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wissen sehr gut, was zu tun ist. Man<br />
muss ihnen nur die Zeit geben, dass sie<br />
es auch tun. Und die Politik muss endlich<br />
langfristige Entscheidungen treffen, wie<br />
das System durchfinanziert ist. Fahrzeuge<br />
werden für 30 Jahre gekauft, da nutzt<br />
eine Finanzzusage für zwei Jahre überhaupt<br />
nichts. Es muss auch klar sein:<br />
Was erwartet die Politik von der <strong>Bahn</strong>?<br />
Wollen wir mehr Leute in den Zügen,<br />
was brauchen wir dafür? Aber im Moment<br />
ist das alles nur Stückwerk.<br />
AB: Ich kann das nur bestätigen. Wir<br />
brauchen Planungssicherheit. Die Probleme<br />
sind alle noch nicht bewältigt und<br />
müssen stückweise abgearbeitet werden.<br />
Die Ausschreibung bringt jetzt noch<br />
mehr Unruhe hinein. Diesen Fehler muss<br />
die Politik erkennen und die Idee dieser<br />
Ausschreibung aufgeben. Stattdessen<br />
muss es eine Direktvergabe geben, und<br />
dann muss man darüber nachdenken,<br />
wie neue Züge angeschafft werden können.<br />
Und für meine Kolleginnen und Kollegen<br />
wünsche ich mir einmal, dass sie<br />
Weihnachten verbringen können ohne<br />
Angst haben zu müssen, dass sie ihren<br />
Arbeitsplatz verlieren.<br />
BK: Die EU schreibt Ausschreibungen<br />
des Betriebs von <strong>Bahn</strong>en vor, wenn<br />
dieser nicht an ein kommunales Unternehmen<br />
übergeben werden kann. Die<br />
S-<strong>Bahn</strong> ist anders als die BVG kein<br />
kommunales Unternehmen. Wie können<br />
wir dennoch Ausschreibungen<br />
umgehen?<br />
JP: Die Stadt muss die S-<strong>Bahn</strong> kaufen.<br />
Anders geht’s nicht.<br />
BK: Wenn aber die Stadt die S-<strong>Bahn</strong><br />
kaufen würde, dann würde das bedeuten,<br />
dass Andreas als Fahrdienstleiter<br />
bei der DB Netz arbeiten würde, der<br />
Betrieb ist aber bei der S-<strong>Bahn</strong>. Das<br />
Netz kann man auch nicht einfach so<br />
mitverkaufen, weil das mit dem normalen<br />
<strong>Bahn</strong>netz eng verzahnt ist.<br />
Irgendwo schafft man also eine Trennung<br />
– da gibt es doch irgendwo Reibungsverluste?<br />
JK: Zumindest muss man die Frage stellen:<br />
Welchen Anteil der S-<strong>Bahn</strong> müsste<br />
die Stadt kaufen? Ein gewisser Anteil<br />
würde schon genügen, damit das Land<br />
die S-<strong>Bahn</strong> beherrscht, und dann würde<br />
sie als kommunales Unternehmen gelten,<br />
und man müsste nicht ausschreiben.<br />
Lunapark21·extra 6/2012<br />
JP: Die Stadt <strong>Berlin</strong> müsste dann bei der<br />
S-<strong>Bahn</strong> genauso eine Stellung haben, als<br />
wäre es eine eigene Dienststelle. Das<br />
heißt, der Senat muss sicherstellen, dass<br />
er über das Personal bestimmt, dass er<br />
über die Finanzen bestimmt, usw. Rein<br />
nach EU-Recht gäbe es noch einen<br />
anderen Weg. Warum geht das in Hamburg<br />
und in <strong>Berlin</strong> nicht?<br />
JK: Das würde aber heißen, dass die<br />
Herren Politiker Mitverantwortung übernehmen<br />
müssten. Wenn die Stadt Miteigentümer<br />
an der S-<strong>Bahn</strong> ist, dann kann<br />
man nicht mehr einfach mit dem Finger<br />
auf andere zeigen.<br />
BK: Wie schätzt Ihr die Erfolgsaussichten<br />
des Volksbegehrens des S-<strong>Bahn</strong>-<br />
<strong>Tisch</strong>s ein und kann das zur Lösung der<br />
Probleme beitragen?<br />
AB: Das wird schwierig, in der zweiten<br />
Runde die erforderlichen 172000 Unterschriften<br />
zu sammeln. Ansonsten ist<br />
die Aktion gut, weil es eine realistische<br />
Sache ist, noch irgendwie Einfluss nehmen<br />
zu können, da wir ja damit rechnen<br />
müssen, dass eine Ausschreibung<br />
kommt. Ich hoffe, dass wir das irgendwie<br />
hinkriegen, aber da sind wir natürlich<br />
