46 S <strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> chen bei der S-<strong>Bahn</strong> verfallen zunehmend in eine Schockstarre. Nach einem leichten Anheben der Personalstärke auf etwas mehr als 3000 Beschäftigte, die es seit dem Höhepunkt der S-<strong>Bahn</strong>-Krise 2009 gab, wird inzwischen das vorhandene Personal erneut überbeansprucht und ein neuer Abbau von Personal – insbesondere auf den <strong>Bahn</strong>höfen – durchgeführt bzw. geplant. Offensichtlich scheut man die Investition in zusätzliches Personal im Hinblick auf etwaige Marktverluste im Falle einer Teilprivatisierung und glaubt, dies unternehmerisch nicht vertreten zu können. Von nachhaltiger Personalpolitik kann unter diesen Vorzeichen keine Rede sein. Verantwortung für nachhaltige Instandhaltung in operativer Hand – Kapazitäten erhöhen Wie im Personalbereich muss in rollendes Material (Wagen und Züge) und Wartung und Instandhaltung investiert werden. Stichprobenartige Wartung, die zur Aussetzung von ganzen Wagenparks durch das Eisenbahnbundesamt (EBA) führte, muss der Vergangenheit angehören. Die aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht eingeführten, verlängerten Wartungsintervalle müssen der Beanspruchung der Bauteile angepasst werden. Das Bauteil, das zwischen den Instandhaltungsintervallen die kürzeste Standzeit aufweist, ist ausschlaggebend für das Instandhaltungsintervall. Bei Wartung und Instandhaltung muss ein Umdenken im Prozess selbst erfolgen. Die jetzt vorherrschende zentralisierte kleinteilige Sichtweise muss einer vorausschauenden und nachhaltigen Grundhaltung Platz machen. Dazu ist es zwingend erforderlich, Verantwortung in die Instandhaltungsbereiche vor Ort zurückzugeben; Voraussetzung dafür: Vertrauen der Unternehmensführung in die Belegschaft. Ein Beispiel: Wenn ein Werkstattmeister einen Wagen mit dem Instandhaltungsauftrag in die Werkstatt bekommt, um eine Scheibe zu reparieren und dabei sieht, dass in fünf Tagen das Wartungsintervall der Klimaanlage abläuft, so muss er autonom die Entscheidung treffen können, diese Arbeit gleichzeitig, auch ohne Arbeitsauftrag, durchführen zu lassen. Derzeit scheitert dies an der Bürokratie: Arbeiten dürfen nur mit Arbeitsauftrag durchgeführt werden. Durch veränderte Intervalle und nachhaltige Instandhaltung erhöht sich jedoch der Bedarf an Werkstattkapazitäten und Werkstattpersonal. Infolgedessen müssen damit einhergehend auch die Kapazitäten der Werkstätten gesteigert werden. Man benötigt alle verfügbaren Werkstätten, einschließlich derer, die in den Jahren ab 2005 geschlossen wurden (Erkner, Papestraße, Grunewald, Friedrichsfelde). Und in diesen Werkstätten muss es, wie oben beschrieben, gut ausgebildetes Personal geben. Auf dem Höhepunkt des Chaos wurde die Werkstatt in Friedrichsfelde wieder eröffnet. Derzeit läuft aufgrund von geplanten Baumaßnahmen eine zeitweise Reaktivierung der Werkstatt in Erkner an. Diese muss jedoch nachhaltig und unbefristet reaktiviert werden und nicht nur für den Zeitraum X einer Baumaßnahme. Die Reaktivierung der dann noch geschlossenen Werkstätten Grunewald und Papestraße benötigt man auch deshalb, weil nur durch das einstmals vorhandene flächendeckende Werkstattangebot auch der zeitliche und logistische Aufwand für die Überführungen der S- <strong>Bahn</strong>-Wagen und Züge in die vereinzelten Werkstätten reduziert werden kann. Personalaufbau und Werkstätten-Reaktivierung sind die großen vorherrschenden Themen. Bei einer genaueren Betrachtung entstehen weitere Forderungen. Ein Beispiel: Es wurden zur Instandhaltung und Lagerhaltung Softwaresysteme eingeführt, die den Beschäftigten nur unzureichend vermittelt wurden. Darüber hinaus weisen die neuen Systeme eine veränderte und reduzierte Funktionalität auf. Es muss ein Zustand hergestellt werden, bei dem nicht nur Betriebswirtschaftler, sondern das gesamte damit befasste Werkstattpersonal mit den Softwaresystemen umgehen kann. Der fehlerhafte Einsatz von Software-Systemen ist ebenso auf den Privatisierungskurs der DB AG zurückzuführen wie das „von der Stange gekaufte“ Wagenmaterial. Auch hier fehlen bei der S-<strong>Bahn</strong> <strong>Berlin</strong> GmbH operative Fachkräfte, die sich mit Instandhaltung, Technik und dem System Eisenbahn auskennen. Im Grunde müssten diese, wie dies früher in der Regel der Fall war, bereits bei der Entwicklung Einfluss nehmen. Doch anstelle solcher Fachleute mit Ingenieurwissen entsandte die DB AG in die Einkaufsverhandlungen zunehmend Leute mit juristischem und betriebswirtschaftlichem Spezialwissen. Aufsichten auf allen S-<strong>Bahn</strong>höfen Der Sicherheitsaspekt, den der Eisenbahnbetrieb erfordert und den die Betriebseisenbahner noch kennen, rückt auf allen Ebenen immer mehr in den Hintergrund. Wenn bei der S-<strong>Bahn</strong> nur noch die betriebswirtschaftliche Sicht im Zentrum steht, braucht man sich über Unfälle und Unregelmäßigkeiten nicht zu beklagen. Zum Aspekt der Sicherheit gehören insbesondere auch die Aufsichten auf den <strong>Bahn</strong>steigen. Auch hier wurde in den vergangenen Jahren in großem Maßstab Personal abgebaut. Auf fast allen S-<strong>Bahn</strong>höfen müssen inzwischen die Fahrer die Zugabfertigung übernehmen. Das ist bereits hinsichtlich der Arbeitsbelastung unzumutbar. Auch sind die Fahrerkabinen dafür nicht gebaut; die Klimaanlagen funktionieren nicht, wenn alle zwei bis vier Minuten die Fahrertür geöffnet wird. Vor allem aber ist dies mit einem enormen Sicherheitsrisiko verbunden. Gerade bei Ein- und Ausfahrt des Zuges kann es zu Unfällen kommen. Es ist bei einem solchen kurzen Heraustreten aus dem Führerstand so gut wie unmöglich, einen sicheren Überblick über die gesamte Länge des S-<strong>Bahn</strong>-Zugs zu bekommen; das ist insbesondere der Fall bei <strong>Bahn</strong>höfen mit einem gekrümmten Gleis und bei großem Andrang (Hertha- Heimspiel; Berufsverkehr usw.). Die Aufsichten hatten – neben der pünktlichen Abfertigung des Zuges – die Aufgabe, den sicheren <strong>Bahn</strong>betrieb zu gewährleisten. All diese Aufgaben wurden zunehmend auf technische Lösungen verlagert, Aufsichtspersonal durch Zugabfertigungskameras eingespart und verbliebene Tätigkeiten auf den Triebfahrzeugführer verschoben. Schon diese Aufgaben rein auf technische Lösungen zu übertragen, ist aus Lunapark21·extra 6/2012
Lunapark21·extra 6/2012 Das große Abenteuer des Fahrens auf Verschleiß 47