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Sie marschieren wieder. . .

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Wie man Neonazis vertreibtDas kleine Hetendorf weiß: Der Widerstand braucht einen langen AtemBärbel Dethlefs: „Und wir haben uns denenentgegengestellt.“Manche Namen klingen wie Schlagworte.Negative Synonyme wie „Nazidorf“ sitzen tief.Hetendorf in der Gemeinde Hermannsburg in derLüneburger Heide ist so ein Dorf. Hier triebenNeonazis unter Führung des HamburgerRechtsanwaltes Jürgen Rieger auf demGrundstück Nr. 13 zwanzig Jahre lang ihrUnwesen. Nach dem Verbot der rechtsextremenTrägervereine durch die damalige Landesregierungim Februar 1998 verschwand der Ort ausdem Blickfeld der Medien.Nur 91 Kilometer liegen zwischen Dörverdenim Landkreis Verden und Hetendorf bei Bergen.Wälder mit Birken und Lärchen säumen dieschmale Straße, die von der MissionsstadtHermannsburg nach Hetendorf führt. Dort endendie Straßen. Hinter den Häusern nur noch weiteFelder und in der Ferne der Geschützlärm vomnahen Truppenübungsplatz Munster.Kaum einer ahnte 1978, das eben dieseKonstellation dem kleinen Dorf mitten in derLüneburger Heide zum Verhängnis werdenwürde. Auf der Suche nach einer Heimstättedurchkämmten die Anhänger des HamburgerNeonazis die Heide. Unklar ist bis heute, werihnen den Tipp für Hetendorf gab. 1978 ließRieger über einen Strohmann das vomBundesvermögensamt in Soltau verwaltete ehemaligeKinderheim Nr. 13 mit seinen 15 700Quadratmetern ersteigern. „Für ’n Appel und ’nEi“, wie seine Anhänger prahlten. RiegersKalkül: Hier, am Ende der Welt, würde niemandeine rechtsextreme Kaderschmiede vermuten.Heute erinnert nichts mehr an die „bedeutendsteSchulungsstätte alter und neuer Nazis aus dem InundAusland“, wie es bald im Verfassungsschutzberichthieß. Planierraupen und Baggerfressen sich durch riesige Schutthaufen undbegraben die letzten Spuren.Der neue Eigentümer hat alle vier Gebäudeabreißen lassen, ein Stück weiße Mauer ragtbizarr aus einem Berg von Ziegeln hervor.Neubesitzer Sven Kiedrowski stammt aus demDorf. Alle hätten aufgeatmet, als ein Hetendorfer2004 den Zuschlag für das Gelände bekam, sagter.Es ist kalt an diesem Morgen. Dem 27-jährigenUnternehmer kann der eisige Wind nichtsanhaben, er plant Großes. Am Sonnabend sollsein Motorradgeschäft „Race Direct“ eröffnetwerden. Mitarbeiter schieben fabrikneue Cross-Motorräder aus einem Transporter in dasHolzhaus, das der ehemalige WM-FahrerKiedrowski am Rande des Grundstücks gebauthat.Er weiß noch genau, wie es war, als dieNeonazis über Hetendorf kamen. „Wir Kinderwaren neugierig, was bei denen vor sich ging.“Kiedrowski zeigt mit ausgestrecktem Arm hinüberzum nördlichen Teil des Geländes: „Von dortkonnten wir über den hohen Zaun gucken. Aberdie Neonazis kamen sofort heran, fotografiertenuns und schimpften, wir sollten verschwinden.“Insbesondere an die Ausmärsche in Uniformkann sich Kiedrowski gut erinnern. „Dieliefen herum wie ein Trachtenverein.“ KleineMädchen in altmodischen Kleidern und mitZöpfen fielen ihm auf. „Die hatten doch keineChance, sich eine eigene Meinung zu bilden.“Inzwischen selbst Vater, machten Riegersrassistische Phantasien ihm schon damalsAngst: „Wir Jüngeren haben alle mitdemonstriert.“Nur die Landwirte trauten sich nicht,weil sie Angst um ihre Häuser und Scheunen hatten.Kiedrowski: „Die hatten viel zu verlieren.Zuviel Gegenwehr und die Hütte steht in Brand. . .“Sofort nach dem Kauf von Hetendorf 13 imvergangenen Jahr begann der Cross-Fahrer mitden Aufräumarbeiten. Die Gebäude waren heruntergewirtschaftetund das Gelände eine einzigeMüllhalde. Vor der rechtskräftigen Enteignungdurch die Behörden hatten Riegers Leute dieHäuser restlos leergeräumt. Kein Blatt Papier,kein rechtsradikales Buch, nur ein Schild inFrakturschrift mit dem Titel „Hausordnung“habe er gefunden.Wie Kiedrowski sagt, hätte Rieger noch versucht,das Grundstück für 500 000 Euro zurückzukaufen.