auch auf viel Unterstützung angewiesen.<br />
JK: Ich denke, wir haben schon etwas<br />
erreicht, selbst wenn wir die 172000<br />
Unterschriften nicht zusammenkriegen.<br />
Die Politik hat immerhin schon mal mitgekriegt:<br />
Der Souverän steht an der Tür<br />
Gespräch<br />
und will etwas. Keiner hat uns geglaubt,<br />
dass wir in der ersten Runde die 20000<br />
Unterschriften zusammenbringen. Ich<br />
glaube auch, das wird kein Spaziergang,<br />
aber ich behaupte, das bekommen wir<br />
hin. Wir waren auch erstaunt, was da in<br />
den letzten Tagen jetzt noch alles per<br />
Post zurückkam: Alles von einer bis 50<br />
Listen, zum Teil noch mit ganz lieben<br />
Briefen dazu.<br />
Auch für die EVG war das neu, dass<br />
wir mit anderen Organisationen zusammengearbeitet<br />
haben, die wir nicht hundertprozentig<br />
kannten. Dadurch haben<br />
wir auch neue Erfahrungen gemacht.<br />
Der Senat hat im Moment ein echtes<br />
Problem mit unserem Volksbegehren. So<br />
wie wir nicht wissen, ob wir es schaffen,<br />
weiß es der Senat auch nicht. Der Senat<br />
will ausschreiben, aber wir haben in das<br />
Gesetz ja auch reingeschrieben, dass es<br />
auch für bestehende Verkehrsverträge<br />
anzuwenden ist. Da wäre es schon ein<br />
ganz schönes Risiko, ohne unsere Wünsche<br />
auszuschreiben. Wenn sie unsere<br />
Forderungen gleich übernehmen, dann<br />
haben wir schon gewonnen, bevor wir<br />
angefangen haben.<br />
JP: Im Moment sehe ich so die einzige<br />
Chance, hier noch etwas Ordentliches<br />
hinzubekommen. Und wenn man das<br />
sieht, dann kommt auch die Energie.<br />
Dann bekommt man sicher die Unterschriften<br />
auch zusammen.<br />
Anmerkungen:<br />
1 Ulrich Homburg wurde Anfang 2000 Chef des Vorstandsressorts Marketing bei DB Regio,<br />
der Tochter der DB AG Holding. Von 2003 bis Mitte 2009 war Homburg<br />
Vorstandsvorsitzender von DB Regio. Er war damit auf dem Höhepunkt der S-<strong>Bahn</strong>-Krise<br />
maßgeblich verantwortlich für die S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> GmbH, eine Tochter von DB Regio. Seit<br />
dem 1. Juni 2009 ist Homburg Vorstand für Personenverkehr bei der DB Mobility Logistics<br />
AG (DB ML).<br />
2 Ulrich Thon war im Zeitraum 2005 bis Mitte 2009 Technikchef der <strong>Berlin</strong>er S-<strong>Bahn</strong>. Er war<br />
verantwortlich für das „Projekt X Optimierung S-<strong>Bahn</strong>en (OSB)“. Er wurde danach für kurze<br />
Zeit bei DB Regio mit einem gut dotierten Job „zwischengeparkt“ und schied im Frühjahr<br />
2010 aus dem DB-Konzern „im gegenseitigen Einvernehmen“ aus.<br />
3 Heinz Dürr war ab 1991 Erster Präsident der Deutschen Bundesbahn und Generaldirektor<br />
der Deutschen Reichsbahn. Ab Gründung der Deutschen <strong>Bahn</strong> AG Anfang 1994 und bis<br />
1997 war Dürr Vorstandsvorsitzender dieser neuen <strong>Bahn</strong>gesellschaft, unter deren Dach<br />
Bundesbahn und Reichbahn vereint wurden. Dürr drängte auf die Zusammenfassung der<br />
deutschen Staatsbahnen als Aktiengesellschaft und sah darin einen ersten Schritt zur<br />
Privatisierung. Im „Hauptberuf“ ist Dürr Chef und mehrheitlicher Eigentümer der Dürr AG.<br />
Dieser Autozulieferer rühmt sich, ein Drittel des Weltmarkts an Autolackierautomaten zu<br />
kontrollieren. Dürr ist auch Großaktionär der Daimler AG.<br />
4 Günter Ruppert, ehemaliger Geschäftsführer der S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong>.<br />
5 Damalige Eisenbahnergewerkschaft, ist zum 30. November 2010 mit der GDBA zur EVG<br />
(Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) fusioniert worden.<br />
6 Hans-Werner Franz, Geschäftsführer Verkehrsverbund <strong>Berlin</strong>-Brandenburg GmbH (VBB).<br />
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