerung stehen. Im<br />
Kapitalismus gebärden sich staatliche<br />
Betriebe oft wie private Konzerne. Das<br />
beste Beispiel in der Finanzkrise sind die<br />
Landesbanken, die sich genauso wie Privatbanken<br />
verspekuliert haben, und der<br />
schwedische staatliche Energiekonzern<br />
Vattenfall, mit dessen Hilfe in <strong>Berlin</strong> die<br />
Privatisierung der Energieversorgung –<br />
einschließlich der deutlichen Verteuerung<br />
der Energiepreise – zustande kam.<br />
Verstaatlichungen werden heute im<br />
Kapitalismus meist vorgenommen, um<br />
Verluste zu sozialisieren und Gewinne zu<br />
privatisieren. Dieses Schauspiel kann<br />
man aktuell auch am Beispiel der Hypo<br />
Real Estate (HRE) beobachten.<br />
Wenn also staatliche Betriebe im Interesse<br />
von Belegschaften und der Allgemeinheit<br />
stehen sollen, müssen sie an-<br />
Anmerkungen:<br />
1 Vgl. Kleine Anfrage an den Deutschen Bundestag, in: Drucksache 16/12945 vom 7.5.2009<br />
2 Vgl. S-<strong>Bahn</strong> will ihre Aufsicht durch Monitore ersetzen, <strong>Berlin</strong>er Morgenpost, 14.9.2011,<br />
unter: http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article1763972/S-<strong>Bahn</strong>-will-ihre-Aufsichtdurch-Monitore-ersetzen.html<br />
3 Zitiert nach: Peter Neumann: In manchen Wochen 60 Arbeitsstunden – Ein Lokführer<br />
erzählt , warum es bei der <strong>Berlin</strong>er S-<strong>Bahn</strong> Personalmangel und so viele Krankmeldungen<br />
gibt in: <strong>Berlin</strong>er Zeitung, 1.2.2012, S. 16<br />
4 Die S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> GmbH gehört zu 100 Prozent der DB Regio, die wiederum eine Tochter<br />
der DB AG ist, welche zu 100 Prozent in Bundeseigentum ist. Die operative Geschäftsführung<br />
der S-<strong>Bahn</strong> lag bis 2010 bei der DB Stadtverkehr. Die DB Regio ist seit 2008 der<br />
Subholding DB Mobility Logistics (DB ML) unterstellt. Die DB ML ist von der Bundesregierung<br />
zur Teilprivatisierung (24,9%) vorgesehen – mit ihr die DB Regio und damit auch<br />
die S-<strong>Bahn</strong>en. Die Infrastruktur ist Teil der DB Netz AG und der DB Station & Service AG<br />
und der DB Energie GmbH und soll nicht privatisiert werden.<br />
5 Mit den Regionalisierungsmitteln des Bundes – die nach einem gesetzlich festgelegten<br />
Schlüssel an die Bundesländer verteilt werden – bezahlen die Länder den durch Ausschreibung<br />
bestellten Nahverkehr. Im Fall der Vergabe an private Eisenbahnverkehrsunternehmen<br />
(EVU) gehen die „Gewinne“ an den Eigner des jeweiligen Unternehmens. Auch der Personenfernverkehr<br />
und der Schienengüterverkehr werden zur Umverteilungsmaschine: Die<br />
Instandhaltung und Modernisierung von Schienen und <strong>Bahn</strong>höfen und der Neubau von<br />
Strecken erfolgt zu einem großen Teil durch öffentliche Zuschüsse. Dies führt zu höheren<br />
Einnahmen von Personen- und Güterverkehr.<br />
6 Am 8. Februar 2011 entschied der Bundesgerichtshof aufgrund einer Klage des privaten<br />
<strong>Bahn</strong>unternehmens Abellio in einem Fall in NRW, dass eine Direktvergabe von Verkehrsleistungen<br />
des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) an die DB AG unzulässig sei.<br />
7 Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn (1990-93) waren sogenannte Sondervermögen<br />
des Bundes. Das hatte vor allem den Nachteil, dass diese Unternehmen leicht Spielball<br />
der Politik wurden, zur Versorgung von ehemaligen Politikern und Bürokraten herhalten<br />
mussten usw. Die Unternehmensform der Anstalt des öffentlichen Rechts bietet<br />
grundsätzlich die Chance der größeren Selbständigkeit und einer Festlegung auf spezifische<br />
verkehrspolitische, soziale und ökologische Ziele.<br />
ders als bisher kontrolliert und geleitet<br />
werden.<br />
Der S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong> fordert ein dauerhaftes<br />
Aufsichtsgremium für die S-<strong>Bahn</strong>,<br />
in dem Vertreter der Eisenbahngewerkschaften,<br />
Vertreter der Fahrgastverbände<br />
und der Beschäftigten eine entscheidende<br />
Rolle spielen.<br />
Um die S-<strong>Bahn</strong> jedoch nicht nur zu<br />
kontrollieren, sondern diese auch an den<br />
Bedürfnissen der Fahrgäste und Beschäftigten<br />
auszurichten, wäre eine<br />
andere Leitung der S-<strong>Bahn</strong> nötig. Wie<br />
könnte eine solche aussehen? Man stelle<br />
sich als Vision vor, die S-<strong>Bahn</strong> würde<br />
paritätisch von Vertretern der Belegschaft,<br />
der Gewerkschaften, Umweltund<br />
Fahrgastverbänden und Vertretern<br />
der Regierung (Land und Bund) geleitet.<br />
Dies könnte möglicherweise dazu führen,<br />
dass die S-<strong>Bahn</strong> einen Beitrag zu<br />
kostengünstiger und perspektivisch kostenloser<br />
Mobilität und einer grünen<br />
Stadt für Alle leisten würde.<br />
Dass das nicht im Interesse der großen<br />
Konzerne wäre, versteht sich von<br />
selbst. Mit Hilfe von Tausenden Lobbyisten<br />
setzen sie täglich und stündlich ihre<br />
Interessen durch. Eine S-<strong>Bahn</strong> in unserem<br />
Interesse ist nicht im Einvernehmen,<br />
sondern nur gegen die Profitinteressen<br />
der Damen und Herren im DB-Tower und<br />
in den Konzernzentralen der Auto- und<br />
Luftfahrtindustrie und ihren Vertretern<br />
in der Bundesregierung durchsetzbar.<br />
Das Volksbegehren des S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong>s<br />
ist ein wichtiger Anfang, aktiv zu werden.<br />
Es soll und kann betrieblichen und<br />
gewerkschaftlichen Protest nicht ersetzen.<br />
Die Aktiven des S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong>s stehen<br />
für gemeinsamen Widerstand gegen<br />
die Zerschlagung der S-<strong>Bahn</strong>.<br />
In wessen Interesse öffentliche Betriebe<br />
arbeiten und wer sie leitet und<br />
kontrolliert, ist immer Ausdruck des gesellschaftlichen<br />
Kräfteverhältnisses. Eine<br />
andere S-<strong>Bahn</strong> wird es nur geben, wenn<br />
Beschäftigte und Fahrgäste ihre Geschicke<br />
selbst in die Hand nehmen und dafür<br />
streiten.<br />
Katrin Dornheim ist Betriebsrätin im DB<br />
Konzern und stellv. Vorsitzende des<br />
Ortsverbands <strong>Berlin</strong> der Gewerkschaft EVG.<br />
Lucy Redler ist Mitglied des<br />
Koordinierungskreises des S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong>s<br />
<strong>Berlin</strong>.<br />
Lunapark21·extra 6/2012