36 S <strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> EINE HORROR-DOKU DER EXTRA-KLAS S E S IE TAUCHTEN OFT NUR NOCH IN DEN S EHN- S ÜCHTIGEN FANTAS IEN IHRER NUTZER AUF ODER IN DEN AUFGEHÜB S CHTEN ZAHLEN IHRER TOTENGRÄBER. IHRE S UBSTANZ HATTE S ICH DURCH JAHRELANGE VERNACHLÄS SIGUNG VERSCHLIS SEN. VIELE VON DENEN, DIE S ICH VORHER JAHRZEHNTELANG UM S IE BEMÜHT HATTEN, WAREN IN FREIGES ETZTER UNTÄTIGKEIT DABEI, ZU VERHARTZEN. Lunapark21·extra 6/2012
<strong>Berlin</strong>er S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong>, Entstehung und Perspektive Rouzbeh Taheri Als an einem verregneten Tag im Sommer 2009 die ersten bekanntgewordenen Probleme bei der <strong>Berlin</strong>er S-<strong>Bahn</strong> die Titelseiten der Zeitungen beherrschten, witzelte ein Freund, man hätte nun nicht nur beim Wetter englische Verhältnisse, sondern auch bei der S-<strong>Bahn</strong>. Er bezog sich auf die katastrophale Situation der britischen Eisenbahn nach den dort erfolgten Privatisierungen. Wir ahnten nicht, wie richtig er lag. Die <strong>Berlin</strong>erinnen und <strong>Berlin</strong>er wollten es lange nicht wahrhaben, dass die Unfälle, Zugausfälle, Verspätungen und zeitweiligen Stilllegungen ganzer Linien von Dauer sein würden. Schließlich hatte die S-<strong>Bahn</strong> jahrzehntelang problemlos funktioniert. Der Krieg behinderte ihre Fahrt nur für erstaunlich kurze Zeit. Die Mauer konnte ihr nur teilweise Einhalt gebieten. Und nach der Vereinigung der beiden Stadthälften schien eine neue Blütezeit für die S-<strong>Bahn</strong> anzubrechen. Dies endete jedoch abrupt in jenem Sommer des Jahres 2009. Zunächst ging man von Problemen aus, die bald behoben sein würden. Nachdem aber im darauffolgenden Winter 2009/2010 alles schlimmer wurde, als dann der nächste Sommer keine Besserung brachte und als es schließlich zu einem neuen Chaos-Winter 2011/2012 kam, war die Geduld der Hauptstädter endgültig zu Ende. Gefühlte 100 Erklärungen der S-<strong>Bahn</strong> Manager, dass bald, ja ganz bald, alles wieder gut werde, und gefühlte 100 weitere Erklärungen der Politik, dass man schon alles im Griff habe, trugen dazu bei, dass kein Fahrgast in <strong>Berlin</strong> diesen Damen und Herren auch nur noch ein Wort glaubte. In der Zwischenzeit war bekannt geworden, welche haarsträubenden „Sparmaßnahmen“ bei Infrastruktur und Personal zu den chaotischen Verhältnissen geführt hatten. Dies alles erfolgte im Interesse der Gewinnmaximierung in einem Betrieb, der eigentlich der öffentlichen Daseinsvorsorge dienen sollte. In dieser Situation, im März 2011, gründete sich der <strong>Berlin</strong>er S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong>. Ausgangspunkt war eine Veranstaltung am 8. März im Haus der Demokratie, bei Lunapark21·extra 6/2012 der Gewerkschaftsmitglieder, Aktive aus Attac, dem Bündnis <strong>Bahn</strong> für Alle, des <strong>Berlin</strong>er Antikrisenbündnisses und andere über die Möglichkeiten eines wirkungsvollen Widerstandes angesichts des S-<strong>Bahn</strong>-Chaos´ diskutierten. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch bekannt, dass Teile des damaligen, von SPD und Linken gestellten <strong>Berlin</strong>er Senats über eine Teilprivatisierung der S-<strong>Bahn</strong> nachdachten. Die Probleme, die dadurch entstanden sind, dass die S-<strong>Bahn</strong> sich wie ein privates Unternehmen benimmt und alles unternimmt, um die Gewinne zu steigern, sollten demnach dadurch beseitigt werden, dass man einen Teil des S- <strong>Bahn</strong>-Netzes einem anderen Unternehmen übergibt, das genauso renditegierig