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The Red Bulletin Mai 2015 - DE

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Unser Gespräch findet in Kiew statt, nachts.<br />

Der Mann, der sich Mustang Wanted<br />

nennt, heißt Grigorij, ist 28 Jahre alt,<br />

Ukrainer, stammt aus Kiew. Mit den tief<br />

in den Taschen seiner alten Trainingshose<br />

vergrabenen Händen und der Kapuze<br />

im Gesicht sieht er nicht so aus, aber<br />

Mustang Wanted ist ein Star. Hunderttausende<br />

Follower auf Facebook, Twitter<br />

und Instagram, seine YouTube-Videos<br />

werden Millionen Mal geklickt.<br />

Es gibt nicht allzu viele Städte auf der<br />

Welt, durch die er so ungestört spazieren<br />

könnte: Mustang wurde in jedem Land,<br />

das er bisher besuchte, von der Polizei<br />

festgenommen. Weil er auf Wolkenkratzer<br />

kletterte, auf Brücken, auf Türme,<br />

auf Kirchen. Ohne jede Sicherheitsvorkehrung.<br />

Und er überstrapaziert<br />

damit den Humor der Behörden. Sollte<br />

er russischen Boden betreten, drohen<br />

ihm sieben Jahre Haft.<br />

<strong>The</strong> <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong>: Mustang, Hand aufs<br />

Herz – gar keine Angst vor der Polizei?<br />

mustang Wanted: Je größer die Chance,<br />

erwischt zu werden, desto besser. Die<br />

Herausforderung ist dann größer. Am<br />

liebsten klettere ich über Gerüste an der<br />

Fassade, für jeden sichtbar. Und nur fürs<br />

Protokoll: Ich breche keine Schlösser auf.<br />

Ich achte speziell darauf, niemandem zu<br />

schaden.<br />

Für Trendsportler, die auf Hausdächer<br />

klettern, gibt es eine Bezeichnung:<br />

Roofer. Du bist der wahrscheinlich<br />

bekannteste Roofer der Welt …<br />

… stopp, nein, ich bin kein Roofer. Was<br />

ich da oben mache, ist mehr als Roofing.<br />

Denk doch an die Sache in St. Petersburg<br />

vor ein paar Jahren, die Baustelle mit<br />

dem riesigen Kran. Ich bin da mit meinen<br />

BASE-Jumper-Freunden hoch, ging auf<br />

der Metallkonstruktion herum, zog meine<br />

Tricks ab. Stell dir mal einen Roofer vor,<br />

der so was macht. Kein Roofer spaziert<br />

auf einem Metallbalken, der gerade mal<br />

ein paar Zentimeter breit ist. Es ist wie<br />

Slacklining, nur schwieriger, denn die Bewegungen<br />

einer Slackline kannst du ganz<br />

einfach ausgleichen und kontrollieren.<br />

Auf den Metallstreben eines Krans, noch<br />

dazu in 200 Meter Höhe, ist das unmöglich.<br />

Der Wind rüttelt an der Stange, auf<br />

der du stehst, es ist quasi unmöglich,<br />

diese Situation zu kontrollieren.<br />

Du hast, offensichtlich, auch dieses<br />

Abenteuer überlebt.<br />

… wenn uns langweilig wurde, starteten<br />

wir den Kran und drehten ihn im Kreis.<br />

Was war das höchste Gebäude, auf das<br />

du bisher geklettert bist?<br />

Das war in Dubai, der Princess Tower.<br />

Ich hing dort frei an einer Kante in<br />

414 Meter Höhe. Ich hab es aber nicht<br />

wegen des Höhenrekords gemacht. Es<br />

ging um das Erlebnis. Erlebnisse sind<br />

mehr wert als Rekorde.<br />

Es ist einer der atemberaubendsten<br />

Anblicke im gesamten Internet: Du<br />

hängst da nur an den Fingerspitzen<br />

in schwindelerregender Höhe. Ein<br />

professioneller Kletterer würde<br />

Sicherheitsgeschirr verwenden, ein<br />

Seil, mindestens einen Helm …<br />

Ich vertraue meinen Händen mehr als<br />

jeder Kletterausrüstung. Und weil du<br />

das Internet angesprochen hast: Es ist<br />

mir egal, wie viel Aufmerksamkeit ich<br />

bekomme. Die Leute können machen,<br />

was sie wollen. Wenn sie meinen Kanal<br />

abonnieren wollen oder mein Zeug auf<br />

Social Networks liken wollen, sollen sie<br />

das gern tun. Ist mir gleich. Die Meinung<br />

der Öffentlichkeit macht mich weder<br />

stärker noch schwächer. Ich tu einfach,<br />

was mir Spaß macht – auf Gebäude<br />

klettern und coole Videos machen.<br />

Mit dem Klettern allein ist es nicht<br />

immer getan. Du machst bei Minusgraden<br />

Klimmzüge auf vereisten<br />

Metallstreben einer mehrere hundert<br />

Meter hohen Brücke. Du fährst Skateboard<br />

über Abgründen. Verstehst du,<br />

dass das die Polizei provoziert?<br />

Ob Kiew, Moskau, Bratislava, Budapest,<br />

Berlin oder Dubai, überall hatte ich schon<br />

Ärger mit der Polizei. Aber ich verstehe es<br />

nicht. Ehrlich. Schaden meine Aktionen<br />

irgendjemandem? Nein, niemandem.<br />

Eben. Warum also sollte ich ins Gefängnis<br />

wandern?<br />

2 0 1 4 / K I E W<br />

O R T H Ö H E B E S O N D E R H E I T<br />

EIN UNGESTÖRTER<br />

FOTOPLATZ – EINE ECHTE<br />

SELTENHEIT<br />

IRGENDWO IN <strong>DE</strong>R<br />

INNENSTADT 40 METER<br />

36 THE RED BULLETIN

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