WENN DIESE HERREN SICH AN ÖFFENTLICHEM EIGENTUM VERGREIFEN, WIRD ES TEUER: CHAOS MIT METHODE. Ein Film des Unternehmens Börsengang Ulrich Rüdiger in den ausbadenden Rollen: Homburg Grube <strong>Bahn</strong>angestellte / Sie und Ich
„Warum sollte der Reisende sich nicht fühlen, als wenn er mit dem Sofa unterwegs ist?“ Ein Gespräch zur S-<strong>Bahn</strong>-Krise Das hier wiedergegebene Gespräch zur S-<strong>Bahn</strong>-Krise wurde mit Andreas Ballentin (AB; Fahrdienstleiter bei der S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> und Betriebsrat), Jörg Kronberg (JK; Gewerkschaftssekretär bei der EVG) und Jörg Podzuweit (JP; ehrenamtlich bei der EVG tätig und ehemaliger Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bezirk Nordost) geführt. Die Gesprächsleitung für Lunapark21 und den S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong> hatte Bernhard Knierim (BK). Fotos von Klaus Ihlau (S-<strong>Bahn</strong>-<strong>Tisch</strong>). Bernhard Knierim (BK): Was hat aus Eurer Sicht zu der Krise bei der S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> geführt? Jörg Podzuweit (JP): <strong>Bahn</strong> und Politik sind an der S-<strong>Bahn</strong>-Krise schuld. Das hat schon angefangen, als man in den 1990ern begonnen hat, neue Fahrzeuge für die S-<strong>Bahn</strong> zu beschaffen. Damals gab es beim Senat die Entscheidung, den Preis für diese Fahrzeuge zu drücken. Das ging damit weiter, dass diese Fahrzeuge ursprünglich für Klimaanlagen konstruiert waren, dann aber ohne fuhren. Gleichzeitig konnte man aber auch die Fenster nicht öffnen. Das ist nur einer der eklatanten Mängel, der aber für die Fahrgäste sofort spürbar war. Zum Teil haben sich auch die Anforderungen an die Fahrzeuge geändert. Es sind neue Vorschriften dazugekommen, und die Fahrzeuge mussten dann nachgerüstet werden, waren aber dafür nicht ausgelegt. Ein anderes Thema sind die Fahrstände und die Elektronik: Ursprünglich waren die Züge darauf ausgelegt, dass der Fahrstand klimatisiert ist und der Lokführer dort bleibt und von dort aus alles macht. Inzwischen muss er wegen der „Zugabfertigung durch den Triebwagenführer“ (ZAT) alle zwei Minuten aus dem Führerstand treten. Das bedeutet, dass die Klimaanlage Probleme bekommt, denn für solche Anforderungen ist keine Klimaanlage ausgelegt. In der Folge gibt es dann Schwierigkeiten mit der Elektronik. Sodann hat die Politik die Anforderungen geändert und das Eisenbahnbundesamt hat seine Anforderungen geändert. Dazu kamen dann die Personalkürzungen und all die Sparmaßnahmen. Dadurch kann jetzt keine vorausschauende Wartung mehr durchge- Lunapark21·extra 6/2012 führt werden: es gibt also keinen rechtzeitigen Austausch von Teilen, die absehbar demnächst kaputt gehen werden. Jörg Kronberg (JK): Das ist natürlich auch auf das Wegsparen von Personal zurückzuführen. Alles, was irgendwie – und wenn es noch so schräg war – zu begründen ging, wurde abgebaut, bis fast nichts mehr an Kapazitäten und Wissen da war. BK: Das bedeutet also, dass sowohl diejenigen Recht haben, die die Probleme auf die Politik schieben, als auch die, die das Management der S-<strong>Bahn</strong> in der Verantwortung sehen? Andreas Ballentin (AB): Die Presse hat sich damals dann auf die Geschäftsführer gestürzt. Sicher hat die Geschäftsführung vieles noch zusätzlich verschlimmert, aber jeder andere Manager, den die <strong>Bahn</strong> in die Position geschickt hätte, hätte genau das Gleiche getan. Das wurde in den Medien völlig ausgeblendet. JP: Die <strong>Bahn</strong> hat damals auch als Schadensbeseitiger den eingesetzt, der eigentlich mit die größte Verantwortung dafür getragen hat, dass dieser Schaden erst zustande gekommen ist, nämlich Herrn Homburg. 1 BK: Welchen Zusammenhang seht Ihr mit den gescheiterten Plänen eines <strong>Bahn</strong>-Börsengangs? JK: Man darf nicht die Verantwortung der Politik außer Acht lassen. Über Hartmut Mehdorn kann man denken, was man will, mir fällt dazu nicht viel Gutes ein. Aber den Auftrag des Eigentümers, die <strong>Bahn</strong> auf den Kurs an die Börse zu bringen, den hat er erfüllt. Dann stellt Gespräch man sich hin und sagt: Also, so hatten wir uns das aber nicht vorgestellt. Von den Börsenplänen will jetzt keiner mehr etwas wissen. Ebenso verhält es sich bei dem Thema <strong>Bahn</strong>hofsaufsichten: Der Senat hat die Vorgabe gemacht, in diesem Bereich 20 Millionen Euro einzusparen – wer braucht denn überhaupt Aufsichten? Jetzt regen sie sich auf, dass die Aufsichten fehlen, und die das tun sind zum Teil dieselben Leute. AB: Damals hat der Vorstand nie davon gesprochen, dass es um den Börsengang ging, sondern es wurde immer alles auf die drohenden Ausschreibungen geschoben. Sie haben gesagt, sie müssten die S-<strong>Bahn</strong> rationalisieren und „marktfit“ machen, damit sie „im Wettbewerb bestehen“ könne. Der Herr Thon 2 behauptet ja heute noch, er habe die S-<strong>Bahn</strong> als ein marodes Unternehmen wieder salonfähig gemacht. Aus seiner Sicht hat er ja auch alles richtig gemacht. Er hat den Auftrag von Mehdorn gehabt, das zu machen, was er gemacht hat. JK: Wenn der Börsengang 2008 tatsächlich geklappt hätte, dann hätten sich die Käufer vermutlich sehr schnell gewundert: „Was hab‘ ich da denn für Aktien gekauft? Das funktioniert ja alles gar nicht mehr!“ BK: Warum ist es bei anderen S-<strong>Bahn</strong>en – z. B. in Hamburg oder München – nicht zu einer ähnlichen Krise wie in <strong>Berlin</strong> gekommen? JP: Vergleichen lassen sich allenfalls Hamburg und <strong>Berlin</strong>, da dies die einzigen S-<strong>Bahn</strong>en mit einem ganz eigenen System sind. Aus meiner Sicht hat das zwei Ursachen: Die Hamburger Politik hat anders agiert, sie hat auch vor zwei Jah- 27