ist. Solche grandiosen Ideen können nur Politiker haben, die sowieso auf jede Gelegenheit warten, um öffentliches Eigentum zu verscherbeln. Strom, Gas, über 100000 Wohnungen und nicht zuletzt die Wasserbetriebe wurden in den letzten Jahren in <strong>Berlin</strong> privatisiert. Gerade die Geschichte der Privatisierung der <strong>Berlin</strong>er Wasserbetriebe, ein Gaunerstück sondergleichen, war und ist beispielhaft – eine Erläuterung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen – Interessierte können auf den Seiten des <strong>Berlin</strong>er Wassertisches alles Wissenswerte diesbezüglich nachlesen (siehe: www.berliner-wassertisch.net). Der Widerstand gegen die Folgen dieser Privatisierung und der im Februar 2011 erfolgreich durchgeführte Volksentscheid, organisiert vom <strong>Berlin</strong>er Wassertisch, standen auch Pate bei der neuen S-<strong>Bahn</strong>-Initiative. Der Wassertisch war auch Inspiration bei der Namensgebung der neu gegründeten S-<strong>Bahn</strong>-Initiative, wie der gewählte Name S-<strong>Bahn</strong>- <strong>Tisch</strong> verdeutlicht. Wir waren uns einig, dass wir nicht länger tatenlos zusehen wollen, wie unsere S-<strong>Bahn</strong> kaputtgespart und ihrer Privatisierung Tür und Tor geöffnet wird. Es gab zwar bereits zu diesem Zeitpunkt einige Gruppen, sowohl bei den Beschäftigten und den Gewerkschaften, als auch aus anderen Bereichen, die sich mit dem Thema beschäftigten. Doch diese waren Der <strong>Berlin</strong>er S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong> bis dahin nicht miteinander vernetzt. Gerade dieser Aspekt der Vernetzung und der Zusammenarbeit zwischen den Beschäftigten, politischen Gruppen und engagierten Fahrgästen ist ein Schwerpunkt und auch ein Erkennungsmerkmal des S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong>es. In der Initiative arbeiten die Gewerkschaft EVG und Betriebsräte der S-<strong>Bahn</strong> zusammen mit dem Fahrgastverband PRO BAHN <strong>Berlin</strong>- Brandenburg, dem Bündnis „<strong>Bahn</strong> für Alle“, Attac, der Volkssolidarität und diversen anderen politischen Gruppen, Bürgervereinen und Einzelpersonen. Auch politische Parteien – die LINKE, DKP und die Piraten – sind vertreten. Wir wollen und werden uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, da sowohl die Fahrgäste, als auch die S- <strong>Bahn</strong>-Mitarbeiter ein Interesse an einer funktionierenden, sicheren und zukunftsfähigen S-<strong>Bahn</strong> haben. Warum ein Volksbegehren? Um sich einzumischen und den Widerstand zu organisieren, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: Veranstaltungen, Flugblattaktionen, Demonstrationen, Streiks etc. Es sind alles Instrumente, die je nach Situation und Kräfteverhältnis im Rahmen einer politischen Kampagne eingesetzt werden können. Ein Volksbegehren ist ein zusätzliches Instrument. Es soll und kann andere Formen des Widerstands nicht ersetzen, sondern soll zu weitergehenden Protesten ermutigen. Vor dem Hintergrund des erfolgreichen Wasser-Volksbegehrens und der Tatsache, dass das Thema S-<strong>Bahn</strong> in <strong>Berlin</strong> seit nunmehr drei Jahren ein Dauerbrenner ist, beschlossen wir die Einleitung eines Volksbegehrens. Die juristischen Beschränkungen, die durch Landes-, Bundes- und Europarecht dem Inhalt eines Volksbegehrens auferlegt werden, versuchen wir durch die politische Begleitkampagne zu kompensieren. Ein Beispiel: Wir können aus juristischen Gründen ein Privatisierungsverbot, unser wichtigstes Anliegen, nicht im Gesetzesentwurf festschreiben. Wir haben aber Bedingungen in diesem Ent- 37