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Rechte SchmierfinkenNeonazistische Kritzeleien gehören vielerorts zum SchulalltagViel zu tun für StaatsanwältinAnzeigen wegen politischer Straftaten häufen sich in VerdenFür Helke Diers gehören die braunenSchmierereien längst zum Schulalltag. EinHakenkreuz hier, ein NPD-Aufkleber dort, „sowas eben“, sagt die 17-Jährige. Zwei Mal, kurzvor und kurz nach den Herbstferien, kam es ganzdick. In rund anderthalb Meter hohen Lettern hattenUnbekannte das Gymnasium Am Rübekampin Walle in „Adolf-Hitler-Gymnasium“ umbenannt.„Verziert“ mit SS-Runen und Hakenkreuzen,alles riesengroß. „Das war gruselig“, sagt dieBremer Schülerin. Mit „Nazis raus“ haben dieSchüler das Geschmiere übersprüht, „wir wolltennicht, dass dieser Dreck während der Ferien anunserer Schule stehen bleibt“, meint Helke. Bisheute sei nicht geklärt, wer für die neonazistischenParolen verantwortlich sei.Für Helke noch beängstigender sind die ganzalltäglichen Schmierereien. Mehrmals in derWoche entdecken sie und ihre Mitschüler NS-Symbole oder Aufkleber rechtsextremer Parteienirgendwo in ihrer Schule. „Offenbar kann manwenig dagegen tun“, sagt Helke frustriert.Schließlich mache das Gymnasium AmRübekamp längst mit bei der Aktion „Schuleohne Rassismus“, auch eine Arbeitsgemeinschaftgegen rechts treffe sich seit Herbst 2004 regelmäßig.Nicht nur am Rübekamp ist rechtsextremesGekrakel längst an der Tagesordnung. AlsGesamtschülervertreterin hält Helke Kontaktauch zu anderen Bremer Schulen: „So etwas gibtes fast überall“, ist ihre Erfahrung.Propagandadelikte nennt die Polizei dieSchmierereien und auch das Tragen verbotenerAbzeichen. Zusammen mit Fällen von Volksverhetzungmachen sie bundesweit mehr als 85Prozent aller rechtsextremen Straftaten aus. Auchim Landkreis Verden häufen sich dieHetzparolen. Es traf Schulanlagen wie dieTurnhalle in Achim, auch der Jüdische Friedhofwurde geschändet.In leuchtend roter Farbe sprühten UnbekannteHakenkreuze und „RD 88“ auf dieGrabsteine. Die „8“ steht in der Szene für das„H“, den achten Buchstaben im Alphabet, „88“meint „Heil Hitler“. „RD“ kann selbst mancherSzeneinsider nicht entschlüsseln.In Niedersachsen registrierte das Landeskriminalamt2003 insgesamt 1194 rechtsextremistischeStraftaten, 80 davon waren Gewalttaten. Inder offiziellen rechtsextremen Gewaltstatistikrangierte das Land damit hinter Nordrhein-Westfalen und Brandenburg auf einem traurigendritten Platz. 2004 zählten die niedersächsischenKriminalbeamten bis September durchschnittlich77 rechtsextreme Straftaten im Monat. Bundesweitwaren 2003 fast 11000 Straftaten rechtsextremistischmotiviert, darunter 759 Gewalttaten.Die Bundesregierung ging 2004 von rund10 000 gewaltbereiten Rechtsextremisten aus.Auch Helke Diers ist bereits rechter Gewaltzum Opfer gefallen – das vermutet sie jedenfalls.„Wenn jemand, der sich gegen rechts engagiert,nachts von zwei kahlköpfigen Männern überfallenund als Zecke beschimpft wird, ist das kaumein Zufall“, sagt Helke. „Zecken“ schimpfenNeonazis links orientierte Jugendliche.Fast zwei Jahre ist das jetzt her, die Schlägerfügten der Schülerin eine Gehirnerschütterungund schwere Prellungen zu. Gefasst wurden sienie – aber ihr Ziel haben sie dennoch verfehlt:Helke lässt sich nicht einschüchtern, sie kämpftweiter gegen rechts. Christine KrögerSilke Streichsbier leitet bei der StaatsanwaltschaftVerden das Spezialdezernat für politischeStraftaten. Die Abteilung hat viel zu tun.Allein zwischen dem 1. Januar und dem 8. März2005 gingen aus dem Landgerichtsbezirk Verden70 Strafanzeigen ein, 2004 musste in 301 Fällenermittelt werden. Zu etwa zwei Dritteln geht esdabei um rechtsextremistische Delikte, schätztOberstaatsanwältin Streichsbier.Die Statistik der Staatsanwaltschaft unterscheidetnicht zwischen links- und rechtsextremistischenStraftaten. Streichsbier weiß jedoch ausdem Alltagsgeschäft, dass sich die weitaus meistenStrafanzeigen gegen Neonazis richten.„Diese Entwicklung beobachten wir seit einigenJahren, genauer: seit hier rechtsextremistischeFührungskräfte tätig sind.“Die Spirale funktioniert so: Je besser dieNeofaschisten geschult seien, sagt SilkeStreichsbier, desto aktiver würden sie und destoöfter gerieten sie ins Visier der Ermittler. Von Juni2004 bis März 2005 wurden insgesamt 16Körperverletzungen mit politischem Hintergrundangezeigt. In 37 Fällen bestand beziehungsweisebesteht der Verdacht auf Volksverhetzung – einextrem schwieriges Feld für die Ermittler, weil esoft um Inhalte auf Internetseiten geht. DieVerfasser ausfindig zu machen, ist oft kaum möglich,zumal dann, wenn sich der Provider imAusland befindet.Etliche Anzeigen gibt die Staatsanwaltschaftan die Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltdarstellender,pornografischer oder sonstiger jugendgefährdenderSchriften in Hannover ab und haterst <strong>wieder</strong> damit zu tun, wenn Strafbefehl erlassenoder Klage erhoben wird.Nahezu aussichtslos ist auch die Suche nachTätern, die Hakenkreuze oder andere NS-Symbole auf Hauswände oder sonst wohinschmieren. „Es sei denn, sie werden auf frischerTat ertappt“, so Streichsbier. Eher noch könnenNeonazis dingfest gemacht werden, die in derÖffentlichkeit „Heil Hitler“ grölen.Deshalb verwundert es nicht, dass die 84Anzeigen im zweiten Halbjahr 2004 nur zu dreiVerurteilungen führten. „Nicht alles ist strafbarund nicht immer ist die Schuld nachzuweisen“,sagt Streichsbier und versichert, dass die Staatsanwaltschaftjeder Anzeige akribisch nachgeht.„Wir verfolgen die Vorgänge in engerZusammenarbeit mit der Polizei sehr genau.“ Seiteiniger Zeit landen alle Fälle aus dem rechtsextremistischenSpektrum auf dem Schreibtisch nurnoch einer Kollegin. Streichsbier: „So behaltenwir den Überblick. Das ist ja alles sehr miteinanderverwoben.“ Bisher musste sich in Verden nochkeine rechtsradikale Frau vor Gericht verantworten.„Frauen haben wir hier eher in Zusammenhangmit den Castor-Transporten“, sagt Streichsbier.Anke LandwehrRechtsextreme Schmierereien gibt es nicht nurauf jüdischen Friedhöfen. Dabei wird auch aufantisemitische Parolen der Nationalsozialistenwie „Kauft nicht bei Juden“ angespielt.6465

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