„Da war es allerdings schon zu spät“,freut sich der Motorradhändler. Mit dem Abrissder Gebäude will er dem „Spuk hier endgültig einEnde setzen“. Die Hetendorfer danken es ihm.„Wir wollen hier kein Mahnmal“, sagen sie.Auf der Internetseite von Hetendorf wird ausführlichüber den verheerenden Wirbelsturmvon 1935, die Pipeline-Verlegung von 1992 undden Bau des Windparks 2004 berichtet, doch keinWort über Neonazis in Hetendorf. Unverständlich,sagen manche, denn gerade die Gegenwehrder Gemeinde habe Rieger doch vertrieben.Tatsächlich hat der Rechtsanwalt aus demfeinen Hamburger Stadtteil Blankenese dieHermannsburger Landbevölkerung unterschätzt.Denn „Hetendorf Nr. 13“ ist heute vor allemeines: ein Synonym für den Widerstand einer ganzenRegion. Wie fast alle Hetendorfer, verfolgenauch Sven Kiedrowski und seine Familie dieNachrichten über Riegers Aktivitäten. „Ich kenneden Heisenhof in Dörverden“, sagt er „ich wardort bei der Bundeswehr.“Bärbel Dethlefs hat damals gemeinsam mitihrem inzwischen verstorbenen Ehemann den„Hermannsburger Arbeitskreis gegen Hetendorf13“ gegründet. Die Hausfrau ficht seit langemeinen Kampf gegen Kernenergie und Castor-Transporte. <strong>Sie</strong> fehlt bei kaum einer Veranstaltungin der nahen Gedenkstätte des ehemaligenKonzentrationslagers Bergen-Belsen. Für dieGrünen sitzt sie im Gemeinderat vonHermannsburg, darf allerdings nur zuhören –nicht mitstimmen. „Die Gegend hier ist traditionellstockkonservativ“, erzählt Dethlefs und steuertauf den dreieckigen Dorfplatz in der Ortsmittezu. Acht hohe deutsche Eichen und eine Parkbankstehen dort, umgeben von einem Jägerzaun. „Hierhaben wir damals unsere christlichen Mahnwachenabgehalten.“ Immer <strong>wieder</strong> hätten sieRieger damit ihren Protest zeigen wollen. „DieAndachten waren Teil unserer Bewegung“, sagtDethlefs. Mehr als 100 Menschen seien dabeigewesen, „die kamen auch von weit her, um unszu unterstützen“.Die Neonazis reagierten gereizt auf die christlichenMahnwachen, einige von ihnen marschiertendirekt auf die Demonstranten zu und beleidigtensie. Die Polizei war nicht immer vor Ort.Dabei versammelte sich in Hetendorf die gesamtebraune Politprominenz. Der vorbestrafte NPD-Liedermacher Frank Rennicke aus Baden-Württemberg trat Bärbel Dethlefs und ihrenMitstreitern mit einem Holzkreuz auf demRücken entgegen. Viele seiner Lieder sind nachAngaben des niedersächsischen Innenministeriumsals jugendgefährdend indiziert worden.„Und wir haben uns denen entgegengestellt“,lächelt Dethlefs sanft. Kaum <strong>wieder</strong> daheim,kamen anonyme Briefe und Drohanrufe, wie „DuDrecksau! Wir kriegen dich! <strong>Sie</strong>g Heil!“ EineFangschaltung der Polizei konnte den Täter nichtausfindig machen.Vom Hetendorfer Neonazi-Gelände gingenimmer <strong>wieder</strong> Gewalttaten aus, 1997 fanden sichbei Angehörigen der so genannten SchutztruppeWaffen. Und das niedersächsische Innenministeriumhielt fest, dass mit einem „handschusswaffenähnlichenGegenstand“ auf Journalisten geschossenund einem Bauern die Windschutzscheibeseines Traktors mit einem Kuhfuß zerschlagenwurde.„Unser Bündnis war ein bunt zusammengewürfelterHaufen“, erinnert sich Bärbel Dethlefs,„alles Einzelkämpfer und sehr engagiert.“ Dochohne Hilfe und Recherchen junger CellerAntifaschisten wäre es damals nicht gelaufen,sagt sie.Bärbel Dethlefs ist immer noch eine vielbeschäftigteFrau, doch für einen Besuch desAktionstages gegen rechts am 2. April 2005 inVerden nahm sie sich Zeit. <strong>Sie</strong> möchte denHeisenhof-Gegnern mit ihren Erfahrungen helfen.„<strong>Sie</strong> werden einen langen Atem brauchen!“Eine grauhaarige Frau blickt aus einemFenster im Dachgeschoss. <strong>Sie</strong> hat die Fremdenbeobachtet und ahnt, warum sie da sind. „Ich binJahrgang 1927. Als ich gesehen habe, wie da <strong>wieder</strong>Nazis durch das Dorf marschiert sind, dahaben sich mir die Haare gesträubt!“Landwirt Stephan Meyer war froh,als Riegers Rechtsradikale endlich <strong>wieder</strong>aus Hetendorf verschwanden.4445

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