Unser Gespräch findet in Kiew statt, nachts. Der Mann, der sich Mustang Wanted nennt, heißt Grigorij, ist 28 Jahre alt, Ukrainer, stammt aus Kiew. Mit den tief in den Taschen seiner alten Trainingshose vergrabenen Händen und der Kapuze im Gesicht sieht er nicht so aus, aber Mustang Wanted ist ein Star. Hunderttausende Follower auf Facebook, Twitter und Instagram, seine YouTube-Videos werden Millionen Mal geklickt. Es gibt nicht allzu viele Städte auf der Welt, durch die er so ungestört spazieren könnte: Mustang wurde in jedem Land, das er bisher besuchte, von der Polizei festgenommen. Weil er auf Wolkenkratzer kletterte, auf Brücken, auf Türme, auf Kirchen. Ohne jede Sicherheitsvorkehrung. Und er überstrapaziert damit den Humor der Behörden. Sollte er russischen Boden betreten, drohen ihm sieben Jahre Haft. <strong>The</strong> <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong>: Mustang, Hand aufs Herz – gar keine Angst vor der Polizei? mustang Wanted: Je größer die Chance, erwischt zu werden, desto besser. Die Herausforderung ist dann größer. Am liebsten klettere ich über Gerüste an der Fassade, für jeden sichtbar. Und nur fürs Protokoll: Ich breche keine Schlösser auf. Ich achte speziell darauf, niemandem zu schaden. Für Trendsportler, die auf Hausdächer klettern, gibt es eine Bezeichnung: Roofer. Du bist der wahrscheinlich bekannteste Roofer der Welt … … stopp, nein, ich bin kein Roofer. Was ich da oben mache, ist mehr als Roofing. Denk doch an die Sache in St. Petersburg vor ein paar Jahren, die Baustelle mit dem riesigen Kran. Ich bin da mit meinen BASE-Jumper-Freunden hoch, ging auf der Metallkonstruktion herum, zog meine Tricks ab. Stell dir mal einen Roofer vor, der so was macht. Kein Roofer spaziert auf einem Metallbalken, der gerade mal ein paar Zentimeter breit ist. Es ist wie Slacklining, nur schwieriger, denn die Bewegungen einer Slackline kannst du ganz einfach ausgleichen und kontrollieren. Auf den Metallstreben eines Krans, noch dazu in 200 Meter Höhe, ist das unmöglich. Der Wind rüttelt an der Stange, auf der du stehst, es ist quasi unmöglich, diese Situation zu kontrollieren. Du hast, offensichtlich, auch dieses Abenteuer überlebt. … wenn uns langweilig wurde, starteten wir den Kran und drehten ihn im Kreis. Was war das höchste Gebäude, auf das du bisher geklettert bist? Das war in Dubai, der Princess Tower. Ich hing dort frei an einer Kante in 414 Meter Höhe. Ich hab es aber nicht wegen des Höhenrekords gemacht. Es ging um das Erlebnis. Erlebnisse sind mehr wert als Rekorde. Es ist einer der atemberaubendsten Anblicke im gesamten Internet: Du hängst da nur an den Fingerspitzen in schwindelerregender Höhe. Ein professioneller Kletterer würde Sicherheitsgeschirr verwenden, ein Seil, mindestens einen Helm … Ich vertraue meinen Händen mehr als jeder Kletterausrüstung. Und weil du das Internet angesprochen hast: Es ist mir egal, wie viel Aufmerksamkeit ich bekomme. Die Leute können machen, was sie wollen. Wenn sie meinen Kanal abonnieren wollen oder mein Zeug auf Social Networks liken wollen, sollen sie das gern tun. Ist mir gleich. Die Meinung der Öffentlichkeit macht mich weder stärker noch schwächer. Ich tu einfach, was mir Spaß macht – auf Gebäude klettern und coole Videos machen. Mit dem Klettern allein ist es nicht immer getan. Du machst bei Minusgraden Klimmzüge auf vereisten Metallstreben einer mehrere hundert Meter hohen Brücke. Du fährst Skateboard über Abgründen. Verstehst du, dass das die Polizei provoziert? Ob Kiew, Moskau, Bratislava, Budapest, Berlin oder Dubai, überall hatte ich schon Ärger mit der Polizei. Aber ich verstehe es nicht. Ehrlich. Schaden meine Aktionen irgendjemandem? Nein, niemandem. Eben. Warum also sollte ich ins Gefängnis wandern? 2 0 1 4 / K I E W O R T H Ö H E B E S O N D E R H E I T EIN UNGESTÖRTER FOTOPLATZ – EINE ECHTE SELTENHEIT IRGENDWO IN <strong>DE</strong>R INNENSTADT 40 METER 36 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 37 DAUMANTAS LIEKIS