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Sie marschieren wieder. . .

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Hetendorf Nr. 13Eine ChronologieIn der Mittagszeit wirkt Hetendorf wie ausgestorben.Nur Landwirt Stephan Meyer arbeitetvor seiner Scheune, keine hundert Meter vonHetendorf 13 entfernt. Seine Kartoffelernte lagerthier. „Ich bin froh, dass Rieger weg ist“, sagtMeyer. Er ist ihm nie begegnet, doch er und seineFamilie verfolgen die Presseberichte über denHeisenhof sehr aufmerksam. „Es ist schlimm,dass so einer das überhaupt hat kaufen dürfen.“Dieter und Sabine sind nach Jahren das ersteMal <strong>wieder</strong> in Hetendorf. Dass sie nun vor einemSchutthaufen stehen, löst in Dieter ein ambivalentesGefühl aus. „Wir haben dafür demonstriert,dass Nazis keinen öffentlichen Raum besetzen.Aber heute wissen wir, dass Rieger nichtgeschwächt ist und die Nazis stärker sind alszuvor.“ Dieter wird sich nicht entmutigen lassen,doch er weiß: „Wir haben einen kleinen <strong>Sie</strong>gerrungen, aber die große Schlacht noch nichtgewonnen!“ Er und Sabine gehörten alsMitglieder der Celler Antifa zum Bündnis gegenHetendorf 13, das sich über viele Kompromissezusammenraufte. Es gab „Spiele ohne Grenzen“und ein Fußballturnier unter dem Motto „RoteKarte für Hetendorf 13“. Als Gegenpart zu denneonazistischen „Hetendorfer Tagungswochen“wurde 1995 gemeinsam mit zahlreichenInitiativen ein antifaschistisches Sommercamp inSülze nahe Hetendorf organisiert.„Da kommen die Chaoten aus Göttingen“,hätten Polizisten den Wirt des Kaffeegartensgewarnt. Doch der ließ sich davon nicht beeindrucken.„Er hat gesagt: ,Ein Mann, ein Wort‘,und dann sind 1000 Leute gekommen, haben dasGelände total aufgeräumt <strong>wieder</strong> verlassen undnicht ein Blümchen geknickt“, lacht Sabine in derErinnerung daran.Eine Hauptaufgabe bestand für die Antifa inder Aufklärung der Bevölkerung. Manchmal verteiltensie wochenlang Flugblätter. „Es war dieZeit nach den grausamen Brandanschlägen vonMölln und Solingen, da waren die meisten dochsensibilisiert“, sagt Dieter.Jahr um Jahr kamen die Neonazis um Rieger<strong>wieder</strong>. Mal erschien der völkische „Bund derGoden“, mal die militante „Wiking-Jugend“in Uniformen oder die Jungen Nationaldemokraten.Zur „Sonnwendfeier“ im Juni reisten RiegersGefolgsleute aus allen Teilen der Bundesrepublikan. Die Frauen backten Hollerküchle, die Männermaßen sich im germanischen Sechskampf.Zwischendurch gab es neonazistische Schulungenzu Themen wie „Sittengesetz unserer Art“oder „Der Hintergrund des Holocausts vonDresden“.Als das Bündnis eine Gegendemonstrationmit über 2000 Teilnehmern organisierte, und dasMedieninteresse wuchs, reagierte Rieger miteiner Schutztruppe, bewaffnet mit Holzknüppelnund Hunden. Er warb zunehmend junge Glatzköpfeaus der Umgebung an.Im Winter 1997 wurde es dann brandgefährlich.Als eine Gruppe von Demonstranten dieAuffahrt zum Gelände besetzte, stürmten RiegersTruppen mit Ketten und Stöcken bewaffnet aufsie zu. Die Polizei war nicht vor Ort, den jungenLeuten blieb nur die Flucht. Das Verbot desNeonazi-Zentrums durch den niedersächsischenInnenminister Glogowski erfolgte zwei Monatespäter. Im Morgengrauen rückte die Polizei an.Der Spuk nahm ein Ende, doch dieErinnerung daran ist noch lebendig. HartmutBehrmann* bewohnt mit seiner Familie ein Hausam Rande des Dorfes. Er ist Rieger damals in dieQuere gekommen, als der Anwalt Anfang der90er Jahre das Haus Hetendorf Nr. 47 kaufenwollte. Behrmann setzte alle Hebel in Bewegung,um das zu verhindern. „Wir wollten nicht, dassder uns umzingelt.“ Obwohl Riegers Strohmannden Zuschlag bereits für etwa 400 000 Markerhalten hatte, gelang es den Hetendorfern mitDer „braune Barde“ Frank Rennickehielt den Teilnehmern der HetendorferMahnwachen ein Holzkreuz entgegen.einer Unterschriftenaktion und Hilfe ausHannover, die Bayerische Hypothekenbank alsVerkäuferin zur Rücknahme zu bewegen. DieGemeinde kaufte das Gebäude, Riegers Zorn warriesengroß. „Wir haben uns genau gemerkt, werim Dorf uns verleumdet, gegen uns gehetzt undsich uns gestellt hat . . . Wer Krieg haben will, sollihn bekommen . . . Rache muß kalt genossen werden“,drohte er in einem Brief.„Wir bekamen Schiss – trotz der großenSolidarität“, sagt Behrmann. Auch heute nochfürchtet er um seine Familie und will deshalbanonym bleiben. Behrmann: „Wenn es eineBotschaft gibt, die wir den Dörverdenern mitgebenkönnen, dann die: Schließt euch zusammenund wehrt euch!“ Politisch gebe es nichtsSchlimmeres als Rechtsradikalismus. Er verfolgtjede Nachricht vom Heisenhof. „OberkreisdirektorJahn aus Verden zeigt viel Mut, sagen <strong>Sie</strong>ihm das!“Andrea Röpke* Name geändert.1979: Riegers Organisation „FreundeskreisFilmkunst“ aus Hamburg erwirbt das ehemaligeKinderheim in Hetendorf für nur 120 000 Markvom Bundesvermögensamt in Soltau. Die Bundesbehördehatte es ursprünglich für 1,2 MillionenMark von der Lobetal-Stiftung erworben. Mitteder 80er Jahre wird Riegers pseudo-wissenschaftlicherVerein „Gesellschaft für biologische Anthropologie,Eugenik und Verhaltensforschung“(GfbAEV) Mitbesitzerin der Immobilie.1987: Antifa-Gruppen verhindern ein geplantesHerbstlager der militanten „Wiking-Jugend“durch Proteste im Vorfeld.1990: Rieger versucht, den „StützpunktHetendorf“ zu erweitern. Für das Haus Nr. 47 gibter als Vorsitzender der GfbAEV mit etwa 400 000Mark das Höchstgebot ab. Aufgrund massiverProteste in der Dorfbevölkerung wird der Verkaufrückgängig gemacht.Sven Kiedrowski auf dem Gelände, das einstJürgen Rieger gehörte. Der junge Mann hat alleGebäude abreißen lassen und hier einenMotorradhandel eröffnet.1992: Da dem Freundeskreis Filmkunst dieGemeinnützigkeit aberkannt wird, ändern sichdie Eigentumsverhältnisse: Zwei Heide-Heim-Vereine mit Sitz in München und Hamburg übernehmendie Immobilie. Vorsitzender beiderVereine ist Jürgen Rieger.1994: Der niedersächsische Verfassungsschutzstellt fest: „Die Bedeutung der Tagungsstättein Hetendorf lag in der Vergangenheit darin,dass sich hier Vernetzungen der rechtsextremistischenSzene in Deutschland bildeten.“ Jahr fürJahr finden die so genannten HetendorferTagungswochen mit Sonnenwendfeier, Schulungenund Musik statt. Inzwischen verboteneOrganisationen wie die „Nationale Liste“, die„Nationalistische Front“ und die „Freiheitlichedeutsche Arbeiterpartei“ treffen sich in Hetendorf.Viele der heutigen Neonazi-Anführer – wieChristian Worch, Thomas Wulff, Manfred Börmund Thorsten Heise – besuchen Riegers Kaderschmiede.1995: Bekannte Neonazis wie ManfredRoeder und Peter Naumann versuchen, Veranstaltungendes Hermannsburger Bündnisses zustören.1996: Rieger erwirbt für mehr als eineMillion Euro ein 650 Hektar großes Landgut inSchweden.1997: Der Protest gegen die Neonazi-Veranstaltungen in Hetendorf wächst. DieRechtsradikalen reagieren immer aggressiver.1998: Im Februar wird „Hetendorf Nr. 13“geschlossen, die beiden Trägervereine werdenverboten. Nach jahrelangem juristischen Streitwird Rieger schließlich enteignet. 2004 versuchter die Immobilie zurückzukaufen – ohne Erfolg.Andrea Röpke4647

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